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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Das Wirtshausleben in Italien

ohne Pfand; die Leute zweifelten nicht einen Augenblick, daß wir das Gerät
richtig zurückbringen und dabei den Wein bezahlen würden. In Deutschland
wäre derartiges, wie jeder zugeben wird, unmöglich!

In Rom und Umgegend trinkt man in erster Linie die Weine der Castelli
Romani, der traumhaft schön gelegnen Bergstädtchen in den benachbarten
Gebirgen. Persönlich möchte ich den göttergleichen Frascatiwein bevorzugen.
Marino ist pastos, dick und schwer, Genzano wieder süffiger, Velletri
feurig. Die Weine, die einige Meilen nördlich von Rom wachsen, haben viel¬
fach einen Muskatellergeschmack; unter ihnen könnten die von Orvieto und
Montefiascone als Nachtischweine bei den Fürstentafeln ganz Europas Eingang
finden. Beiläufig bemerkt ist Montefiaseone der Ort, wo sich nach dem
bekannten Gedichte ein deutscher Ritter zu Tode getrunken hat, nachdem ihm
sein vorausrcisender treuer Knappe den dortigen Wein durch ein doppeltes
Usk als alles bisher dagewesene übertreffend angekündigt hatte. Das Gedicht
hat eine gewisse geschichtliche Grundlage. Vor zweihundert Jahren schrieb
schon ein Schulrektor in Havelberg eine sehr gelehrte Abhandlung über die
Frage, ob es wahr sei, daß sich einst ein deutscher Bischof in Italien zu
Tode gesoffen habe. Zu seiner Zeit war also ein Bischof der Held der Über¬
lieferung. Thatsächlich aber, und davon kann sich ein jeder in der Kirche" des
Stüdtleins selbst überzeugen, ist es ein Augsburger Domherr namens Johannes
Fugger gewesen, der die große Ruhmesthat vollbracht hat; seine Grabinschrift
verkündet es frank und frei: Lst, est, <zst, proptsi' uiiuium gst, die ^o-Muss
6s I'ne, 6^viuiuu8^ lusus, mortuus est. -- Außerdem erscheinen in Rom während
des Winters Schiffe, die mit sizilianischen Weinen vollgeladen sind; sie landen
an der Engel- oder Nipettabrücke und liegen solange vor Anker, bis der Inhalt
ihrer Fässer leergezecht ist. Es kneipt sich recht behaglich an Bord dieser
Meercsdurchsegler, und die Preise sind sehr müßig, das teuerste war Wohl
Marsala mit 75 Centestmi für das halbe Liter.

Und endlich gelaugt in Rom vielfach der in ganz Italien sehr beliebte
Chianti zum Ausschank. Es ist dies ein Sammelname für die bei Florenz
wachsenden feinern Rotweine (weißer Chianti ist sehr selten), abgeleitet von
dem Namen des Ortes, der die besten Lagen hat. Er kommt, im Gegensatz
zu den Weinen der Castelli Romani, durchgängig in den Fiaschi, den großen
Schilf- und strohumflochteuen malerischen rundbanchigen Flaschen, auf den Tisch,
die genau zwei, und einen halben Liter fassen und in ihren langen Hülsen
durch flüssiges Öl anstatt eines Pfropfens gegen die Luft abgeschlossen werden.

Der Preis dieser Weine ist selbstverständlich vom Ausfall der Ernten ab¬
hängig, der Fiasco Chianti kostet in Rom meist 3^ bis 4 Lire, während von
den übrigen Weinen das halbe Liter in den städtischen Wirtschaften mit 40 bis
60 Centestmi berechnet wird. Über die Straße kostet ein Fiasco einheimischer
Wein bester Qualität in der Regel nur IV- Lire! Vor den Thoren, wo kein
Zoll erhoben wird, ist der Wein natürlich bedeutend billiger als in der Stadt;
hier zahlt man auch in den Wirtschaften meist nur eine halbe Lira für den
ganzen Liter. Die kleinen Osterien haben vor der Thür zur Ankündigung des
Preises lediglich Zahlen hängen; findet man z. B. die Ziffern: 4, 5, 6, so
bedeutet das, hier giebt es Wein, das halbe Liter für 4, 5 und ö Soldi (ein
Soldo 5 Centestmi, die unausrottbare Rechnungseinheit der kleinen Leute).
Noch ursprünglicher fand ich diese Art der Kundgebung in San Felice, einem
kümmerlichen Neste auf dem Vorgebirge der Circe; dort wurde vor den Wein-


Das Wirtshausleben in Italien

ohne Pfand; die Leute zweifelten nicht einen Augenblick, daß wir das Gerät
richtig zurückbringen und dabei den Wein bezahlen würden. In Deutschland
wäre derartiges, wie jeder zugeben wird, unmöglich!

