Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Die Bibel Vorwürfe macht, daß er ein Kebsweib des verstorbnen Königs besucht habe, Man hat David natürlich auch die Psalmen abgesprochen, nicht bloß Die Bibel Vorwürfe macht, daß er ein Kebsweib des verstorbnen Königs besucht habe, Man hat David natürlich auch die Psalmen abgesprochen, nicht bloß <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0663" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227565"/> <fw type="header" place="top"> Die Bibel</fw><lb/> <p xml:id="ID_2383" prev="#ID_2382"> Vorwürfe macht, daß er ein Kebsweib des verstorbnen Königs besucht habe,<lb/> und Abner antwortet: Bin ich denn ein Hund, daß du mich wegen eines<lb/> Weibes beschuldigst? Mich, der ich deines Vaters Hause Barmherzigkeit er¬<lb/> wiese» und dich nicht in die Hände Davids ausgeliefert habe? Gott soll mir<lb/> dies und das thun, wenn ich nicht jetzt nach dem göttlichen Spruch das König¬<lb/> reich dem Hause Sauls nehme und auf David übertrage! Oder im neun¬<lb/> zehnten Kapitel die Klage Davids um den gefallnen Absalom und was Joab<lb/> dazu sagt: „Du hast heute mit Scham- und Zornröte Übergossen das Antlitz<lb/> aller deiner Knechte, die dir, deinen Kindern und deinen Weibern das<lb/> Leben gerettet haben; du liebst, die dich hassen, und du hassest, die dich<lb/> lieben, und zeigst, daß dir an deinen Feldherren und an deinen Knechten gar<lb/> nichts liegt, und daß es dir ganz recht wäre, wenn wir alle umgekommen<lb/> wären und nur dein Absalom lebte: stehe jetzt auf, gehe hinaus, rede zu<lb/> deinen Knechten und besänftige sie; denn ich schwöre dir, daß, wenn du dies<lb/> nicht thust, diese Nacht auch nicht einer bei dir bleibt, und das, was dir be¬<lb/> vorsteht, schlimmer sein wird als alles, was seit deiner Jugend über dich ge¬<lb/> kommen ist. Da stand der König auf und setzte sich ins Thor." Ich hätte<lb/> eine beliebige andre Charakterschilderung oder Episode herausgreifen können;<lb/> alles, was man da liest, macht den Eindruck von Photographien oder Kine¬<lb/> matographen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2384"> Man hat David natürlich auch die Psalmen abgesprochen, nicht bloß<lb/> einige, sondern alle. Ans welchen äußern Gründen, weiß ich nicht, es ist<lb/> mir gleichgiltig; aber innere Gründe vermag ich nicht anzuerkennen. Warum<lb/> sollte der Mann, den die Köuigsgeschichten darstellen, nicht von der tiefen<lb/> Religiosität, dem unerschütterlichen Glauben und Gottvertrauen und dem heißen<lb/> Verlangen nach Verherrlichung Gottes erfüllt gewesen sein, die aus den<lb/> Psalmen sprechen? Was stünde dem im Wege? Seine Blutthaten und seine<lb/> Rachsucht? Aber sind etwa die Inquisitoren aus dem Dominikanerorden, die<lb/> Albigenserschlächtcr und die Puritaner Lämmer gewesen? Oder seine Schlau¬<lb/> heit und Treulosigkeit? Aber haben nicht so ziemlich alle berühmten Staats¬<lb/> männer, die frommen nicht ausgenommen, dem Ideal Machiavellis entsprochen?<lb/> Oder seine Weiber? Aber haben Karl der Große, Ludwig XIV. und andre fromme<lb/> Fürsten nicht auch viele Weiber geliebt? Übrigens war David nicht verhärtet,<lb/> und soweit seine eignen Interessen nicht ins Spiel kamen, vom lebhaftesten<lb/> Gerechtigkeitsgefühl beseelt, wie seine Antwort auf die Parabel des Propheten<lb/> Nathan und seine Zerknirschung nach dem „du bist der Mann" beweisen.<lb/> Daß er einen Gottesdienst einrichtete, dessen Hauptbestandteil sinnvolle Gesänge<lb/> bildeten, gereicht ihm zu unsterblichem Ruhme; Asien machte damit denselben<lb/> Fortschritt wie Europa durch die „Geburt der Tragödie" aus dem Dionysos-<lb/> kultus. Tendenzlos ist die Erzählung freilich nicht, denn die Könige, die<lb/> Jehovcch treu waren, werden gelobt, die götzendienerischen werden getadelt<lb/> ^ er that Böses vor dem Herrn, heißt es von jedem solchen —, und die Un¬<lb/> fälle, die die bösen Könige, ihre Familien und ihre Staaten trafen, werden<lb/> als Strafen Gottes dargestellt. Aber die Tendenz beschränkt sich aus die Bei¬<lb/> fügung dieser Urteile zu der im übrigen wahrheitsgetreuer und unverfälschten<lb/> Geschichtserzählung. Diese ist offenbar nichts andres als eine wahrscheinlich<lb/> abgekürzte aber sonst wortgetreue Abschrift der amtlichen Annalen, und die<lb/> Zusätze hat der fromme Bearbeiter gemacht, ohne an seiner Vorlage sonst noch<lb/> etwas zu ändern.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0663]
