Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die niederdeutsche Frage in Belgien und Südafrika

sichtigte Anglisirung des ganzen Landes ist. Wir wollen hier nur die nationale
Frage ins Auge fassen und die weitere kolonialpolitische Aussicht auf das große
afrikanische Reich des britischen Löwen vom Kap bis zum Nil unerörtert
lassen. Da der Hochdeutsche und der niederdeutsche in Südafrika der Anleh¬
nung an das Mutterland entbehrte, stellte er sich lieber auf eigne Füße, und
diesem Bestreben verdankte der Afrikanderbund sein Entstehen. Er war anti¬
englisch gemeint, ohne leider England auszuschließen. Die englische Teilnahme
aber lähmte ein nationales Vorgehen gleich anfangs. Diese Entwicklung war
ganz natürlich, da Deutschland bis 1870 nur ein geographischer Begriff
war und kolonialpolitisch auch später noch nicht anzahlte. Bismarck wollte
auch England um Frankreichs willen nicht unmittelbar vor den Kopf stoßen
und begnügte sich mit dem kleinen Schutzgebiet. Indessen behielt er dem
Reiche durch weitere Abmachung ein Einflußgebiet vor, das die Verbindung
zu den Boerenstaaten sowohl längs des Oranjeflusfes wie auch über den
Sambesi sicherte, wodurch eine Anknüpfung an die portugiesische Kolonie
Mozambique hergestellt werden konnte. Dadurch war das Gebiet nördlich
von der Kapkolonie, die jetzt dort ganz ungehindert und ungemessen schaltet
und sich ausdehnt, der englischen Ausbreitung entzogen. England hielt die
Steppenländer der sogenannten Kalahariwüste wohl selbst für wertlos, wäh¬
rend gegenwärtig die Betschuanen- und Griqualünder dieselbe Knlturfähigkeit
haben wie die Kapkolonien. Freilich wies Bismarck anscheinend bestimmte
Bündnisantrüge der südafrikanischen Republik und Portugals gegen Eng¬
land zurück, ohne jedoch seine offenbare Abneigung gegen die englischen Machen¬
schaften in Südafrika zu verhehlen. Der unglückliche Sansibarvertrag seines
kolvmalfeindlichen Nachfolgers fand daher seine herbste Mißbilligung. Dentsch-
lands unverantwortliche und durchaus ungerechtfertigte Nachgiebigkeit schaffte
England freie Bahn und zerstörte Bismarcks vorausschauendes Werk, das
uns die Möglichkeit zu einer Verbindung mit deu übrigen Beteiligten in
Südafrika offen ließ, ohne uns in offne Feindschaft mit England zu stürzen.
Auf diese hat es Albion dann selbst durch die offne Begünstigung der Nhodesschen
Ränke ankommen lassen, sodaß jetzt der easus tdsclsris hätte eintreten können.
Borher konnten wir nach formellem Recht England ohne weiteres von einem
nördlichen Vordringen durch den einfachen Hinweis auf unser vertragsmüßiges
Einflußgebiet abhalten. Jetzt können wir bloß eine befreundete, stannnesgleiche
und vergewaltigte Macht gegen englische Übergriffe schützen. Das ist aber
eine Einmischungspolitik, während wir früher in der günstigen Lage waren,
Verteidigenderweise Angriffe auf unser eignes Land zurückzuweisen. Denn der
Grund und Boden, wo Rhodesia errichtet worden ist, wäre vertragsmüßig
deutsch gewesen, wenn wir auch keinen Finger für die Erschließung des Landes
gerührt hätten. Der diplomatische Vorteil springt so klar in die Augen, daß
nur eine thatkräftige Politik uns die alte Niederlage verschmerzen lassen kann.


Die niederdeutsche Frage in Belgien und Südafrika

sichtigte Anglisirung des ganzen Landes ist. Wir wollen hier nur die nationale
Frage ins Auge fassen und die weitere kolonialpolitische Aussicht auf das große
afrikanische Reich des britischen Löwen vom Kap bis zum Nil unerörtert
lassen. Da der Hochdeutsche und der niederdeutsche in Südafrika der Anleh¬
nung an das Mutterland entbehrte, stellte er sich lieber auf eigne Füße, und
diesem Bestreben verdankte der Afrikanderbund sein Entstehen. Er war anti¬
englisch gemeint, ohne leider England auszuschließen. Die englische Teilnahme
aber lähmte ein nationales Vorgehen gleich anfangs. Diese Entwicklung war
ganz natürlich, da Deutschland bis 1870 nur ein geographischer Begriff
war und kolonialpolitisch auch später noch nicht anzahlte. Bismarck wollte
auch England um Frankreichs willen nicht unmittelbar vor den Kopf stoßen
und begnügte sich mit dem kleinen Schutzgebiet. Indessen behielt er dem
Reiche durch weitere Abmachung ein Einflußgebiet vor, das die Verbindung
zu den Boerenstaaten sowohl längs des Oranjeflusfes wie auch über den
Sambesi sicherte, wodurch eine Anknüpfung an die portugiesische Kolonie
Mozambique hergestellt werden konnte. Dadurch war das Gebiet nördlich
von der Kapkolonie, die jetzt dort ganz ungehindert und ungemessen schaltet
und sich ausdehnt, der englischen Ausbreitung entzogen. England hielt die
Steppenländer der sogenannten Kalahariwüste wohl selbst für wertlos, wäh¬
rend gegenwärtig die Betschuanen- und Griqualünder dieselbe Knlturfähigkeit
haben wie die Kapkolonien. Freilich wies Bismarck anscheinend bestimmte
Bündnisantrüge der südafrikanischen Republik und Portugals gegen Eng¬
land zurück, ohne jedoch seine offenbare Abneigung gegen die englischen Machen¬
schaften in Südafrika zu verhehlen. Der unglückliche Sansibarvertrag seines
kolvmalfeindlichen Nachfolgers fand daher seine herbste Mißbilligung. Dentsch-
lands unverantwortliche und durchaus ungerechtfertigte Nachgiebigkeit schaffte
England freie Bahn und zerstörte Bismarcks vorausschauendes Werk, das
uns die Möglichkeit zu einer Verbindung mit deu übrigen Beteiligten in
Südafrika offen ließ, ohne uns in offne Feindschaft mit England zu stürzen.