In Rom und Umgegend trinkt man in erster Linie die Weine der Castelli
Romani, der traumhaft schön gelegnen Bergstädtchen in den benachbarten
Gebirgen. Persönlich möchte ich den göttergleichen Frascatiwein bevorzugen.
Marino ist pastos, dick und schwer, Genzano wieder süffiger, Velletri
feurig. Die Weine, die einige Meilen nördlich von Rom wachsen, haben viel¬
fach einen Muskatellergeschmack; unter ihnen könnten die von Orvieto und
Montefiascone als Nachtischweine bei den Fürstentafeln ganz Europas Eingang
finden. Beiläufig bemerkt ist Montefiaseone der Ort, wo sich nach dem
bekannten Gedichte ein deutscher Ritter zu Tode getrunken hat, nachdem ihm
sein vorausrcisender treuer Knappe den dortigen Wein durch ein doppeltes
Usk als alles bisher dagewesene übertreffend angekündigt hatte. Das Gedicht
hat eine gewisse geschichtliche Grundlage. Vor zweihundert Jahren schrieb
schon ein Schulrektor in Havelberg eine sehr gelehrte Abhandlung über die
Frage, ob es wahr sei, daß sich einst ein deutscher Bischof in Italien zu
Tode gesoffen habe. Zu seiner Zeit war also ein Bischof der Held der Über¬
lieferung. Thatsächlich aber, und davon kann sich ein jeder in der Kirche« des
Stüdtleins selbst überzeugen, ist es ein Augsburger Domherr namens Johannes
Fugger gewesen, der die große Ruhmesthat vollbracht hat; seine Grabinschrift
verkündet es frank und frei: Lst, est, <zst, proptsi' uiiuium gst, die ^o-Muss
6s I'ne, 6^viuiuu8^ lusus, mortuus est. — Außerdem erscheinen in Rom während
des Winters Schiffe, die mit sizilianischen Weinen vollgeladen sind; sie landen
an der Engel- oder Nipettabrücke und liegen solange vor Anker, bis der Inhalt
ihrer Fässer leergezecht ist. Es kneipt sich recht behaglich an Bord dieser
Meercsdurchsegler, und die Preise sind sehr müßig, das teuerste war Wohl
Marsala mit 75 Centestmi für das halbe Liter.

Und endlich gelaugt in Rom vielfach der in ganz Italien sehr beliebte
Chianti zum Ausschank. Es ist dies ein Sammelname für die bei Florenz
wachsenden feinern Rotweine (weißer Chianti ist sehr selten), abgeleitet von
dem Namen des Ortes, der die besten Lagen hat. Er kommt, im Gegensatz
zu den Weinen der Castelli Romani, durchgängig in den Fiaschi, den großen
Schilf- und strohumflochteuen malerischen rundbanchigen Flaschen, auf den Tisch,
die genau zwei, und einen halben Liter fassen und in ihren langen Hülsen
durch flüssiges Öl anstatt eines Pfropfens gegen die Luft abgeschlossen werden.

Der Preis dieser Weine ist selbstverständlich vom Ausfall der Ernten ab¬
hängig, der Fiasco Chianti kostet in Rom meist 3^ bis 4 Lire, während von
den übrigen Weinen das halbe Liter in den städtischen Wirtschaften mit 40 bis
60 Centestmi berechnet wird. Über die Straße kostet ein Fiasco einheimischer
Wein bester Qualität in der Regel nur IV- Lire! Vor den Thoren, wo kein
Zoll erhoben wird, ist der Wein natürlich bedeutend billiger als in der Stadt;
hier zahlt man auch in den Wirtschaften meist nur eine halbe Lira für den
ganzen Liter. Die kleinen Osterien haben vor der Thür zur Ankündigung des
Preises lediglich Zahlen hängen; findet man z. B. die Ziffern: 4, 5, 6, so
bedeutet das, hier giebt es Wein, das halbe Liter für 4, 5 und ö Soldi (ein
Soldo 5 Centestmi, die unausrottbare Rechnungseinheit der kleinen Leute).
Noch ursprünglicher fand ich diese Art der Kundgebung in San Felice, einem
kümmerlichen Neste auf dem Vorgebirge der Circe; dort wurde vor den Wein-


