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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Hundert Jahre Allgemeine Zeitung

gebotnen Brief Herweghs an Friedrich Wilhelm IV. nicht abgedruckt hat, und
Alexander von Humboldt bewährt sich als Freund des Verlegers, wenn die
Zeitung in Berlin Mißfallen erregt hat. Von Interesse wäre es, zu erfahren,
ob die von Heyck gegebne Darstellung der in ihren Folgen bedeutsam gewordnen
Angelegenheit Herweghs zuverlässig ist. Früher wurde erzählt, der König
habe selbst den Wunsch geäußert, den in Berlin anwesenden jungen Dichter,
der ihn in so schwungvollen Versen angesungen hatte, persönlich kennen zu
lernen, und das war durchaus glaubwürdig im Jahre 1842. Bei der Audienz
sielen die schmeichelhaften Äußerungen "Wir wollen ehrliche Feinde sein" usw.;
doch unmittelbar hinterher erfolgte das Verbot einer noch gar nicht erschienenen
Zeitung, deren Redaktion Herwegh übernehmen sollte. Wenn dem gegenüber
der durch seinen Triumphzug von Zürich bis Königsberg Berauschte sich zu
einem unpassenden Brief hinreißen ließ, so war das kein Kapitalverbrechen;
auch sagte man, daß die Ärgernis erregende Veröffentlichung des Schreibens
in der Leipziger Allgemeinen Zeitung nicht von ihm ausgegangen sei, sondern
von einem jüdischen Rechtsanwalt in Königsberg, Crelinger. Ein wesentlich
andres Gesicht erhält jedoch dieser Handel, wenn wirklich die Audienz erbeten
und erst nach achttägiger Überlegung gewährt worden sein sollte. Wie dem
auch sei, der deutschen Presse im allgemeinen bekam es sehr schlecht, daß, wie
Heine es darstellte, Herwegh vor "König Philipp und seinen uckermärkischen
Granden" den Marquis Posa gespielt hatte, nur der A. Z. wurde der in
diesem Falle bewiesene Takt gut angeschrieben, während sonst der spezifisch¬
preußische Verkehrston nicht geeignet war, die in Augsburg bestehende Vor¬
liebe für Österreich abzulenken. Erst die großen Ereignisse der letzten drei
Jahrzehnte machten es der A. Z. möglich, sich entschieden auf die Seite des
Reiches zu stellen und an der endgiltigen Beseitigung der "Mainlinie" kräftig
mitzuwirken.

In der Beurteilung ihres Verhältnisses zu Österreich ist der Zeitung
wohl oft Unrecht geschehen. Sie war bis 1848 und noch darüber hinaus
eigentlich die österreichische Zeitung, da das, was im Lande gedruckt wurde,
den Namen nicht verdiente. Noch in einer Erzählung von Marie von Ebner-
Eschenbach: "Die Freiherren von Gemperlein" ist mit Humor geschildert, wie
die durch die Politik entzweiten beiden Brüder sich hinter ihre Zeitungen ver¬
schanzen, rechts die privilegirte Wiener Zeitung, links die Augsburger. Und
diese Stellung der A. Z. war umso wichtiger, da sie bei aller Rücksicht auf
die Wiener Staatskanzlei doch nach Überwindung der französelnden und kosmo¬
politischen Jugendverirrungen immer gut deutsch blieb. Aber in Deutschland
wurde man nach 1840 durch die -- erste, nicht die rote -- Rheinische Zeitung,
die Königsberger Hartungsche, die Mannheimer Abendzeitung und zahlreiche
kleine Wochenblätter und Flugschriften an eine schärfere Opposition gewöhnt,
und wer in denselben Ton nicht einstimmen konnte oder wollte, dem wurde


Hundert Jahre Allgemeine Zeitung

gebotnen Brief Herweghs an Friedrich Wilhelm IV. nicht abgedruckt hat, und
Alexander von Humboldt bewährt sich als Freund des Verlegers, wenn die
Zeitung in Berlin Mißfallen erregt hat. Von Interesse wäre es, zu erfahren,
ob die von Heyck gegebne Darstellung der in ihren Folgen bedeutsam gewordnen
Angelegenheit Herweghs zuverlässig ist. Früher wurde erzählt, der König
habe selbst den Wunsch geäußert, den in Berlin anwesenden jungen Dichter,
der ihn in so schwungvollen Versen angesungen hatte, persönlich kennen zu
lernen, und das war durchaus glaubwürdig im Jahre 1842. Bei der Audienz
sielen die schmeichelhaften Äußerungen „Wir wollen ehrliche Feinde sein" usw.;
doch unmittelbar hinterher erfolgte das Verbot einer noch gar nicht erschienenen
Zeitung, deren Redaktion Herwegh übernehmen sollte. Wenn dem gegenüber
der durch seinen Triumphzug von Zürich bis Königsberg Berauschte sich zu
einem unpassenden Brief hinreißen ließ, so war das kein Kapitalverbrechen;
auch sagte man, daß die Ärgernis erregende Veröffentlichung des Schreibens
in der Leipziger Allgemeinen Zeitung nicht von ihm ausgegangen sei, sondern
von einem jüdischen Rechtsanwalt in Königsberg, Crelinger. Ein wesentlich
andres Gesicht erhält jedoch dieser Handel, wenn wirklich die Audienz erbeten
und erst nach achttägiger Überlegung gewährt worden sein sollte. Wie dem
auch sei, der deutschen Presse im allgemeinen bekam es sehr schlecht, daß, wie
Heine es darstellte, Herwegh vor „König Philipp und seinen uckermärkischen
Granden" den Marquis Posa gespielt hatte, nur der A. Z. wurde der in
diesem Falle bewiesene Takt gut angeschrieben, während sonst der spezifisch¬
preußische Verkehrston nicht geeignet war, die in Augsburg bestehende Vor¬
liebe für Österreich abzulenken. Erst die großen Ereignisse der letzten drei
Jahrzehnte machten es der A. Z. möglich, sich entschieden auf die Seite des
Reiches zu stellen und an der endgiltigen Beseitigung der „Mainlinie" kräftig
mitzuwirken.

In der Beurteilung ihres Verhältnisses zu Österreich ist der Zeitung
wohl oft Unrecht geschehen. Sie war bis 1848 und noch darüber hinaus
eigentlich die österreichische Zeitung, da das, was im Lande gedruckt wurde,
den Namen nicht verdiente. Noch in einer Erzählung von Marie von Ebner-
Eschenbach: „Die Freiherren von Gemperlein" ist mit Humor geschildert, wie
die durch die Politik entzweiten beiden Brüder sich hinter ihre Zeitungen ver¬
schanzen, rechts die privilegirte Wiener Zeitung, links die Augsburger. Und
diese Stellung der A. Z. war umso wichtiger, da sie bei aller Rücksicht auf
die Wiener Staatskanzlei doch nach Überwindung der französelnden und kosmo¬
politischen Jugendverirrungen immer gut deutsch blieb. Aber in Deutschland
wurde man nach 1840 durch die — erste, nicht die rote — Rheinische Zeitung,
die Königsberger Hartungsche, die Mannheimer Abendzeitung und zahlreiche
kleine Wochenblätter und Flugschriften an eine schärfere Opposition gewöhnt,
und wer in denselben Ton nicht einstimmen konnte oder wollte, dem wurde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/697>, abgerufen am 09.01.2025.