Auf diese hat es Albion dann selbst durch die offne Begünstigung der Nhodesschen
Ränke ankommen lassen, sodaß jetzt der easus tdsclsris hätte eintreten können.
Borher konnten wir nach formellem Recht England ohne weiteres von einem
nördlichen Vordringen durch den einfachen Hinweis auf unser vertragsmüßiges
Einflußgebiet abhalten. Jetzt können wir bloß eine befreundete, stannnesgleiche
und vergewaltigte Macht gegen englische Übergriffe schützen. Das ist aber
eine Einmischungspolitik, während wir früher in der günstigen Lage waren,
Verteidigenderweise Angriffe auf unser eignes Land zurückzuweisen. Denn der
Grund und Boden, wo Rhodesia errichtet worden ist, wäre vertragsmüßig
deutsch gewesen, wenn wir auch keinen Finger für die Erschließung des Landes
gerührt hätten. Der diplomatische Vorteil springt so klar in die Augen, daß
nur eine thatkräftige Politik uns die alte Niederlage verschmerzen lassen kann.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0124" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227760"/>
          <fw type="header" place="top"> Die niederdeutsche Frage in Belgien und Südafrika</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_316" prev="#ID_315" next="#ID_317"> sichtigte Anglisirung des ganzen Landes ist. Wir wollen hier nur die nationale<lb/>
Frage ins Auge fassen und die weitere kolonialpolitische Aussicht auf das große<lb/>
afrikanische Reich des britischen Löwen vom Kap bis zum Nil unerörtert<lb/>
lassen. Da der Hochdeutsche und der niederdeutsche in Südafrika der Anleh¬<lb/>
nung an das Mutterland entbehrte, stellte er sich lieber auf eigne Füße, und<lb/>
diesem Bestreben verdankte der Afrikanderbund sein Entstehen. Er war anti¬<lb/>
englisch gemeint, ohne leider England auszuschließen. Die englische Teilnahme<lb/>
aber lähmte ein nationales Vorgehen gleich anfangs. Diese Entwicklung war<lb/>
ganz natürlich, da Deutschland bis 1870 nur ein geographischer Begriff<lb/>
war und kolonialpolitisch auch später noch nicht anzahlte. Bismarck wollte<lb/>
auch England um Frankreichs willen nicht unmittelbar vor den Kopf stoßen<lb/>
und begnügte sich mit dem kleinen Schutzgebiet. Indessen behielt er dem<lb/>
Reiche durch weitere Abmachung ein Einflußgebiet vor, das die Verbindung<lb/>
zu den Boerenstaaten sowohl längs des Oranjeflusfes wie auch über den<lb/>
Sambesi sicherte, wodurch eine Anknüpfung an die portugiesische Kolonie<lb/>
Mozambique hergestellt werden konnte. Dadurch war das Gebiet nördlich<lb/>
von der Kapkolonie, die jetzt dort ganz ungehindert und ungemessen schaltet<lb/>
und sich ausdehnt, der englischen Ausbreitung entzogen. England hielt die<lb/>
Steppenländer der sogenannten Kalahariwüste wohl selbst für wertlos, wäh¬<lb/>
rend gegenwärtig die Betschuanen- und Griqualünder dieselbe Knlturfähigkeit<lb/>
haben wie die Kapkolonien. Freilich wies Bismarck anscheinend bestimmte<lb/>
Bündnisantrüge der südafrikanischen Republik und Portugals gegen Eng¬<lb/>
land zurück, ohne jedoch seine offenbare Abneigung gegen die englischen Machen¬<lb/>
schaften in Südafrika zu verhehlen. Der unglückliche Sansibarvertrag seines<lb/>
kolvmalfeindlichen Nachfolgers fand daher seine herbste Mißbilligung. Dentsch-<lb/>
lands unverantwortliche und durchaus ungerechtfertigte Nachgiebigkeit schaffte<lb/>
England freie Bahn und zerstörte Bismarcks vorausschauendes Werk, das<lb/>
uns die Möglichkeit zu einer Verbindung mit deu übrigen Beteiligten in<lb/>
Südafrika offen ließ, ohne uns in offne Feindschaft mit England zu stürzen.<lb/>
Auf diese hat es Albion dann selbst durch die offne Begünstigung der Nhodesschen<lb/>
Ränke ankommen lassen, sodaß jetzt der easus tdsclsris hätte eintreten können.<lb/>
Borher konnten wir nach formellem Recht England ohne weiteres von einem<lb/>
nördlichen Vordringen durch den einfachen Hinweis auf unser vertragsmüßiges<lb/>
Einflußgebiet abhalten. Jetzt können wir bloß eine befreundete, stannnesgleiche<lb/>