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[0558] Das Wirtshausleben in Italien ohne Pfand; die Leute zweifelten nicht einen Augenblick, daß wir das Gerät richtig zurückbringen und dabei den Wein bezahlen würden. In Deutschland wäre derartiges, wie jeder zugeben wird, unmöglich! In Rom und Umgegend trinkt man in erster Linie die Weine der Castelli Romani, der traumhaft schön gelegnen Bergstädtchen in den benachbarten Gebirgen. Persönlich möchte ich den göttergleichen Frascatiwein bevorzugen. Marino ist pastos, dick und schwer, Genzano wieder süffiger, Velletri feurig. Die Weine, die einige Meilen nördlich von Rom wachsen, haben viel¬ fach einen Muskatellergeschmack; unter ihnen könnten die von Orvieto und Montefiascone als Nachtischweine bei den Fürstentafeln ganz Europas Eingang finden. Beiläufig bemerkt ist Montefiaseone der Ort, wo sich nach dem bekannten Gedichte ein deutscher Ritter zu Tode getrunken hat, nachdem ihm sein vorausrcisender treuer Knappe den dortigen Wein durch ein doppeltes Usk als alles bisher dagewesene übertreffend angekündigt hatte. Das Gedicht hat eine gewisse geschichtliche Grundlage. Vor zweihundert Jahren schrieb schon ein Schulrektor in Havelberg eine sehr gelehrte Abhandlung über die Frage, ob es wahr sei, daß sich einst ein deutscher Bischof in Italien zu Tode gesoffen habe. Zu seiner Zeit war also ein Bischof der Held der Über¬ lieferung. Thatsächlich aber, und davon kann sich ein jeder in der Kirche« des Stüdtleins selbst überzeugen, ist es ein Augsburger Domherr namens Johannes Fugger gewesen, der die große Ruhmesthat vollbracht hat; seine Grabinschrift verkündet es frank und frei: Lst, est, <zst, proptsi' uiiuium gst, die ^o-Muss 6s I'ne, 6^viuiuu8^ lusus, mortuus est. — Außerdem erscheinen in Rom während des Winters Schiffe, die mit sizilianischen Weinen vollgeladen sind; sie landen an der Engel- oder Nipettabrücke und liegen solange vor Anker, bis der Inhalt ihrer Fässer leergezecht ist. Es kneipt sich recht behaglich an Bord dieser Meercsdurchsegler, und die Preise sind sehr müßig, das teuerste war Wohl Marsala mit 75 Centestmi für das halbe Liter. Und endlich gelaugt in Rom vielfach der in ganz Italien sehr beliebte Chianti zum Ausschank. Es ist dies ein Sammelname für die bei Florenz wachsenden feinern Rotweine (weißer Chianti ist sehr selten), abgeleitet von dem Namen des Ortes, der die besten Lagen hat. Er kommt, im Gegensatz zu den Weinen der Castelli Romani, durchgängig in den Fiaschi, den großen Schilf- und strohumflochteuen malerischen rundbanchigen Flaschen, auf den Tisch, die genau zwei, und einen halben Liter fassen und in ihren langen Hülsen durch flüssiges Öl anstatt eines Pfropfens gegen die Luft abgeschlossen werden. Der Preis dieser Weine ist selbstverständlich vom Ausfall der Ernten ab¬ hängig, der Fiasco Chianti kostet in Rom meist 3^ bis 4 Lire, während von den übrigen Weinen das halbe Liter in den städtischen Wirtschaften mit 40 bis 60 Centestmi berechnet wird. Über die Straße kostet ein Fiasco einheimischer Wein bester Qualität in der Regel nur IV- Lire! Vor den Thoren, wo kein Zoll erhoben wird, ist der Wein natürlich bedeutend billiger als in der Stadt; hier zahlt man auch in den Wirtschaften meist nur eine halbe Lira für den ganzen Liter. Die kleinen Osterien haben vor der Thür zur Ankündigung des Preises lediglich Zahlen hängen; findet man z. B. die Ziffern: 4, 5, 6, so bedeutet das, hier giebt es Wein, das halbe Liter für 4, 5 und ö Soldi (ein Soldo 5 Centestmi, die unausrottbare Rechnungseinheit der kleinen Leute). Noch ursprünglicher fand ich diese Art der Kundgebung in San Felice, einem kümmerlichen Neste auf dem Vorgebirge der Circe; dort wurde vor den Wein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/558>, abgerufen am 09.01.2025.