Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Reichsländische Ieitfragen Rücksichten nehmen. Wer von uns irgend einen Notabilitätstitel aufzuweisen Politisch spricht vor allem das neue Band mit, das wir zwischen Elsässern Reichsländische Ieitfragen Rücksichten nehmen. Wer von uns irgend einen Notabilitätstitel aufzuweisen Politisch spricht vor allem das neue Band mit, das wir zwischen Elsässern <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0646" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227548"/> <fw type="header" place="top"> Reichsländische Ieitfragen</fw><lb/> <p xml:id="ID_2340" prev="#ID_2339"> Rücksichten nehmen. Wer von uns irgend einen Notabilitätstitel aufzuweisen<lb/> hat, hat für seine Person als „Schwob," „Ditscher," „Prussien" nicht viel zu<lb/> leiden, der Statthalter, die Ministerialvorstände, die Vezirkspräsidenten und<lb/> sonst mächtige Leute spüren an sich selber gar nichts davon, aber der machtlose<lb/> Unterbeamte, der kleine Gewerbetreibende, der eingewandert ist, der Arbeiter<lb/> oder Dienstbote aus Altdeutschland um so mehr. Freilich kommen die Klagen<lb/> nicht leicht an die große Glocke oder an die Öffentlichkeit, denn sie sind un¬<lb/> bequem, und das fällt für die Dienstauffassung nur zu leicht mit Ungehörig-<lb/> keit zusammen, während es von der Presse einfach totgeschwiegen wird, auch<lb/> von der demokratischen und klerikalen, die von Volksfreundlichkeit überfließen.<lb/> Wer da glaubt, die Ausbildung des Journalisten gehe dahin, die Wahrheit<lb/> mit Ernst und Geschmack zu sagen, irrt sich, das ist Nebensache; etwas hoher<lb/> steht schon die Fähigkeit, das, was bequem und gelegen kommt, aufzuspüren<lb/> und aufzuputzen, am höchsten steht, virus ont, xunotum, wer darin Meister<lb/> ist, mit Verstand und Eleganz das Unbequeme totzuschweigen. Etwaige<lb/> Regungen des Gewissens werden an Monopolen und ähnlichen Fesseln der<lb/> „Freiheit" ausgelassen. So ist es oder wird es überall; im deutschen Reichs-<lb/> land zumal sind deutsche Leiden immer verpönte Artikel gewesen. Und doch<lb/> sind sie recht zahlreich, und zwar im ganzen Lande, denn die Kehrseite unsrer<lb/> Volksschmeichelei und der damit verwandten „Schonung der Gefühle" kommt<lb/> überall zum Vorschein, in Form von meistens recht unfreundlichen Quittungen.<lb/> Darin sind auch Elsässer und Lothringer ganz gleich, nur daß es beim<lb/> Elsässer leicht schroffer, beim Lothringer in der Regel vorsichtiger heraus¬<lb/> kommt. Ja man muß sagen, dieses unerfreuliche, gegen uns gerichtete Gemein¬<lb/> gefühl sei, außer der französischen Vergangenheit, das einzige, was die beiden<lb/> Volksstämme innerlich verbindet, die sonst so verschieden, einander sogar un¬<lb/> sympathisch sind. Und dann, nicht die gewiß vorhandnen, sogar mannig¬<lb/> faltigen Vorzüge beider Volksstämme sind es, die durch die Schmeichelei<lb/> gepflegt werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_2341" next="#ID_2342"> Politisch spricht vor allem das neue Band mit, das wir zwischen Elsässern<lb/> und Lothringern angeknüpft haben. Wahrlich, ein erfreuliches, uns zur Ehre<lb/> gereichendes Band ans deutscher Zeit! Dürfen wir hoffen, es wieder zu be¬<lb/> seitigen? Doch nur dadurch, daß wir aus uus mehr und aus den Leuten<lb/> weniger machen; daß wir uns darauf besinnen, jede Regierung müsse einen<lb/> mächtigen Eindruck machen, imponiren, welche Mittel sie auch sonst anwende.<lb/> Daß wir uns nicht an die niedrigen, sondern an die edeln Regungen der<lb/> Volksseele wenden, die Volksschmeichelei dagegen, die doch ebenso unwürdig ist<lb/> wie die Schmeichelei vor dem Thron, ein- für allemal abthun, mit echtem<lb/> nationalen Selbstgefühl vertauschen. Und wir alle müssen darnach trachten<lb/> und leben, die Regierenden sowohl wie die, deren Lebenskreis nicht so hoch,<lb/> aber der Bevölkerung näher steht. Es darf auch nicht mehr die jetzt so häufigen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0646]
