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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Geistesaristokratie

ist, und Länder, wo sie, wenn auch unter demokratischen Formen verkappt,
herrscht, wie jetzt Nordamerika und Frankreich, haben die korrumpirteste Ver¬
waltung.

Diese Schwächen werden aufgehoben oder gemildert da, wo sich die Geld¬
aristokratie durch Tradition und Grundbesitz an eine bestimmte Stadt gebunden
fühlt. So war es vor allein der Fall in den italienischen und deutschen
Stadtstaaten des ausgehenden Mittelalters. Die Größe der deutschen Städte
dieser Zeit, von der noch heute vor allem ihre großartigen Kirchenbauten
zeugen, ist in erster Linie das Werk eines herrschkundigen und kunstsinnigen
Patriziats, und wer, der Florenz auch nur vom Hörensagen kennt, wüßte nicht
von dem fürstengleicheu Kaufhause der Medici und von den stolzen Palästen
ihrer Standesgenossen, der Strozzi, Ruccelai, Tornabnoni, Pitti; wer, der nur
einigen Sinn für historische Größe hat, würde nicht im Innersten ergriffen,
wenn er, den Canal grande in Venedig in sanft wiegender schwarzer Gondel
hinabgleitend, die verfallende" Paläste der einst großen Geschlechter der Markns-
repnblik, der Grimani, der Pesaro, der Cornaro, der Loredan, der Foscari,
der Giustiniani erblickt; welchem Gebildeten wäre unbekannt, wie die Renaissance
gar nicht denkbar ist ohne diese stolze Stadtaristokratie! Das war eine wahr¬
hafte Aristokratie nach Besitz, Herrschersiun, Charakter und Bildung, und auch
in unsern Tagen fehlt es, zumal in besonders selbständigen und selbstbewußten
Städten, nicht an solchen Erscheinungen, an gewissermaßen patrizischen Familien,^
die, ohne bevorrechtet zu sein, nach dem Satze handeln: noblss8ö odlig-ö, und
die nicht nur große Unternehmungen mit Hunderten von Untergebnen in vor-
nehmen Sinne leiten, sondern auch ihrer heimatlichen Stadt durch reiche Stif¬
tungen treue Anhänglichkeit erweisen.

Heute sind die Zeiten, wo Grundcidel oder Geldaristokratie allein oder^
zusammen den Staat beherrschen, bei uns vorüber, und die rechtliche Sonder¬
stellung geschlossener Stände ist verschwunden. Denn die Eigenschaften, die
beide einst zur Herrschaft befähigten, reichen heute in den unendlich verwickelten
Verhältnissen einer überaus reichen und mannigfaltigen Kulturwelt allein nicht
mehr aus. Noch viel weniger ist eine wirkliche Demokratie in großen Staaten
möglich. Vielmehr gebührt die Herrschaft einer geistigen Aristokratie, die aus
allen Ständen und Berufsklassen die besten Elemente in sich vereinigt und
nicht auf einer bestimmten Art oder einem bestimmten Maße des Besitzes be¬
ruht. Der Gedanke, einer solchen Aristokratie die Herrschaft eines Kulturvolks
zu übertragen, ist sehr alt; kein geringerer als Plato hat ihn zuerst gefaßt/
und theoretisch ausführlich entwickelt. Angewidert von der zunehmenden Ent-
artung der Demokratie seines attischen Heimatstaates, die nur groß gewesen
War, als sie thatsächlich keine Demokratie, sondern die verhüllte Alleinherrschaft
eines großen Mannes war, damals aber, zu Platos Zeit, die Herrschaft des
souveränen Unverstands bedeutete, wies der Philosoph die Herrschaft den


Geistesaristokratie

ist, und Länder, wo sie, wenn auch unter demokratischen Formen verkappt,
herrscht, wie jetzt Nordamerika und Frankreich, haben die korrumpirteste Ver¬
waltung.

Diese Schwächen werden aufgehoben oder gemildert da, wo sich die Geld¬
aristokratie durch Tradition und Grundbesitz an eine bestimmte Stadt gebunden
fühlt. So war es vor allein der Fall in den italienischen und deutschen
Stadtstaaten des ausgehenden Mittelalters. Die Größe der deutschen Städte
dieser Zeit, von der noch heute vor allem ihre großartigen Kirchenbauten
zeugen, ist in erster Linie das Werk eines herrschkundigen und kunstsinnigen
Patriziats, und wer, der Florenz auch nur vom Hörensagen kennt, wüßte nicht
von dem fürstengleicheu Kaufhause der Medici und von den stolzen Palästen
ihrer Standesgenossen, der Strozzi, Ruccelai, Tornabnoni, Pitti; wer, der nur
einigen Sinn für historische Größe hat, würde nicht im Innersten ergriffen,
wenn er, den Canal grande in Venedig in sanft wiegender schwarzer Gondel
hinabgleitend, die verfallende» Paläste der einst großen Geschlechter der Markns-
repnblik, der Grimani, der Pesaro, der Cornaro, der Loredan, der Foscari,
der Giustiniani erblickt; welchem Gebildeten wäre unbekannt, wie die Renaissance
gar nicht denkbar ist ohne diese stolze Stadtaristokratie! Das war eine wahr¬
hafte Aristokratie nach Besitz, Herrschersiun, Charakter und Bildung, und auch
in unsern Tagen fehlt es, zumal in besonders selbständigen und selbstbewußten
Städten, nicht an solchen Erscheinungen, an gewissermaßen patrizischen Familien,^
die, ohne bevorrechtet zu sein, nach dem Satze handeln: noblss8ö odlig-ö, und
die nicht nur große Unternehmungen mit Hunderten von Untergebnen in vor-
nehmen Sinne leiten, sondern auch ihrer heimatlichen Stadt durch reiche Stif¬
tungen treue Anhänglichkeit erweisen.

