Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Sudermanns biblische Tragödie Johannes sich am liebsten. Alles, was klein ist und sich duckt, weil es klein ist -- was Beim Beginn des fünften Aktes sieht man den Täufer noch in derselben Lage; Sudermanns biblische Tragödie Johannes sich am liebsten. Alles, was klein ist und sich duckt, weil es klein ist — was Beim Beginn des fünften Aktes sieht man den Täufer noch in derselben Lage; <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0540" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227442"/> <fw type="header" place="top"> Sudermanns biblische Tragödie Johannes</fw><lb/> <p xml:id="ID_1950" prev="#ID_1949"> sich am liebsten. Alles, was klein ist und sich duckt, weil es klein ist — was<lb/> die Vrvsamlein von seinem Tische wirft, um nicht mit den Broden zu werfen —<lb/> was die Gräber zudeckt, damit sie heimlich stinken — was sich den Daumen<lb/> der linken Hand abhackt, damit er zum Daumen der Rechten nicht sage: hüte<lb/> dich, das alles heißen sie Liebe. Und Liebe heißen sie, wenn im Frühling die<lb/> Esel brünstig werden und die Hirtinnen schreien!" Noch vermißt er sich, mit<lb/> seinem Zorn den Herodes samt seiner Herodias zu zerschmettern; er ruft das<lb/> Volk zur Steinigung des ehebrecherischen Paares auf, aber alles schon wie im<lb/> Traum, mehr von seinen Anhängern, als vom eignen Verlangen gestachelt.<lb/> Und dabei verlangt er fortwährend nach Galiläern und vernimmt, als im Vorhof<lb/> des Tempels endlich ein paar Fischer vom See Genezareth vor ihm stehen,<lb/> staunend und erschüttert, daß dort Jesus von Nazareth „Thorheiten" lehrt<lb/> wie: „wir sollen unsre Feinde lieben, segnen, die uns fluchen, und bitten sür<lb/> die, die uns verfolgen." Da versinkt Johannes in einen Zustand, in dem ihm<lb/> die Ankunft des Vierfürsten und seines Weibes kaum zum Bewußtsein kommt,<lb/> in dem ihm seine Anhänger den Stein, den er nach dein Paare werfen soll,<lb/> in die Hand drücken müssen. Während Herodias entschlossen dem Gemahl<lb/> zuruft: „Laß den dort ergreifen, sonst ist es dein Tod und der meine!" ver¬<lb/> sucht Johannes sich zu erheben: „Im Namen dessen — der mich — dich —<lb/> lieben heißt!" läßt den Stein seiner Hand entfallen, wird von den Dienern<lb/> des Herodes die Tempelstufen herabgerissen und gefesselt. Unter Weserufer<lb/> stiebt das Volk aus einander. Im Gefüngnishof, der an die Palaftgärten<lb/> in Herodes galiläischer Residenz anstoßt, begegnet beim Beginn des vierten<lb/> Aktes Salome ihrem Stiefvater und stimmt ihn mit verlockenden Künsten zur<lb/> Milde gegen den gefangnen Propheten, den sie und den er, der kleine Tyrann,<lb/> noch immer für sich zu gewinnen hofft. Nachdem Johannes die Ketten ab¬<lb/> genommen sind, setzt er den Überredungen des Vierfürsten die ruhige Ver¬<lb/> achtung entgegen: „Für dich giebt es kein Empor. Du trägst die Zeit, die<lb/> vor dir war und mit dir ist, als ein eiterndes Mal ans deinem Leibe. Brennest<lb/> du nicht von all ihren giftigen Gelüsten? Wardst du uicht lahm von all<lb/> ihrem unmutigen Wollen? Und möchtest gar auf Höhen steigen. Bleib auf<lb/> deinem Markte und lächle!" Er hat für die erneuten Lockungen Salomcs,<lb/> die sich ihm rückhaltlos anbietet und von sich selbst