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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Unternehmens waren sie sich wohl bewußt: sie haben von dem englischen König
Karl I. und von Strafford gesprochen.

Wahrhaftig, es ist nicht nur wertvoll und lehrreich, sondern auch eine
Pflicht, daß die Generation von heute sich immer von neuem jene verwickelte
und leidensvolle Vorgeschichte der deutschen Einheit vor Augen führe, die uns
bis heute so stark und groß gemacht hat. Wie eine Erlösung aus unklaren
Verhältnissen erscheint der gemeinsame Kampf Österreichs und Preußens gegen
Dänemark, der zwei herrliche Landschaften wieder zum deutschen Mutterlande
zurückführt, aber zugleich den Gegensatz zwischen beiden Siegern zur äußersten
Schärfe steigert. Während die Schilderung des Sturms auf Düppel und des
Übergangs nach Alsen ein wahrhaft episches Interesse erweckt, folgt man mit
Spannung der wechselnden innern Entwicklung Österreichs, das dem liberalen
Zentralismus Schmerlings entsagt, den bedenklichen Weg zum zersetzenden
slawisch-ungarischen Föderalismus einschlüge und durch diesen Rückschritt hinter
die Zeiten der Maria Theresia die Kraft zu gewinnen vermeint, sogar die
Verhältnisse Deutschlands gewaltsam umzugestalten und den siegreichen Bundes¬
genossen im Dänenkriege niederzutreten. Kaemmel zeigt uns die verschlungnen
Fäden, die endlich zum italienisch-preußischen Bündnisse führen, und daneben
den beständigen Kleinkrieg gegen die kurzsichtigen und kleinmütigen Angriffe des
mißtrauischen deutschen Liberalismus. Es ist bemerkenswert, daß H. von Treitschke
zuerst und allein aus seinem Lager in das des großen Mannes überging. In
dem Bruderkriege von 1866, dessen jedes deutsche Herz mit Wehmut gedenkt,
folgt man doch am liebsten den Wegen Bismarcks, der nach dein glänzenden
Siege bei Königgrätz das erlösende Wort spricht: "Die Streitfrage ist also
entschieden; jetzt gilt es, das alte Verhältnis mit Österreich wiederzugewinnen,"
der zugleich mit dem äußern Frieden den innern im Lande vermittelt und den
Norddeutschen Bund als eine Großmacht hinstellt. Hat er allein doch vier Jahre
lang, während die Welt im Frieden lag, nicht nur gegen welfische Feindschaft,
sondern auch gegen die Ränke des erbitterten französischen Kaisers einen Depescheu-
krieg sühren müssen, bis dieser, jedoch nicht durch ihn, sondern allein durch
seine eigne Nation, zu einem Kriege gedrängt wurde, der dem neugebornen
Deutschland unsterblichen Ruhm und seine Wiederherstellung als Kaiserreich
eintrug. Wie in der Darstellung des deutschen Krieges die Schilderung der
Schlacht bei Königgrätz und der ersten Seeschlacht zwischen Panzerschiffen bei
Lissa, so ist im deutsch-französischen Kriege die Erzählung der Kämpfe und der
Kapitulationen von Sedan, Metz, Straßburg und Paris von ganz besondrer
Schönheit.

Die Geschichte der letzten zwanzig Jahre wird den Leser am meisten fesseln.
Seitdem Deutschland die Vormacht in Europa geworden ist, wahrt es durch
das Dreikaiserbündnis den Weltfrieden und wehrt nicht nur die Revanchegelüste
Frankreichs ab, sondern nötigt auf dem Berliner Kongreß von 1878 sogar


Unternehmens waren sie sich wohl bewußt: sie haben von dem englischen König
Karl I. und von Strafford gesprochen.

Wahrhaftig, es ist nicht nur wertvoll und lehrreich, sondern auch eine
Pflicht, daß die Generation von heute sich immer von neuem jene verwickelte
und leidensvolle Vorgeschichte der deutschen Einheit vor Augen führe, die uns
bis heute so stark und groß gemacht hat. Wie eine Erlösung aus unklaren
Verhältnissen erscheint der gemeinsame Kampf Österreichs und Preußens gegen
Dänemark, der zwei herrliche Landschaften wieder zum deutschen Mutterlande
zurückführt, aber zugleich den Gegensatz zwischen beiden Siegern zur äußersten
Schärfe steigert. Während die Schilderung des Sturms auf Düppel und des
Übergangs nach Alsen ein wahrhaft episches Interesse erweckt, folgt man mit
Spannung der wechselnden innern Entwicklung Österreichs, das dem liberalen
Zentralismus Schmerlings entsagt, den bedenklichen Weg zum zersetzenden
slawisch-ungarischen Föderalismus einschlüge und durch diesen Rückschritt hinter
die Zeiten der Maria Theresia die Kraft zu gewinnen vermeint, sogar die
Verhältnisse Deutschlands gewaltsam umzugestalten und den siegreichen Bundes¬
genossen im Dänenkriege niederzutreten. Kaemmel zeigt uns die verschlungnen
Fäden, die endlich zum italienisch-preußischen Bündnisse führen, und daneben
den beständigen Kleinkrieg gegen die kurzsichtigen und kleinmütigen Angriffe des
mißtrauischen deutschen Liberalismus. Es ist bemerkenswert, daß H. von Treitschke
zuerst und allein aus seinem Lager in das des großen Mannes überging. In
dem Bruderkriege von 1866, dessen jedes deutsche Herz mit Wehmut gedenkt,
folgt man doch am liebsten den Wegen Bismarcks, der nach dein glänzenden
Siege bei Königgrätz das erlösende Wort spricht: „Die Streitfrage ist also
entschieden; jetzt gilt es, das alte Verhältnis mit Österreich wiederzugewinnen,"
der zugleich mit dem äußern Frieden den innern im Lande vermittelt und den
Norddeutschen Bund als eine Großmacht hinstellt. Hat er allein doch vier Jahre
lang, während die Welt im Frieden lag, nicht nur gegen welfische Feindschaft,
sondern auch gegen die Ränke des erbitterten französischen Kaisers einen Depescheu-
krieg sühren müssen, bis dieser, jedoch nicht durch ihn, sondern allein durch
seine eigne Nation, zu einem Kriege gedrängt wurde, der dem neugebornen
Deutschland unsterblichen Ruhm und seine Wiederherstellung als Kaiserreich
eintrug. Wie in der Darstellung des deutschen Krieges die Schilderung der
Schlacht bei Königgrätz und der ersten Seeschlacht zwischen Panzerschiffen bei
Lissa, so ist im deutsch-französischen Kriege die Erzählung der Kämpfe und der
Kapitulationen von Sedan, Metz, Straßburg und Paris von ganz besondrer
Schönheit.

Die Geschichte der letzten zwanzig Jahre wird den Leser am meisten fesseln.
Seitdem Deutschland die Vormacht in Europa geworden ist, wahrt es durch
das Dreikaiserbündnis den Weltfrieden und wehrt nicht nur die Revanchegelüste
Frankreichs ab, sondern nötigt auf dem Berliner Kongreß von 1878 sogar


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/139>, abgerufen am 23.07.2024.