Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

machte zuwendet, auf den Hochflächen von Iran, an den buchtenreichen Küsten
Hinterindiens oder in den seit Jahrhunderten hermetisch verschlossenen Reichen
des östlichen Asiens neue Handelsplätze zu gewinnen, so läßt er uns doch
immer den roten Faden sehen, den der eigentliche Sieger im Krimkriege bei
jeder Gelegenheit in das Gewebe der asiatischen Kolonialpolitik einschlägt.
Napoleon vermittelt im März 1857 den Frieden zwischen England und Persien,
schickt ungebeten den Briten 1857 ein Geschwader gegen China zu Hilfe und
erlangt im folgenden Jahre das Recht, in Peking einen Gesandten zu halten.
Freilich sind ihm in Japan mit den Ansprüchen ans Erschließung des Landes
Rußland und Holland zuvor-, Preußen bald nachgekommen, aber 1864 macht
er durch das Protektorat über Cochinchina bereits den Anfang zu einem hinter-
indisch-französischen Kolonialreiche.

Nach diesem weiten Ausflug in den fernsten Osten kehrt Kaemmel zum
Herzen Europas zurück und schließt das buntfarbige Mvsaikbild von Nord-
uud Mitteldeutschland zur Zeit der Reaktion mit der Betrachtung ab, wie alle
wirtschaftlichen, sozialen und geistigen Interessen durchaus fortgeschritten seien
und allein der Gedanke an politische Größe und an nationale Vereinigung
immer den Widerspruch der Regierungen erweckt habe. Andrerseits zeigt er,
wie Österreich, das 1850 zu Olmütz mit russischer Hilfe den Fuß auf den
Nacken Preußens gesetzt hatte, trotz mancher Reformen auf dem Gebiete des
Verkehrs-, Heer- und Schulwesens, finanziell zerrüttet und durch die Folgen
des Konkordats innerlich zersplittert- war. Umso erbaulicher erscheint die stille
Arbeit Preußens, das allen Machinationen Österreichs, der Kleinstaaten und
selbst Rußlands zum Trotz auf rein praktischer Grundlage seinen preußischen
Zollverein in einen deutschen umwandelt, mehr aus Wankelmut als aus
Klugheit während des Krimkriegs durch Parteilosigkeit an Macht gewinnt,
sich auf dem Bundestage durch seineu Gesandten Otto von Bismarck Ansehen
und Achtung verschafft und unter der Regentschaft des Prinzen Wilhelm seit
dem Oktober 1858 einer vollkommnen Neugestaltung entgegenzugehen beginnt.
Kaemmel schließt diesen Abschnitt mit den Worten: "Deutschland stand an der
Schwelle seiner modernen Heidenzeit."

Fast eine Parallele zu diesen Vorgängen in Deutschland zeigt die Schilde¬
rung der verkommnen Zustände des südlichen Italiens, in dem Unbildung,
Priester- und Tyrannenherrschaft alles vergiftet haben, während allein Sar¬
dinien unter der wohlwollenden Herrschaft des thatcnlustigen Viktor Emanuel
und unter der intelligenten und unermüdlichen Leitung des genialen Grafen
Cavvur zu einem musterhaft geordneten und machtvollen Staatswesen heran¬
reift, das durch den Bund mit Napoleon III. und durch kluge Beschränkung
zu weit gehender Gelüste endlich auf Kosten Österreichs, des Papstes und vieler
ausländischer Dynasten in ein Königreich Italien mit der Hauptstadt Florenz
umgestaltet wird. Eingehend behandelt Kaemmel in dem folgenden Abschnitte


Grenzboten II 1898 17

machte zuwendet, auf den Hochflächen von Iran, an den buchtenreichen Küsten
Hinterindiens oder in den seit Jahrhunderten hermetisch verschlossenen Reichen
des östlichen Asiens neue Handelsplätze zu gewinnen, so läßt er uns doch
immer den roten Faden sehen, den der eigentliche Sieger im Krimkriege bei
jeder Gelegenheit in das Gewebe der asiatischen Kolonialpolitik einschlägt.
Napoleon vermittelt im März 1857 den Frieden zwischen England und Persien,
schickt ungebeten den Briten 1857 ein Geschwader gegen China zu Hilfe und
erlangt im folgenden Jahre das Recht, in Peking einen Gesandten zu halten.
Freilich sind ihm in Japan mit den Ansprüchen ans Erschließung des Landes
Rußland und Holland zuvor-, Preußen bald nachgekommen, aber 1864 macht
er durch das Protektorat über Cochinchina bereits den Anfang zu einem hinter-
indisch-französischen Kolonialreiche.

