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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Bahnlinien von Salonik nach Karaferia-Sorovich-Monastir und nach Üsküb
andrerseits vorzugehen war, oder ob von hier aus nach Osten hin eine weitere
Unternehmung zur See einzuleiten war, hing von der Raschheit des eignen
Handelns und von der Gewandtheit des Gegners ab, sich um Salonik in
starken Massen zu konzentriren.

Dadurch allein aber schon, daß die Türken sich durch die Landung und
Festsetzung der Griechen auf Chalkidite zur schnellen Vereinigung aller ver¬
fügbaren Truppen um Salonik gezwungen gesehn hätten, wäre der Zusammen¬
brach ihrer Herrschaft in Europa besiegelt gewesen; denn weder Serbien noch
Österreich hätten dem Abzug der türkischen Truppen von ihren Grenzen Gewehr
bei Fuß zugesehn, und noch viel weniger das kriegsbereite Bulgarien.

Es lag in der Hand Griechenlands, durch eine Demonstration gegen
Salonik von Chalkidike her alle Balkanstaaten gegen die Türkei mobil zu
machen und in seinen Kampf auch Europa hereiuzuziehn, da Österreich diesen
Platz in niemands Hände geraten lassen darf, der es hier dauernd von seiner
Verbindung übers Meer nach dem Orient abzuschneiden vermöchte. Damit
stand die Entfesselung des Wettkampfes zwischen Rußland und England
gleichfalls ganz im Belieben Griechenlands, sobald es ihm nur einfiel, von
seiner Beherrschung des Ägäischen Meeres Gebrauch zu machen und von Norden
her auf dem thrakischen Chersonnes, der heutigen Halbinsel von Gallipoli, zu
landen. Auch dieser Unternehmung hätte die Türkei kaum rasch genug ent¬
gegenzutreten vermocht, sobald sie mit Kraft und Schnelligkeit eingeleitet
worden wäre. Allerdings hätte Griechenland damit den Zorn der Bulgaren
herausgefordert, die sich schon heute als künftige Besitzer von Konstantinopel
betrachten, und deren Stammesgenossen diese Halbinsel in der Hauptsache be¬
wohnen, während Griechen nur in Gallipoli und sonst längs der Dardanellen¬
straße in den größern Küstenplützen sitzen. Wohl ohne Zweifel wäre aber
damit auch Englands Eintreten für die Griechen entschieden gewesen, da dieses
eine solche Position am Ausfallsthore Rußlands ins Mittelmeer und gegen
die indische Linie einem Staate nicht mehr hätte entwinden lassen, den es
durch Geld und Seegewalt mit Sicherheit dauernd an sich knüpfen konnte.
Nicht ohne Grund hatten die Türken alle verfügbaren Fahrzeuge, abgesehn
von ein paar kleinen Naddampfern, einem Minenleger und einem Torpedo-
bötchen, die bei Salonik stationirt waren, während des Krieges und der
Friedensverhandlungen hinter den Dardanellenschlössern aufgestellt, und, so
viel ich weiß, warten sie dort uoch heute der Dinge, die da kommen werden.
Denn eine Festsetzung der Griechen zu Lande auf der Halbinsel von Gallipoli
und ein gleichzeitiger, vom Lande her unterstützter Angriff der griechischen
Flotte in der Dardanellenstraße hätte der Pforte nur die Wahl zwischen einem
verzweifelten Ringen in dieser Meerenge oder der Annahme aller griechischen
Bedingungen gelassen.


Bahnlinien von Salonik nach Karaferia-Sorovich-Monastir und nach Üsküb
andrerseits vorzugehen war, oder ob von hier aus nach Osten hin eine weitere
Unternehmung zur See einzuleiten war, hing von der Raschheit des eignen
Handelns und von der Gewandtheit des Gegners ab, sich um Salonik in
starken Massen zu konzentriren.

Dadurch allein aber schon, daß die Türken sich durch die Landung und
Festsetzung der Griechen auf Chalkidite zur schnellen Vereinigung aller ver¬
fügbaren Truppen um Salonik gezwungen gesehn hätten, wäre der Zusammen¬
brach ihrer Herrschaft in Europa besiegelt gewesen; denn weder Serbien noch
Österreich hätten dem Abzug der türkischen Truppen von ihren Grenzen Gewehr
bei Fuß zugesehn, und noch viel weniger das kriegsbereite Bulgarien.

Es lag in der Hand Griechenlands, durch eine Demonstration gegen
Salonik von Chalkidike her alle Balkanstaaten gegen die Türkei mobil zu
machen und in seinen Kampf auch Europa hereiuzuziehn, da Österreich diesen
Platz in niemands Hände geraten lassen darf, der es hier dauernd von seiner
Verbindung übers Meer nach dem Orient abzuschneiden vermöchte. Damit
stand die Entfesselung des Wettkampfes zwischen Rußland und England
gleichfalls ganz im Belieben Griechenlands, sobald es ihm nur einfiel, von
seiner Beherrschung des Ägäischen Meeres Gebrauch zu machen und von Norden
her auf dem thrakischen Chersonnes, der heutigen Halbinsel von Gallipoli, zu
landen. Auch dieser Unternehmung hätte die Türkei kaum rasch genug ent¬
gegenzutreten vermocht, sobald sie mit Kraft und Schnelligkeit eingeleitet
worden wäre. Allerdings hätte Griechenland damit den Zorn der Bulgaren
herausgefordert, die sich schon heute als künftige Besitzer von Konstantinopel
betrachten, und deren Stammesgenossen diese Halbinsel in der Hauptsache be¬
wohnen, während Griechen nur in Gallipoli und sonst längs der Dardanellen¬
straße in den größern Küstenplützen sitzen. Wohl ohne Zweifel wäre aber
damit auch Englands Eintreten für die Griechen entschieden gewesen, da dieses
eine solche Position am Ausfallsthore Rußlands ins Mittelmeer und gegen
die indische Linie einem Staate nicht mehr hätte entwinden lassen, den es
durch Geld und Seegewalt mit Sicherheit dauernd an sich knüpfen konnte.
Nicht ohne Grund hatten die Türken alle verfügbaren Fahrzeuge, abgesehn
von ein paar kleinen Naddampfern, einem Minenleger und einem Torpedo-
bötchen, die bei Salonik stationirt waren, während des Krieges und der
Friedensverhandlungen hinter den Dardanellenschlössern aufgestellt, und, so
viel ich weiß, warten sie dort uoch heute der Dinge, die da kommen werden.
Denn eine Festsetzung der Griechen zu Lande auf der Halbinsel von Gallipoli
und ein gleichzeitiger, vom Lande her unterstützter Angriff der griechischen
Flotte in der Dardanellenstraße hätte der Pforte nur die Wahl zwischen einem
verzweifelten Ringen in dieser Meerenge oder der Annahme aller griechischen
Bedingungen gelassen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/119>, abgerufen am 23.07.2024.