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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Die Linfiihrnng der Deportation in das deutsche Strafrecht

berechtigt sein würde, ohne eine Änderung des Strafgesetzes Sträflinge zur
Arbeit in die Kolonien oder Schutzgebiete zu schicken, so ist es von Interesse,
hier bei Du Came zu lesen, wie in England die erste Schwierigkeit umgangen
wurde, die darin lag, daß eine "gezwungne Verbannung" (LOMpuIsor^ bimisn-
niMt) sür jeden englischen Bürger durch die Naxna ob-irtg. geradezu aus¬
geschlossen war. Man half sich hier, schon unter Jakob I. dadurch, daß man
strafwürdiger Personen die Selbstverbannung empfahl, indem man ihnen nur
die Wahl zwischen dieser und dem Hängen ließ. Da unter solchen Umstünden
gewöhnlich das erste vorgezogen wurde, bürgerte sich diese Verbannung, die
zuerst nach der Insel Barbados und den jetzigen Staaten Maryland und New
Uork in Nordamerika gerichtet wurde, immer mehr ein. Dabei sollte es in
der ersten Zeit diesen Personen selbst überlassen bleiben, wie sie ihre "Selbst¬
verbannung" bewerkstellige!, würden, d. h. sie mußten auf ihre eignen Kosten
abfahren. Nur notgedrungen und widerwillig ging die damalige englische
Negierung dazu über, diesen Transport selber zu übernehmen, aber die Kosten
zog sie wie Armeukosteu von den betreffenden Heimatsgemeinden wieder eim
Sehr bald übergab sie den Transport in öffentlicher Auktion den Mindest-
svrderndcn, wobei bald der Preis von zwanzig Pfund Sterling auf den Kopf
der gewöhnliche wurde. Es wurde, wie Du Cane berichtet, ein förmlicher
Sklavenhandel mit diesen Verdingungeu getrieben, und die Sterblichkeit auf
den Transportschiffen erreichte eine erschreckende Hohe; nur dadurch wurde sie
verringert, daß die braven Unternehmer einen Teil der von ihnen in Bristol
an Bord genommnen Sträflinge in Lundy Island, also noch auf englischem
Boden, wieder ans Land setzten. Welchen Umfang aber diese Verschickung
annahm, als man erst Australien dafür als geeignet befunden hatte, ersieht man
daraus, daß in den fünfzig Jahren von 1788 bis 1838 134308 Sträflinge
dorthin transportirt wurden (also etwa 2700 auf jedes Jahr, wovon aber z. B.
auf 1831: 4920, auf 1838 schon nur noch 3805 kommen ^Du Cane a. a. O.
S. 111^). Wenn man diese Zahlen mit den so äußerst primitiven Anfängen
der "Transportation" vergleicht, so sieht man bald, welche Erfolge sich auf
diesem Wege des rein praktischen Vorgehens erreichen lassen.

Wenn aber dieses Deportationssystem selbst in dem an Kolonien so reichen
England keine dauernde Einrichtung hat werden können, sondern sich eine all¬
mähliche Um- und Zurückbilduug hat gefallen lassen müssen, so könnten diese
geschichtlichen Lehren und Erfahrungen doch Deutschland davon abhalten, ab¬
gestorbne Einrichtungen von neuem wieder ins Leben zu rufen. Professor
Brück meint in seiner letzten Schrift, außer Professor Voruhak (der sich auf
dem letzten Juristentag zu Gunsten der Deportationsstrafe ausgesprochen hat)
habe noch niemand daran gezweifelt, daß Zuchthaus- und Deportativnsstrafe
verschiedne Strafarten seien. Wir erlauben uns ebenso, daran zu zweifeln,
wenn man den Standpunkt berücksichtigt, daß die Deportationsstrafe erst ge-


Die Linfiihrnng der Deportation in das deutsche Strafrecht

berechtigt sein würde, ohne eine Änderung des Strafgesetzes Sträflinge zur
Arbeit in die Kolonien oder Schutzgebiete zu schicken, so ist es von Interesse,
hier bei Du Came zu lesen, wie in England die erste Schwierigkeit umgangen
wurde, die darin lag, daß eine „gezwungne Verbannung" (LOMpuIsor^ bimisn-
niMt) sür jeden englischen Bürger durch die Naxna ob-irtg. geradezu aus¬
geschlossen war. Man half sich hier, schon unter Jakob I. dadurch, daß man
strafwürdiger Personen die Selbstverbannung empfahl, indem man ihnen nur
die Wahl zwischen dieser und dem Hängen ließ. Da unter solchen Umstünden
gewöhnlich das erste vorgezogen wurde, bürgerte sich diese Verbannung, die
zuerst nach der Insel Barbados und den jetzigen Staaten Maryland und New
Uork in Nordamerika gerichtet wurde, immer mehr ein. Dabei sollte es in
der ersten Zeit diesen Personen selbst überlassen bleiben, wie sie ihre „Selbst¬
verbannung" bewerkstellige!, würden, d. h. sie mußten auf ihre eignen Kosten
abfahren. Nur notgedrungen und widerwillig ging die damalige englische
Negierung dazu über, diesen Transport selber zu übernehmen, aber die Kosten
zog sie wie Armeukosteu von den betreffenden Heimatsgemeinden wieder eim
Sehr bald übergab sie den Transport in öffentlicher Auktion den Mindest-
svrderndcn, wobei bald der Preis von zwanzig Pfund Sterling auf den Kopf
der gewöhnliche wurde. Es wurde, wie Du Cane berichtet, ein förmlicher
Sklavenhandel mit diesen Verdingungeu getrieben, und die Sterblichkeit auf
den Transportschiffen erreichte eine erschreckende Hohe; nur dadurch wurde sie
verringert, daß die braven Unternehmer einen Teil der von ihnen in Bristol
an Bord genommnen Sträflinge in Lundy Island, also noch auf englischem
Boden, wieder ans Land setzten. Welchen Umfang aber diese Verschickung
annahm, als man erst Australien dafür als geeignet befunden hatte, ersieht man
daraus, daß in den fünfzig Jahren von 1788 bis 1838 134308 Sträflinge
dorthin transportirt wurden (also etwa 2700 auf jedes Jahr, wovon aber z. B.
auf 1831: 4920, auf 1838 schon nur noch 3805 kommen ^Du Cane a. a. O.
S. 111^). Wenn man diese Zahlen mit den so äußerst primitiven Anfängen
der „Transportation" vergleicht, so sieht man bald, welche Erfolge sich auf
diesem Wege des rein praktischen Vorgehens erreichen lassen.