Nach diesem weiten Ausflug in den fernsten Osten kehrt Kaemmel zum
Herzen Europas zurück und schließt das buntfarbige Mvsaikbild von Nord-
uud Mitteldeutschland zur Zeit der Reaktion mit der Betrachtung ab, wie alle
wirtschaftlichen, sozialen und geistigen Interessen durchaus fortgeschritten seien
und allein der Gedanke an politische Größe und an nationale Vereinigung
immer den Widerspruch der Regierungen erweckt habe. Andrerseits zeigt er,
wie Österreich, das 1850 zu Olmütz mit russischer Hilfe den Fuß auf den
Nacken Preußens gesetzt hatte, trotz mancher Reformen auf dem Gebiete des
Verkehrs-, Heer- und Schulwesens, finanziell zerrüttet und durch die Folgen
des Konkordats innerlich zersplittert- war. Umso erbaulicher erscheint die stille
Arbeit Preußens, das allen Machinationen Österreichs, der Kleinstaaten und
selbst Rußlands zum Trotz auf rein praktischer Grundlage seinen preußischen
Zollverein in einen deutschen umwandelt, mehr aus Wankelmut als aus
Klugheit während des Krimkriegs durch Parteilosigkeit an Macht gewinnt,
sich auf dem Bundestage durch seineu Gesandten Otto von Bismarck Ansehen
und Achtung verschafft und unter der Regentschaft des Prinzen Wilhelm seit
dem Oktober 1858 einer vollkommnen Neugestaltung entgegenzugehen beginnt.
Kaemmel schließt diesen Abschnitt mit den Worten: „Deutschland stand an der
Schwelle seiner modernen Heidenzeit."

Fast eine Parallele zu diesen Vorgängen in Deutschland zeigt die Schilde¬
rung der verkommnen Zustände des südlichen Italiens, in dem Unbildung,
Priester- und Tyrannenherrschaft alles vergiftet haben, während allein Sar¬
dinien unter der wohlwollenden Herrschaft des thatcnlustigen Viktor Emanuel
und unter der intelligenten und unermüdlichen Leitung des genialen Grafen
Cavvur zu einem musterhaft geordneten und machtvollen Staatswesen heran¬
reift, das durch den Bund mit Napoleon III. und durch kluge Beschränkung
zu weit gehender Gelüste endlich auf Kosten Österreichs, des Papstes und vieler
ausländischer Dynasten in ein Königreich Italien mit der Hauptstadt Florenz
umgestaltet wird. Eingehend behandelt Kaemmel in dem folgenden Abschnitte