Die Bibel
Vorwürfe macht, daß er ein Kebsweib des verstorbnen Königs besucht habe,
und Abner antwortet: Bin ich denn ein Hund, daß du mich wegen eines
Weibes beschuldigst? Mich, der ich deines Vaters Hause Barmherzigkeit er¬
wiese» und dich nicht in die Hände Davids ausgeliefert habe? Gott soll mir
dies und das thun, wenn ich nicht jetzt nach dem göttlichen Spruch das König¬
reich dem Hause Sauls nehme und auf David übertrage! Oder im neun¬
zehnten Kapitel die Klage Davids um den gefallnen Absalom und was Joab
dazu sagt: „Du hast heute mit Scham- und Zornröte Übergossen das Antlitz
aller deiner Knechte, die dir, deinen Kindern und deinen Weibern das
Leben gerettet haben; du liebst, die dich hassen, und du hassest, die dich
lieben, und zeigst, daß dir an deinen Feldherren und an deinen Knechten gar
nichts liegt, und daß es dir ganz recht wäre, wenn wir alle umgekommen
wären und nur dein Absalom lebte: stehe jetzt auf, gehe hinaus, rede zu
deinen Knechten und besänftige sie; denn ich schwöre dir, daß, wenn du dies
nicht thust, diese Nacht auch nicht einer bei dir bleibt, und das, was dir be¬
vorsteht, schlimmer sein wird als alles, was seit deiner Jugend über dich ge¬
kommen ist. Da stand der König auf und setzte sich ins Thor." Ich hätte
eine beliebige andre Charakterschilderung oder Episode herausgreifen können;
alles, was man da liest, macht den Eindruck von Photographien oder Kine¬
matographen.
Man hat David natürlich auch die Psalmen abgesprochen, nicht bloß
einige, sondern alle. Ans welchen äußern Gründen, weiß ich nicht, es ist
mir gleichgiltig; aber innere Gründe vermag ich nicht anzuerkennen. Warum
sollte der Mann, den die Köuigsgeschichten darstellen, nicht von der tiefen
Religiosität, dem unerschütterlichen Glauben und Gottvertrauen und dem heißen
Verlangen nach Verherrlichung Gottes erfüllt gewesen sein, die aus den
Psalmen sprechen? Was stünde dem im Wege? Seine Blutthaten und seine
Rachsucht? Aber sind etwa die Inquisitoren aus dem Dominikanerorden, die
Albigenserschlächtcr und die Puritaner Lämmer gewesen? Oder seine Schlau¬
heit und Treulosigkeit? Aber haben nicht so ziemlich alle berühmten Staats¬
männer, die frommen nicht ausgenommen, dem Ideal Machiavellis entsprochen?
Oder seine Weiber? Aber haben Karl der Große, Ludwig XIV. und andre fromme
Fürsten nicht auch viele Weiber geliebt? Übrigens war David nicht verhärtet,
und soweit seine eignen Interessen nicht ins Spiel kamen, vom lebhaftesten
Gerechtigkeitsgefühl beseelt, wie seine Antwort auf die Parabel des Propheten
Nathan und seine Zerknirschung nach dem „du bist der Mann" beweisen.
Daß er einen Gottesdienst einrichtete, dessen Hauptbestandteil sinnvolle Gesänge
bildeten, gereicht ihm zu unsterblichem Ruhme; Asien machte damit denselben
Fortschritt wie Europa durch die „Geburt der Tragödie" aus dem Dionysos-
kultus. Tendenzlos ist die Erzählung freilich nicht, denn die Könige, die
Jehovcch treu waren, werden gelobt, die götzendienerischen werden getadelt
^ er that Böses vor dem Herrn, heißt es von jedem solchen —, und die Un¬
fälle, die die bösen Könige, ihre Familien und ihre Staaten trafen, werden
als Strafen Gottes dargestellt. Aber die Tendenz beschränkt sich aus die Bei¬
fügung dieser Urteile zu der im übrigen wahrheitsgetreuer und unverfälschten
Geschichtserzählung. Diese ist offenbar nichts andres als eine wahrscheinlich
abgekürzte aber sonst wortgetreue Abschrift der amtlichen Annalen, und die
Zusätze hat der fromme Bearbeiter gemacht, ohne an seiner Vorlage sonst noch
etwas zu ändern.
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