Wenn aber dieses Deportationssystem selbst in dem an Kolonien so reichen
England keine dauernde Einrichtung hat werden können, sondern sich eine all¬
mähliche Um- und Zurückbilduug hat gefallen lassen müssen, so könnten diese
geschichtlichen Lehren und Erfahrungen doch Deutschland davon abhalten, ab¬
gestorbne Einrichtungen von neuem wieder ins Leben zu rufen. Professor
Brück meint in seiner letzten Schrift, außer Professor Voruhak (der sich auf
dem letzten Juristentag zu Gunsten der Deportationsstrafe ausgesprochen hat)
habe noch niemand daran gezweifelt, daß Zuchthaus- und Deportativnsstrafe
verschiedne Strafarten seien. Wir erlauben uns ebenso, daran zu zweifeln,
wenn man den Standpunkt berücksichtigt, daß die Deportationsstrafe erst ge-


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[0683] Die Linfiihrnng der Deportation in das deutsche Strafrecht berechtigt sein würde, ohne eine Änderung des Strafgesetzes Sträflinge zur Arbeit in die Kolonien oder Schutzgebiete zu schicken, so ist es von Interesse, hier bei Du Came zu lesen, wie in England die erste Schwierigkeit umgangen wurde, die darin lag, daß eine „gezwungne Verbannung" (LOMpuIsor^ bimisn- niMt) sür jeden englischen Bürger durch die Naxna ob-irtg. geradezu aus¬ geschlossen war. Man half sich hier, schon unter Jakob I. dadurch, daß man strafwürdiger Personen die Selbstverbannung empfahl, indem man ihnen nur die Wahl zwischen dieser und dem Hängen ließ. Da unter solchen Umstünden gewöhnlich das erste vorgezogen wurde, bürgerte sich diese Verbannung, die zuerst nach der Insel Barbados und den jetzigen Staaten Maryland und New Uork in Nordamerika gerichtet wurde, immer mehr ein. Dabei sollte es in der ersten Zeit diesen Personen selbst überlassen bleiben, wie sie ihre „Selbst¬ verbannung" bewerkstellige!, würden, d. h. sie mußten auf ihre eignen Kosten abfahren. Nur notgedrungen und widerwillig ging die damalige englische Negierung dazu über, diesen Transport selber zu übernehmen, aber die Kosten zog sie wie Armeukosteu von den betreffenden Heimatsgemeinden wieder eim Sehr bald übergab sie den Transport in öffentlicher Auktion den Mindest- svrderndcn, wobei bald der Preis von zwanzig Pfund Sterling auf den Kopf der gewöhnliche wurde. Es wurde, wie Du Cane berichtet, ein förmlicher Sklavenhandel mit diesen Verdingungeu getrieben, und die Sterblichkeit auf den Transportschiffen erreichte eine erschreckende Hohe; nur dadurch wurde sie verringert, daß die braven Unternehmer einen Teil der von ihnen in Bristol an Bord genommnen Sträflinge in Lundy Island, also noch auf englischem Boden, wieder ans Land setzten. Welchen Umfang aber diese Verschickung annahm, als man erst Australien dafür als geeignet befunden hatte, ersieht man daraus, daß in den fünfzig Jahren von 1788 bis 1838 134308 Sträflinge dorthin transportirt wurden (also etwa 2700 auf jedes Jahr, wovon aber z. B. auf 1831: 4920, auf 1838 schon nur noch 3805 kommen ^Du Cane a. a. O. S. 111^). Wenn man diese Zahlen mit den so äußerst primitiven Anfängen der „Transportation" vergleicht, so sieht man bald, welche Erfolge sich auf diesem Wege des rein praktischen Vorgehens erreichen lassen. Wenn aber dieses Deportationssystem selbst in dem an Kolonien so reichen England keine dauernde Einrichtung hat werden können, sondern sich eine all¬ mähliche Um- und Zurückbilduug hat gefallen lassen müssen, so könnten diese geschichtlichen Lehren und Erfahrungen doch Deutschland davon abhalten, ab¬ gestorbne Einrichtungen von neuem wieder ins Leben zu rufen. Professor Brück meint in seiner letzten Schrift, außer Professor Voruhak (der sich auf dem letzten Juristentag zu Gunsten der Deportationsstrafe ausgesprochen hat) habe noch niemand daran gezweifelt, daß Zuchthaus- und Deportativnsstrafe verschiedne Strafarten seien. Wir erlauben uns ebenso, daran zu zweifeln, wenn man den Standpunkt berücksichtigt, daß die Deportationsstrafe erst ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/683>, abgerufen am 09.01.2025.