Reichsländische Ieitfragen
Rücksichten nehmen. Wer von uns irgend einen Notabilitätstitel aufzuweisen
hat, hat für seine Person als „Schwob," „Ditscher," „Prussien" nicht viel zu
leiden, der Statthalter, die Ministerialvorstände, die Vezirkspräsidenten und
sonst mächtige Leute spüren an sich selber gar nichts davon, aber der machtlose
Unterbeamte, der kleine Gewerbetreibende, der eingewandert ist, der Arbeiter
oder Dienstbote aus Altdeutschland um so mehr. Freilich kommen die Klagen
nicht leicht an die große Glocke oder an die Öffentlichkeit, denn sie sind un¬
bequem, und das fällt für die Dienstauffassung nur zu leicht mit Ungehörig-
keit zusammen, während es von der Presse einfach totgeschwiegen wird, auch
von der demokratischen und klerikalen, die von Volksfreundlichkeit überfließen.
Wer da glaubt, die Ausbildung des Journalisten gehe dahin, die Wahrheit
mit Ernst und Geschmack zu sagen, irrt sich, das ist Nebensache; etwas hoher
steht schon die Fähigkeit, das, was bequem und gelegen kommt, aufzuspüren
und aufzuputzen, am höchsten steht, virus ont, xunotum, wer darin Meister
ist, mit Verstand und Eleganz das Unbequeme totzuschweigen. Etwaige
Regungen des Gewissens werden an Monopolen und ähnlichen Fesseln der
„Freiheit" ausgelassen. So ist es oder wird es überall; im deutschen Reichs-
land zumal sind deutsche Leiden immer verpönte Artikel gewesen. Und doch
sind sie recht zahlreich, und zwar im ganzen Lande, denn die Kehrseite unsrer
Volksschmeichelei und der damit verwandten „Schonung der Gefühle" kommt
überall zum Vorschein, in Form von meistens recht unfreundlichen Quittungen.
Darin sind auch Elsässer und Lothringer ganz gleich, nur daß es beim
Elsässer leicht schroffer, beim Lothringer in der Regel vorsichtiger heraus¬
kommt. Ja man muß sagen, dieses unerfreuliche, gegen uns gerichtete Gemein¬
gefühl sei, außer der französischen Vergangenheit, das einzige, was die beiden
Volksstämme innerlich verbindet, die sonst so verschieden, einander sogar un¬
sympathisch sind. Und dann, nicht die gewiß vorhandnen, sogar mannig¬
faltigen Vorzüge beider Volksstämme sind es, die durch die Schmeichelei
gepflegt werden.
Politisch spricht vor allem das neue Band mit, das wir zwischen Elsässern
und Lothringern angeknüpft haben. Wahrlich, ein erfreuliches, uns zur Ehre
gereichendes Band ans deutscher Zeit! Dürfen wir hoffen, es wieder zu be¬
seitigen? Doch nur dadurch, daß wir aus uus mehr und aus den Leuten
weniger machen; daß wir uns darauf besinnen, jede Regierung müsse einen
mächtigen Eindruck machen, imponiren, welche Mittel sie auch sonst anwende.
Daß wir uns nicht an die niedrigen, sondern an die edeln Regungen der
Volksseele wenden, die Volksschmeichelei dagegen, die doch ebenso unwürdig ist
wie die Schmeichelei vor dem Thron, ein- für allemal abthun, mit echtem
nationalen Selbstgefühl vertauschen. Und wir alle müssen darnach trachten
und leben, die Regierenden sowohl wie die, deren Lebenskreis nicht so hoch,
aber der Bevölkerung näher steht. Es darf auch nicht mehr die jetzt so häufigen
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