Heute sind die Zeiten, wo Grundcidel oder Geldaristokratie allein oder^
zusammen den Staat beherrschen, bei uns vorüber, und die rechtliche Sonder¬
stellung geschlossener Stände ist verschwunden. Denn die Eigenschaften, die
beide einst zur Herrschaft befähigten, reichen heute in den unendlich verwickelten
Verhältnissen einer überaus reichen und mannigfaltigen Kulturwelt allein nicht
mehr aus. Noch viel weniger ist eine wirkliche Demokratie in großen Staaten
möglich. Vielmehr gebührt die Herrschaft einer geistigen Aristokratie, die aus
allen Ständen und Berufsklassen die besten Elemente in sich vereinigt und
nicht auf einer bestimmten Art oder einem bestimmten Maße des Besitzes be¬
ruht. Der Gedanke, einer solchen Aristokratie die Herrschaft eines Kulturvolks
zu übertragen, ist sehr alt; kein geringerer als Plato hat ihn zuerst gefaßt/
und theoretisch ausführlich entwickelt. Angewidert von der zunehmenden Ent-
artung der Demokratie seines attischen Heimatstaates, die nur groß gewesen
War, als sie thatsächlich keine Demokratie, sondern die verhüllte Alleinherrschaft
eines großen Mannes war, damals aber, zu Platos Zeit, die Herrschaft des
souveränen Unverstands bedeutete, wies der Philosoph die Herrschaft den


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[0013] Geistesaristokratie ist, und Länder, wo sie, wenn auch unter demokratischen Formen verkappt, herrscht, wie jetzt Nordamerika und Frankreich, haben die korrumpirteste Ver¬ waltung. Diese Schwächen werden aufgehoben oder gemildert da, wo sich die Geld¬ aristokratie durch Tradition und Grundbesitz an eine bestimmte Stadt gebunden fühlt. So war es vor allein der Fall in den italienischen und deutschen Stadtstaaten des ausgehenden Mittelalters. Die Größe der deutschen Städte dieser Zeit, von der noch heute vor allem ihre großartigen Kirchenbauten zeugen, ist in erster Linie das Werk eines herrschkundigen und kunstsinnigen Patriziats, und wer, der Florenz auch nur vom Hörensagen kennt, wüßte nicht von dem fürstengleicheu Kaufhause der Medici und von den stolzen Palästen ihrer Standesgenossen, der Strozzi, Ruccelai, Tornabnoni, Pitti; wer, der nur einigen Sinn für historische Größe hat, würde nicht im Innersten ergriffen, wenn er, den Canal grande in Venedig in sanft wiegender schwarzer Gondel hinabgleitend, die verfallende» Paläste der einst großen Geschlechter der Markns- repnblik, der Grimani, der Pesaro, der Cornaro, der Loredan, der Foscari, der Giustiniani erblickt; welchem Gebildeten wäre unbekannt, wie die Renaissance gar nicht denkbar ist ohne diese stolze Stadtaristokratie! Das war eine wahr¬ hafte Aristokratie nach Besitz, Herrschersiun, Charakter und Bildung, und auch in unsern Tagen fehlt es, zumal in besonders selbständigen und selbstbewußten Städten, nicht an solchen Erscheinungen, an gewissermaßen patrizischen Familien,^ die, ohne bevorrechtet zu sein, nach dem Satze handeln: noblss8ö odlig-ö, und die nicht nur große Unternehmungen mit Hunderten von Untergebnen in vor- nehmen Sinne leiten, sondern auch ihrer heimatlichen Stadt durch reiche Stif¬ tungen treue Anhänglichkeit erweisen. Heute sind die Zeiten, wo Grundcidel oder Geldaristokratie allein oder^ zusammen den Staat beherrschen, bei uns vorüber, und die rechtliche Sonder¬ stellung geschlossener Stände ist verschwunden. Denn die Eigenschaften, die beide einst zur Herrschaft befähigten, reichen heute in den unendlich verwickelten Verhältnissen einer überaus reichen und mannigfaltigen Kulturwelt allein nicht mehr aus. Noch viel weniger ist eine wirkliche Demokratie in großen Staaten möglich. Vielmehr gebührt die Herrschaft einer geistigen Aristokratie, die aus allen Ständen und Berufsklassen die besten Elemente in sich vereinigt und nicht auf einer bestimmten Art oder einem bestimmten Maße des Besitzes be¬ ruht. Der Gedanke, einer solchen Aristokratie die Herrschaft eines Kulturvolks zu übertragen, ist sehr alt; kein geringerer als Plato hat ihn zuerst gefaßt/ und theoretisch ausführlich entwickelt. Angewidert von der zunehmenden Ent- artung der Demokratie seines attischen Heimatstaates, die nur groß gewesen War, als sie thatsächlich keine Demokratie, sondern die verhüllte Alleinherrschaft eines großen Mannes war, damals aber, zu Platos Zeit, die Herrschaft des souveränen Unverstands bedeutete, wies der Philosoph die Herrschaft den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/13>, abgerufen am 23.07.2024.