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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Alphonse Daudet

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I/IZvWMÜstö, Liiviu), I.'I!N1>U>>I>^ Doch schon bei den vier letzten war das
Verhängnis über ihn hereingebrochen. Ein unheilbares Leiden, das ihn, wie
Heine, in die Matratzengruft bannte, machte ihn zu einem hilflosen Manne.
Und derselbe Daudet, der kein schöneres Vergnügen kannte, als mit dem Ränzel
ans dem Rücken und dem Knotenstock in der Hand durch das Land zu streifen,
lag fast zwanzig Jahre lang gelähmt da und siechte langsam dahin, bis er
am 16. Dezember des vorigen Jahres im Alter von 57 Jahren durch den
Tod erlöst wurde.

Zola hat Daudets Grabrede gehalten und deu Schriftsteller und Freund mit
wenigen Strichen zu zeichnen versucht. Daudet habe deu Geist seiner Zeit begriffen
und an seinem Teile dazu beigetragen, die allgemeine große Bewegung des Jahr¬
hunderts nach der richtigen Erkenntnis der Wirklichkeit, nach der Enthüllung der
Wahrheit auch auf dem Gebiete der Litteratur zu kräftigen und zu beschleunigen.
Wenn Zola aber die Sache so darstellte, als sei Daudet ein überzeugter Anhänger
oder ein Schildträger der naturalistischen Schule gewesen, so ist er damit weit
über das Ziel hinausgeraten. Daudet hat sich stets dagegen gewehrt, in ein
litterarisches Schubfach gesteckt zu werden. Alles Theoretisiren über das
Wesen, den Zweck und die Mittel der Kunst war ihm zuwider. Er erkannte
sehr wohl, daß das lärmende Gebahren der naturalistischen Kritiker nur daraus
ausging, auf dem litterarischen Markte für ihre minderwertige Ware Platz zu
schaffen, und daß alle neuen Glaubensartikel nur dazu dienten, den Mangel
an schöpferischer Phantasie durch Surrogate aus den exakten Wissenschaften zu
ersetzen, d. h. aus der Not eine Tugend, aus der künstlerischen Armut ein wissen¬
schaftliches Verdienst zu machen. ?1us on avAnos clans notrs in6tisr, sagt
Daudet, xlus on s'avsihoit an'on litterature xas xlu8 "zu'su xsirckurö se su
musiciuö, it n'^ g. ä'öoolö: it ^ veux <mi ont ein tslövt et "Kux <M n'su
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Alle die hochtrabenden Redensarten und künstlerischen Theorien von der
Beobachtung und dem Experiment oder der Analyse, von dem Determinismus
der Erscheinungen, von den menschlichen Dokumenten, von dem Mechanismus
der Leidenschaften, den Gesetzen der Vererbung und des gesellschaftlichen
Milieus waren für ihn leerer Schall. Es giebt keine alleinseligmachende Art
von Kunst; es giebt Künstler und es giebt Pfuscher. Der wahre Künstler ist
eine Welt für sich, er braucht keine ästhetischen Krücken, keine kritischen Helfers¬
helfer, keine litterarische Partei, die von den Strebern, den Dummen und
Faulen gemacht wird. Es galt Daudet auch für die Litteratur, was er in
seinem Roman Robvrt Hvlmont. von dem politischen Parteiuuweseu sagt:
O Politik, wie ich dich hasse! Ich hasse dich, weil du roh, ungerecht, markt¬
schreierisch und geschwätzig bist, weil du die geschworene Feindin der Kunst
und jeder ausdauernden Arbeit bist, weil du unter allen möglichen Vorwänden


Grenzboten II 1898 18
Alphonse Daudet

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I/IZvWMÜstö, Liiviu), I.'I!N1>U>>I>^ Doch schon bei den vier letzten war das
Verhängnis über ihn hereingebrochen. Ein unheilbares Leiden, das ihn, wie
Heine, in die Matratzengruft bannte, machte ihn zu einem hilflosen Manne.
Und derselbe Daudet, der kein schöneres Vergnügen kannte, als mit dem Ränzel
ans dem Rücken und dem Knotenstock in der Hand durch das Land zu streifen,
lag fast zwanzig Jahre lang gelähmt da und siechte langsam dahin, bis er
am 16. Dezember des vorigen Jahres im Alter von 57 Jahren durch den
Tod erlöst wurde.

Zola hat Daudets Grabrede gehalten und deu Schriftsteller und Freund mit
wenigen Strichen zu zeichnen versucht. Daudet habe deu Geist seiner Zeit begriffen
und an seinem Teile dazu beigetragen, die allgemeine große Bewegung des Jahr¬
hunderts nach der richtigen Erkenntnis der Wirklichkeit, nach der Enthüllung der
Wahrheit auch auf dem Gebiete der Litteratur zu kräftigen und zu beschleunigen.
Wenn Zola aber die Sache so darstellte, als sei Daudet ein überzeugter Anhänger
oder ein Schildträger der naturalistischen Schule gewesen, so ist er damit weit
über das Ziel hinausgeraten. Daudet hat sich stets dagegen gewehrt, in ein
litterarisches Schubfach gesteckt zu werden. Alles Theoretisiren über das
Wesen, den Zweck und die Mittel der Kunst war ihm zuwider. Er erkannte
sehr wohl, daß das lärmende Gebahren der naturalistischen Kritiker nur daraus
ausging, auf dem litterarischen Markte für ihre minderwertige Ware Platz zu
schaffen, und daß alle neuen Glaubensartikel nur dazu dienten, den Mangel
an schöpferischer Phantasie durch Surrogate aus den exakten Wissenschaften zu
ersetzen, d. h. aus der Not eine Tugend, aus der künstlerischen Armut ein wissen¬
schaftliches Verdienst zu machen. ?1us on avAnos clans notrs in6tisr, sagt
Daudet, xlus on s'avsihoit an'on litterature xas xlu8 «zu'su xsirckurö se su
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Alle die hochtrabenden Redensarten und künstlerischen Theorien von der
Beobachtung und dem Experiment oder der Analyse, von dem Determinismus
der Erscheinungen, von den menschlichen Dokumenten, von dem Mechanismus
der Leidenschaften, den Gesetzen der Vererbung und des gesellschaftlichen
Milieus waren für ihn leerer Schall. Es giebt keine alleinseligmachende Art
von Kunst; es giebt Künstler und es giebt Pfuscher. Der wahre Künstler ist
eine Welt für sich, er braucht keine ästhetischen Krücken, keine kritischen Helfers¬
helfer, keine litterarische Partei, die von den Strebern, den Dummen und
Faulen gemacht wird. Es galt Daudet auch für die Litteratur, was er in
seinem Roman Robvrt Hvlmont. von dem politischen Parteiuuweseu sagt:
O Politik, wie ich dich hasse! Ich hasse dich, weil du roh, ungerecht, markt¬
schreierisch und geschwätzig bist, weil du die geschworene Feindin der Kunst
und jeder ausdauernden Arbeit bist, weil du unter allen möglichen Vorwänden


Grenzboten II 1898 18
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/145>, abgerufen am 23.07.2024.