Grenzboten II 1898 17
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0137" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227773"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_357" prev="#ID_356"> machte zuwendet, auf den Hochflächen von Iran, an den buchtenreichen Küsten<lb/>
Hinterindiens oder in den seit Jahrhunderten hermetisch verschlossenen Reichen<lb/>
des östlichen Asiens neue Handelsplätze zu gewinnen, so läßt er uns doch<lb/>
immer den roten Faden sehen, den der eigentliche Sieger im Krimkriege bei<lb/>
jeder Gelegenheit in das Gewebe der asiatischen Kolonialpolitik einschlägt.<lb/>
Napoleon vermittelt im März 1857 den Frieden zwischen England und Persien,<lb/>
schickt ungebeten den Briten 1857 ein Geschwader gegen China zu Hilfe und<lb/>
erlangt im folgenden Jahre das Recht, in Peking einen Gesandten zu halten.<lb/>
Freilich sind ihm in Japan mit den Ansprüchen ans Erschließung des Landes<lb/>
Rußland und Holland zuvor-, Preußen bald nachgekommen, aber 1864 macht<lb/>
er durch das Protektorat über Cochinchina bereits den Anfang zu einem hinter-<lb/>
indisch-französischen Kolonialreiche.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_358"> Nach diesem weiten Ausflug in den fernsten Osten kehrt Kaemmel zum<lb/>
Herzen Europas zurück und schließt das buntfarbige Mvsaikbild von Nord-<lb/>
uud Mitteldeutschland zur Zeit der Reaktion mit der Betrachtung ab, wie alle<lb/>
wirtschaftlichen, sozialen und geistigen Interessen durchaus fortgeschritten seien<lb/>
und allein der Gedanke an politische Größe und an nationale Vereinigung<lb/>
immer den Widerspruch der Regierungen erweckt habe. Andrerseits zeigt er,<lb/>
wie Österreich, das 1850 zu Olmütz mit russischer Hilfe den Fuß auf den<lb/>
Nacken Preußens gesetzt hatte, trotz mancher Reformen auf dem Gebiete des<lb/>
Verkehrs-, Heer- und Schulwesens, finanziell zerrüttet und durch die Folgen<lb/>
des Konkordats innerlich zersplittert- war. Umso erbaulicher erscheint die stille<lb/>
Arbeit Preußens, das allen Machinationen Österreichs, der Kleinstaaten und<lb/>
selbst Rußlands zum Trotz auf rein praktischer Grundlage seinen preußischen<lb/>
Zollverein in einen deutschen umwandelt, mehr aus Wankelmut als aus<lb/>
Klugheit während des Krimkriegs durch Parteilosigkeit an Macht gewinnt,<lb/>
sich auf dem Bundestage durch seineu Gesandten Otto von Bismarck Ansehen<lb/>
und Achtung verschafft und unter der Regentschaft des Prinzen Wilhelm seit<lb/>
dem Oktober 1858 einer vollkommnen Neugestaltung entgegenzugehen beginnt.<lb/>
Kaemmel schließt diesen Abschnitt mit den Worten: &#x201E;Deutschland stand an der<lb/>
Schwelle seiner modernen Heidenzeit."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_359" next="#ID_360"> Fast eine Parallele zu diesen Vorgängen in Deutschland zeigt die Schilde¬<lb/>
rung der verkommnen Zustände des südlichen Italiens, in dem Unbildung,<lb/>
Priester- und Tyrannenherrschaft alles vergiftet haben, während allein Sar¬<lb/>
dinien unter der wohlwollenden Herrschaft des thatcnlustigen Viktor Emanuel<lb/>
und unter der intelligenten und unermüdlichen Leitung des genialen Grafen<lb/>
Cavvur zu einem musterhaft geordneten und machtvollen Staatswesen heran¬<lb/>
reift, das durch den Bund mit Napoleon III. und durch kluge Beschränkung<lb/>
zu weit gehender Gelüste endlich auf Kosten Österreichs, des Papstes und vieler<lb/>
ausländischer Dynasten in ein Königreich Italien mit der Hauptstadt Florenz<lb/>
umgestaltet wird. Eingehend behandelt Kaemmel in dem folgenden Abschnitte</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1898 17</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0137] machte zuwendet, auf den Hochflächen von Iran, an den buchtenreichen Küsten Hinterindiens oder in den seit Jahrhunderten hermetisch verschlossenen Reichen des östlichen Asiens neue Handelsplätze zu gewinnen, so läßt er uns doch immer den roten Faden sehen, den der eigentliche Sieger im Krimkriege bei jeder Gelegenheit in das Gewebe der asiatischen Kolonialpolitik einschlägt. Napoleon vermittelt im März 1857 den Frieden zwischen England und Persien, schickt ungebeten den Briten 1857 ein Geschwader gegen China zu Hilfe und erlangt im folgenden Jahre das Recht, in Peking einen Gesandten zu halten. Freilich sind ihm in Japan mit den Ansprüchen ans Erschließung des Landes Rußland und Holland zuvor-, Preußen bald nachgekommen, aber 1864 macht er durch das Protektorat über Cochinchina bereits den Anfang zu einem hinter- indisch-französischen Kolonialreiche. Nach diesem weiten Ausflug in den fernsten Osten kehrt Kaemmel zum Herzen Europas zurück und schließt das buntfarbige Mvsaikbild von Nord- uud Mitteldeutschland zur Zeit der Reaktion mit der Betrachtung ab, wie alle wirtschaftlichen, sozialen und geistigen Interessen durchaus fortgeschritten seien und allein der Gedanke an politische Größe und an nationale Vereinigung immer den Widerspruch der Regierungen erweckt habe. Andrerseits zeigt er, wie Österreich, das 1850 zu Olmütz mit russischer Hilfe den Fuß auf den Nacken Preußens gesetzt hatte, trotz mancher Reformen auf dem Gebiete des Verkehrs-, Heer- und Schulwesens, finanziell zerrüttet und durch die Folgen des Konkordats innerlich zersplittert- war. Umso erbaulicher erscheint die stille Arbeit Preußens, das allen Machinationen Österreichs, der Kleinstaaten und selbst Rußlands zum Trotz auf rein praktischer Grundlage seinen preußischen Zollverein in einen deutschen umwandelt, mehr aus Wankelmut als aus Klugheit während des Krimkriegs durch Parteilosigkeit an Macht gewinnt, sich auf dem Bundestage durch seineu Gesandten Otto von Bismarck Ansehen und Achtung verschafft und unter der Regentschaft des Prinzen Wilhelm seit dem Oktober 1858 einer vollkommnen Neugestaltung entgegenzugehen beginnt. Kaemmel schließt diesen Abschnitt mit den Worten: „Deutschland stand an der Schwelle seiner modernen Heidenzeit." Fast eine Parallele zu diesen Vorgängen in Deutschland zeigt die Schilde¬ rung der verkommnen Zustände des südlichen Italiens, in dem Unbildung, Priester- und Tyrannenherrschaft alles vergiftet haben, während allein Sar¬ dinien unter der wohlwollenden Herrschaft des thatcnlustigen Viktor Emanuel und unter der intelligenten und unermüdlichen Leitung des genialen Grafen Cavvur zu einem musterhaft geordneten und machtvollen Staatswesen heran¬ reift, das durch den Bund mit Napoleon III. und durch kluge Beschränkung zu weit gehender Gelüste endlich auf Kosten Österreichs, des Papstes und vieler ausländischer Dynasten in ein Königreich Italien mit der Hauptstadt Florenz umgestaltet wird. Eingehend behandelt Kaemmel in dem folgenden Abschnitte Grenzboten II 1898 17

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/137
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/137>, abgerufen am 23.07.2024.