Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Sudermanns biblische Tragödie Johannes Johannes auf goldner Schüssel, das man ihr gebracht hat, zu tanzen beginnt- So der Verlauf. Schon aus dem einfachsten Bericht läßt sich erkennen, Sudermanns biblische Tragödie Johannes Johannes auf goldner Schüssel, das man ihr gebracht hat, zu tanzen beginnt- So der Verlauf. Schon aus dem einfachsten Bericht läßt sich erkennen, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0542" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227444"/> <fw type="header" place="top"> Sudermanns biblische Tragödie Johannes</fw><lb/> <p xml:id="ID_1953" prev="#ID_1952"> Johannes auf goldner Schüssel, das man ihr gebracht hat, zu tanzen beginnt-<lb/> Sie stürzt, und das Haupt rollt in den Sand, Herodias geht ihr ruhig nach<lb/> und kommt mit der halb ohnmächtigen Tochter im Arm zurück, Salome<lb/> stammelt im Abgehen einige Worte, die darauf hindeuten, daß sie hinfort der<lb/> Wahnsinn umfangen wird; die im Saale noch bleibenden aber hören ein<lb/> jauchzendes Brausen und Getümmel, das sie schon lange vernommen haben,<lb/> immer stärker anschwellen, die Vorhänge des Saals nach der Straße werden<lb/> geöffnet, und mit „Hosianna dem König der Juden!" rauscht drunten die<lb/> palmenschwingende Masse, die den Einzug Christi feiert, vor den Augen des<lb/> verstummenden Herodes, der von einem Blick des Erlösers getroffen scheint,<lb/> vorüber.</p><lb/> <p xml:id="ID_1954" next="#ID_1955"> So der Verlauf. Schon aus dem einfachsten Bericht läßt sich erkennen,<lb/> daß die Tragödie an einem schlechthin unüberwindlichen Gebrechen leidet, daß<lb/> die Haupthandlung, der große innere Hauptkonflikt, nur in einzelnen, gleichsam<lb/> blitzartig aufzuckenden Augenblicken sichtbar hervortritt, sonst aber nur in der<lb/> Seele des Johannes vorgeht, daß darüber die untergeordnete Nebenhandlung,<lb/> der Kampf des Täufers und Bußpredigers mit der Familie des Herodes in<lb/> den Vordergrund tritt, die theatralische Wirkung vollständig usurpirt und<lb/> Dreivierteln namentlich der Zuschauer zur Hauptsache wird. Daß Spieler<lb/> und Gegenspieler in diesem Falle Johannes und Jesus von Nazareth sind,<lb/> rechtfertigt einigermaßen (den höchsten dichterischen Maßstab angelegt, keines¬<lb/> wegs zureichend) die Kompositionsweise der Tragödie, bei der der Gegner und<lb/> Überwinder des Täufers nicht verkörpert erscheint. Ein Dichter, der den Stoff<lb/> in seiner Tiefe erfassen und zu höchster Wirkung erheben wollte, könnte freilich<lb/> kaum anders als Johannes und Christus einander gegenüberstellen. Der er¬<lb/> fahrne Dramatiker, der gesehen und gehört werden will, muß aus naheliegenden<lb/> Gründen darauf verzichten, ja der kann sich selbst vorstellen, daß das Ringen<lb/> seines Helden mit einer neuen Macht, einem neuen Geist, deren Haupt¬<lb/> träger nicht sichtbar wird, etwas eigentümlich Ergreifendes habe. Auf<lb/> alle Fälle aber durften diese Macht und dieser Geist nicht bloß in einzelnen<lb/> rasch verhallenden Lauten, in flüchtig auftauchenden und rasch wieder ver¬<lb/> schwindenden Erscheinungen, wie der Galiläer des ersten Aktes, wie Mesulemeth<lb/> und die Fischer vom See Genezareth des dritten Aktes, vertreten sein, sondern<lb/> in ein paar großen und entscheidenden Szenen mußte, in irgend einer von der<lb/> neuen Lehre erfüllten Gestalt, die Gegenüberstellung erfolgen. Johannes, dessen<lb/> herrisches, siegesstarkes Prophetentum durch die Lehre von der Liebe über¬<lb/> wunden werden soll, ist von vornherein viel zu leicht beweglich, viel zu rasch<lb/> ergriffen und erschüttert. Die Überzeugung, daß ein Größerer nach ihm kommen<lb/> wird, paart sich doch mit der andern Überzeugung, daß der Messias, der Herr<lb/> kommen wird „als König der Heerscharen, mit goldnem Panzer angethan, das<lb/> Schwert gereckt über seinem Haupt"; um sie zu besiegen, bedarf es stärkerer</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0542]
