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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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politisch-militärische Betrachtungen über Griechenland

das ungemein interessirte England wahrscheinlich zur Parteinahme für Griechen¬
land mit fortgerissen hätten. Es dürfte sich verlohnen, in einem Augenblick,
wo einerseits in Deutschland der Kampf um die Wehrhaftigkeit des Reichs zur
See ausgefochten worden ist, und andrerseits der Wiederausbruch der Kämpfe
zwischen Dardanellen und Suezkanal nur eine Frage der Zeit zu sein scheint,
etwas genauer auf diese Flottenfrage einzugehen.

Der bloße Besitz einer auch nur einigermaßen Achtung gebietenden Flotte
Hütte der Türkei von vornherein den Verlust von Kreta erspart, das es dann
selbst blockirt Hütte, anstatt dies den Europäern überlassen zu müssen. Ja, die
Demonstration einer hinlänglich starken türkischen Flotte vor dem Pirüus würde
im Frühjahr 1897 Delyannis und die Ethniki Hetüria ebenso zweifellos zur Ver¬
nunft gebracht haben, wie dies im Jahre 1886 die europüische Flotte erreichte.
Bei dem Mangel an jedem Schienenwege von Athen nach Thessalien war die
ganze Zufuhr von Proviant, Munition und Mannschaften nach dieser Provinz
für die Griechen auf das Meer angewiesen. Wäre eine türkische Flotte dagewesen,
so hätte deren Ausstellung vor dem Golf von Volo völlig ausgereicht, alle
Streitigkeiten im voraus endgiltig zu erledigen. In Wirklichkeit hat aber die
Türkei gar keine Flotte mehr; wie mir der deutsch-türkische Admiral Kalau
vom Hofe Pascha mitteilte, sind an see- und gefechtstüchtigen Schiffen nur
einige Torpedoboote vorhanden; alles andre ist gänzlich wertlos. Um zu
wissen, wer diese Entwaffnung der Türkei zur See bewirkt hat, braucht man
sich nur zu fragen: Lüi donc>? wem zu nutze? Infolge dieser Ohnmacht ist die
Türkei vielleicht nicht viel mehr als ein Vasallenstaat von Rußland, und wie
Rußland dies erreicht hat, ist bei seinem Reichtum und seiner Freigebigkeit und
dem ungeheuern Vermögen, das der türkische Marineminister erworben hat,
nicht schwer zu erraten; so meint man wenigstens in Konstantinopel.

Wollte Griechenland aber im vorigen Frühjahr doch einmal den Stein ins
Rollen bringen, so mußte dies durch einen auf die Flotte gestützten Angriff
schon aus politischen Rücksichten geschehen. Griechische Erfolge an den Küsten
des Ägäischen Meeres hätten England eine Basis geschaffen, wenn nicht zum
Angriff auf die Dardanellen, fo wenigstens zur vorgeschobnen Verteidigung der
Linie durchs Mittelmeer nach Südasien; und so wäre mit Sicherheit auf den
Schutz Englands in den gewonnenen Positionen am Gestade des Meeres, zum
allermindesten aber auf starke englische Subsidien zu zählen gewesen. Mit
diesen hätte dann auch die Befriedigung der unbezahlten Gläubiger in Europa
und damit ein Umschwung der gesamten Stimmung gegen Griechenland erzielt
werden können.

Aber auch aus rein militärischen Gründen bot nur ein auf die
Flotte gestützter Feldzugsplan Griechenland Aussicht auf Erfolge. Nur die
tollste Verblendung konnte an den Angriff eines im Lande operirenden
Heeres denken, statt dessen Kraft mit der der Flotte an der Küste zusammen-


politisch-militärische Betrachtungen über Griechenland

das ungemein interessirte England wahrscheinlich zur Parteinahme für Griechen¬
land mit fortgerissen hätten. Es dürfte sich verlohnen, in einem Augenblick,
wo einerseits in Deutschland der Kampf um die Wehrhaftigkeit des Reichs zur
See ausgefochten worden ist, und andrerseits der Wiederausbruch der Kämpfe
zwischen Dardanellen und Suezkanal nur eine Frage der Zeit zu sein scheint,
etwas genauer auf diese Flottenfrage einzugehen.

Der bloße Besitz einer auch nur einigermaßen Achtung gebietenden Flotte
Hütte der Türkei von vornherein den Verlust von Kreta erspart, das es dann
selbst blockirt Hütte, anstatt dies den Europäern überlassen zu müssen. Ja, die
Demonstration einer hinlänglich starken türkischen Flotte vor dem Pirüus würde
im Frühjahr 1897 Delyannis und die Ethniki Hetüria ebenso zweifellos zur Ver¬
nunft gebracht haben, wie dies im Jahre 1886 die europüische Flotte erreichte.
Bei dem Mangel an jedem Schienenwege von Athen nach Thessalien war die
ganze Zufuhr von Proviant, Munition und Mannschaften nach dieser Provinz
für die Griechen auf das Meer angewiesen. Wäre eine türkische Flotte dagewesen,
so hätte deren Ausstellung vor dem Golf von Volo völlig ausgereicht, alle
Streitigkeiten im voraus endgiltig zu erledigen. In Wirklichkeit hat aber die
Türkei gar keine Flotte mehr; wie mir der deutsch-türkische Admiral Kalau
vom Hofe Pascha mitteilte, sind an see- und gefechtstüchtigen Schiffen nur
einige Torpedoboote vorhanden; alles andre ist gänzlich wertlos. Um zu
wissen, wer diese Entwaffnung der Türkei zur See bewirkt hat, braucht man
sich nur zu fragen: Lüi donc>? wem zu nutze? Infolge dieser Ohnmacht ist die
Türkei vielleicht nicht viel mehr als ein Vasallenstaat von Rußland, und wie
Rußland dies erreicht hat, ist bei seinem Reichtum und seiner Freigebigkeit und
dem ungeheuern Vermögen, das der türkische Marineminister erworben hat,
nicht schwer zu erraten; so meint man wenigstens in Konstantinopel.