und vergewaltigte Macht gegen englische Übergriffe schützen. Das ist aber<lb/>
eine Einmischungspolitik, während wir früher in der günstigen Lage waren,<lb/>
Verteidigenderweise Angriffe auf unser eignes Land zurückzuweisen. Denn der<lb/>
Grund und Boden, wo Rhodesia errichtet worden ist, wäre vertragsmüßig<lb/>
deutsch gewesen, wenn wir auch keinen Finger für die Erschließung des Landes<lb/>
gerührt hätten. Der diplomatische Vorteil springt so klar in die Augen, daß<lb/>
nur eine thatkräftige Politik uns die alte Niederlage verschmerzen lassen kann.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0124] Die niederdeutsche Frage in Belgien und Südafrika sichtigte Anglisirung des ganzen Landes ist. Wir wollen hier nur die nationale Frage ins Auge fassen und die weitere kolonialpolitische Aussicht auf das große afrikanische Reich des britischen Löwen vom Kap bis zum Nil unerörtert lassen. Da der Hochdeutsche und der niederdeutsche in Südafrika der Anleh¬ nung an das Mutterland entbehrte, stellte er sich lieber auf eigne Füße, und diesem Bestreben verdankte der Afrikanderbund sein Entstehen. Er war anti¬ englisch gemeint, ohne leider England auszuschließen. Die englische Teilnahme aber lähmte ein nationales Vorgehen gleich anfangs. Diese Entwicklung war ganz natürlich, da Deutschland bis 1870 nur ein geographischer Begriff war und kolonialpolitisch auch später noch nicht anzahlte. Bismarck wollte auch England um Frankreichs willen nicht unmittelbar vor den Kopf stoßen und begnügte sich mit dem kleinen Schutzgebiet. Indessen behielt er dem Reiche durch weitere Abmachung ein Einflußgebiet vor, das die Verbindung zu den Boerenstaaten sowohl längs des Oranjeflusfes wie auch über den Sambesi sicherte, wodurch eine Anknüpfung an die portugiesische Kolonie Mozambique hergestellt werden konnte. Dadurch war das Gebiet nördlich von der Kapkolonie, die jetzt dort ganz ungehindert und ungemessen schaltet und sich ausdehnt, der englischen Ausbreitung entzogen. England hielt die Steppenländer der sogenannten Kalahariwüste wohl selbst für wertlos, wäh¬ rend gegenwärtig die Betschuanen- und Griqualünder dieselbe Knlturfähigkeit haben wie die Kapkolonien. Freilich wies Bismarck anscheinend bestimmte Bündnisantrüge der südafrikanischen Republik und Portugals gegen Eng¬ land zurück, ohne jedoch seine offenbare Abneigung gegen die englischen Machen¬ schaften in Südafrika zu verhehlen. Der unglückliche Sansibarvertrag seines kolvmalfeindlichen Nachfolgers fand daher seine herbste Mißbilligung. Dentsch- lands unverantwortliche und durchaus ungerechtfertigte Nachgiebigkeit schaffte England freie Bahn und zerstörte Bismarcks vorausschauendes Werk, das uns die Möglichkeit zu einer Verbindung mit deu übrigen Beteiligten in Südafrika offen ließ, ohne uns in offne Feindschaft mit England zu stürzen. Auf diese hat es Albion dann selbst durch die offne Begünstigung der Nhodesschen Ränke ankommen lassen, sodaß jetzt der easus tdsclsris hätte eintreten können. Borher konnten wir nach formellem Recht England ohne weiteres von einem nördlichen Vordringen durch den einfachen Hinweis auf unser vertragsmüßiges Einflußgebiet abhalten. Jetzt können wir bloß eine befreundete, stannnesgleiche und vergewaltigte Macht gegen englische Übergriffe schützen. Das ist aber eine Einmischungspolitik, während wir früher in der günstigen Lage waren, Verteidigenderweise Angriffe auf unser eignes Land zurückzuweisen. Denn der Grund und Boden, wo Rhodesia errichtet worden ist, wäre vertragsmüßig deutsch gewesen, wenn wir auch keinen Finger für die Erschließung des Landes gerührt hätten. Der diplomatische Vorteil springt so klar in die Augen, daß nur eine thatkräftige Politik uns die alte Niederlage verschmerzen lassen kann.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/124
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/124>, abgerufen am 28.12.2024.