Sudermanns biblische Tragödie Johannes
Johannes auf goldner Schüssel, das man ihr gebracht hat, zu tanzen beginnt-
Sie stürzt, und das Haupt rollt in den Sand, Herodias geht ihr ruhig nach
und kommt mit der halb ohnmächtigen Tochter im Arm zurück, Salome
stammelt im Abgehen einige Worte, die darauf hindeuten, daß sie hinfort der
Wahnsinn umfangen wird; die im Saale noch bleibenden aber hören ein
jauchzendes Brausen und Getümmel, das sie schon lange vernommen haben,
immer stärker anschwellen, die Vorhänge des Saals nach der Straße werden
geöffnet, und mit „Hosianna dem König der Juden!" rauscht drunten die
palmenschwingende Masse, die den Einzug Christi feiert, vor den Augen des
verstummenden Herodes, der von einem Blick des Erlösers getroffen scheint,
vorüber.
So der Verlauf. Schon aus dem einfachsten Bericht läßt sich erkennen,
daß die Tragödie an einem schlechthin unüberwindlichen Gebrechen leidet, daß
die Haupthandlung, der große innere Hauptkonflikt, nur in einzelnen, gleichsam
blitzartig aufzuckenden Augenblicken sichtbar hervortritt, sonst aber nur in der
Seele des Johannes vorgeht, daß darüber die untergeordnete Nebenhandlung,
der Kampf des Täufers und Bußpredigers mit der Familie des Herodes in
den Vordergrund tritt, die theatralische Wirkung vollständig usurpirt und
Dreivierteln namentlich der Zuschauer zur Hauptsache wird. Daß Spieler
und Gegenspieler in diesem Falle Johannes und Jesus von Nazareth sind,
rechtfertigt einigermaßen (den höchsten dichterischen Maßstab angelegt, keines¬
wegs zureichend) die Kompositionsweise der Tragödie, bei der der Gegner und
Überwinder des Täufers nicht verkörpert erscheint. Ein Dichter, der den Stoff
in seiner Tiefe erfassen und zu höchster Wirkung erheben wollte, könnte freilich
kaum anders als Johannes und Christus einander gegenüberstellen. Der er¬
fahrne Dramatiker, der gesehen und gehört werden will, muß aus naheliegenden
Gründen darauf verzichten, ja der kann sich selbst vorstellen, daß das Ringen
seines Helden mit einer neuen Macht, einem neuen Geist, deren Haupt¬
träger nicht sichtbar wird, etwas eigentümlich Ergreifendes habe. Auf
alle Fälle aber durften diese Macht und dieser Geist nicht bloß in einzelnen
rasch verhallenden Lauten, in flüchtig auftauchenden und rasch wieder ver¬
schwindenden Erscheinungen, wie der Galiläer des ersten Aktes, wie Mesulemeth
und die Fischer vom See Genezareth des dritten Aktes, vertreten sein, sondern
in ein paar großen und entscheidenden Szenen mußte, in irgend einer von der
neuen Lehre erfüllten Gestalt, die Gegenüberstellung erfolgen. Johannes, dessen
herrisches, siegesstarkes Prophetentum durch die Lehre von der Liebe über¬
wunden werden soll, ist von vornherein viel zu leicht beweglich, viel zu rasch
ergriffen und erschüttert. Die Überzeugung, daß ein Größerer nach ihm kommen
wird, paart sich doch mit der andern Überzeugung, daß der Messias, der Herr
kommen wird „als König der Heerscharen, mit goldnem Panzer angethan, das
Schwert gereckt über seinem Haupt"; um sie zu besiegen, bedarf es stärkerer
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