Wollte Griechenland aber im vorigen Frühjahr doch einmal den Stein ins
Rollen bringen, so mußte dies durch einen auf die Flotte gestützten Angriff
schon aus politischen Rücksichten geschehen. Griechische Erfolge an den Küsten
des Ägäischen Meeres hätten England eine Basis geschaffen, wenn nicht zum
Angriff auf die Dardanellen, fo wenigstens zur vorgeschobnen Verteidigung der
Linie durchs Mittelmeer nach Südasien; und so wäre mit Sicherheit auf den
Schutz Englands in den gewonnenen Positionen am Gestade des Meeres, zum
allermindesten aber auf starke englische Subsidien zu zählen gewesen. Mit
diesen hätte dann auch die Befriedigung der unbezahlten Gläubiger in Europa
und damit ein Umschwung der gesamten Stimmung gegen Griechenland erzielt
werden können.

Aber auch aus rein militärischen Gründen bot nur ein auf die
Flotte gestützter Feldzugsplan Griechenland Aussicht auf Erfolge. Nur die
tollste Verblendung konnte an den Angriff eines im Lande operirenden
Heeres denken, statt dessen Kraft mit der der Flotte an der Küste zusammen-


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[0114] politisch-militärische Betrachtungen über Griechenland das ungemein interessirte England wahrscheinlich zur Parteinahme für Griechen¬ land mit fortgerissen hätten. Es dürfte sich verlohnen, in einem Augenblick, wo einerseits in Deutschland der Kampf um die Wehrhaftigkeit des Reichs zur See ausgefochten worden ist, und andrerseits der Wiederausbruch der Kämpfe zwischen Dardanellen und Suezkanal nur eine Frage der Zeit zu sein scheint, etwas genauer auf diese Flottenfrage einzugehen. Der bloße Besitz einer auch nur einigermaßen Achtung gebietenden Flotte Hütte der Türkei von vornherein den Verlust von Kreta erspart, das es dann selbst blockirt Hütte, anstatt dies den Europäern überlassen zu müssen. Ja, die Demonstration einer hinlänglich starken türkischen Flotte vor dem Pirüus würde im Frühjahr 1897 Delyannis und die Ethniki Hetüria ebenso zweifellos zur Ver¬ nunft gebracht haben, wie dies im Jahre 1886 die europüische Flotte erreichte. Bei dem Mangel an jedem Schienenwege von Athen nach Thessalien war die ganze Zufuhr von Proviant, Munition und Mannschaften nach dieser Provinz für die Griechen auf das Meer angewiesen. Wäre eine türkische Flotte dagewesen, so hätte deren Ausstellung vor dem Golf von Volo völlig ausgereicht, alle Streitigkeiten im voraus endgiltig zu erledigen. In Wirklichkeit hat aber die Türkei gar keine Flotte mehr; wie mir der deutsch-türkische Admiral Kalau vom Hofe Pascha mitteilte, sind an see- und gefechtstüchtigen Schiffen nur einige Torpedoboote vorhanden; alles andre ist gänzlich wertlos. Um zu wissen, wer diese Entwaffnung der Türkei zur See bewirkt hat, braucht man sich nur zu fragen: Lüi donc>? wem zu nutze? Infolge dieser Ohnmacht ist die Türkei vielleicht nicht viel mehr als ein Vasallenstaat von Rußland, und wie Rußland dies erreicht hat, ist bei seinem Reichtum und seiner Freigebigkeit und dem ungeheuern Vermögen, das der türkische Marineminister erworben hat, nicht schwer zu erraten; so meint man wenigstens in Konstantinopel. Wollte Griechenland aber im vorigen Frühjahr doch einmal den Stein ins Rollen bringen, so mußte dies durch einen auf die Flotte gestützten Angriff schon aus politischen Rücksichten geschehen. Griechische Erfolge an den Küsten des Ägäischen Meeres hätten England eine Basis geschaffen, wenn nicht zum Angriff auf die Dardanellen, fo wenigstens zur vorgeschobnen Verteidigung der Linie durchs Mittelmeer nach Südasien; und so wäre mit Sicherheit auf den Schutz Englands in den gewonnenen Positionen am Gestade des Meeres, zum allermindesten aber auf starke englische Subsidien zu zählen gewesen. Mit diesen hätte dann auch die Befriedigung der unbezahlten Gläubiger in Europa und damit ein Umschwung der gesamten Stimmung gegen Griechenland erzielt werden können. Aber auch aus rein militärischen Gründen bot nur ein auf die Flotte gestützter Feldzugsplan Griechenland Aussicht auf Erfolge. Nur die tollste Verblendung konnte an den Angriff eines im Lande operirenden Heeres denken, statt dessen Kraft mit der der Flotte an der Küste zusammen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/114>, abgerufen am 23.07.2024.