sagt, daß sie süß wie die<lb/> Sünde sei, nur sein stolzes „geh!" sodaß die üppige Fürstentochter in Wut<lb/> und Scham aufschreit: „Wirfst du mich fort? Wirfst du mich fort?" Johannes,<lb/> dem die Freiheit gelassen ist, mit seinen Jüngern zu verkehren, von denen aber<lb/> nur wenige bei ihm ausgehalten haben, der ein Flügelrauschen über sich zu<lb/> hören glaubt, der bereit ist, den Segen von der Höhe zu empfangen, sendet<lb/> die letzten beiden Getreuen mit der Frage an Jesus von Nazareth: „Bist du,<lb/> der da kommen soll, oder sollen wir eines andern warten?"</p><lb/> <p xml:id="ID_1951" next="#ID_1952"> Beim Beginn des fünften Aktes sieht man den Täufer noch in derselben Lage;</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0540]
Sudermanns biblische Tragödie Johannes
sich am liebsten. Alles, was klein ist und sich duckt, weil es klein ist — was
die Vrvsamlein von seinem Tische wirft, um nicht mit den Broden zu werfen —
was die Gräber zudeckt, damit sie heimlich stinken — was sich den Daumen
der linken Hand abhackt, damit er zum Daumen der Rechten nicht sage: hüte
dich, das alles heißen sie Liebe. Und Liebe heißen sie, wenn im Frühling die
Esel brünstig werden und die Hirtinnen schreien!" Noch vermißt er sich, mit
seinem Zorn den Herodes samt seiner Herodias zu zerschmettern; er ruft das
Volk zur Steinigung des ehebrecherischen Paares auf, aber alles schon wie im
Traum, mehr von seinen Anhängern, als vom eignen Verlangen gestachelt.
Und dabei verlangt er fortwährend nach Galiläern und vernimmt, als im Vorhof
des Tempels endlich ein paar Fischer vom See Genezareth vor ihm stehen,
staunend und erschüttert, daß dort Jesus von Nazareth „Thorheiten" lehrt
wie: „wir sollen unsre Feinde lieben, segnen, die uns fluchen, und bitten sür
die, die uns verfolgen." Da versinkt Johannes in einen Zustand, in dem ihm
die Ankunft des Vierfürsten und seines Weibes kaum zum Bewußtsein kommt,
in dem ihm seine Anhänger den Stein, den er nach dein Paare werfen soll,
in die Hand drücken müssen. Während Herodias entschlossen dem Gemahl
zuruft: „Laß den dort ergreifen, sonst ist es dein Tod und der meine!" ver¬
sucht Johannes sich zu erheben: „Im Namen dessen — der mich — dich —
lieben heißt!" läßt den Stein seiner Hand entfallen, wird von den Dienern
des Herodes die Tempelstufen herabgerissen und gefesselt. Unter Weserufer
stiebt das Volk aus einander. Im Gefüngnishof, der an die Palaftgärten
in Herodes galiläischer Residenz anstoßt, begegnet beim Beginn des vierten
Aktes Salome ihrem Stiefvater und stimmt ihn mit verlockenden Künsten zur
Milde gegen den gefangnen Propheten, den sie und den er, der kleine Tyrann,
noch immer für sich zu gewinnen hofft. Nachdem Johannes die Ketten ab¬
genommen sind, setzt er den Überredungen des Vierfürsten die ruhige Ver¬
achtung entgegen: „Für dich giebt es kein Empor. Du trägst die Zeit, die
vor dir war und mit dir ist, als ein eiterndes Mal ans deinem Leibe. Brennest
du nicht von all ihren giftigen Gelüsten? Wardst du uicht lahm von all
ihrem unmutigen Wollen? Und möchtest gar auf Höhen steigen. Bleib auf
deinem Markte und lächle!" Er hat für die erneuten Lockungen Salomcs,
die sich ihm rückhaltlos anbietet und von sich selbst sagt, daß sie süß wie die
Sünde sei, nur sein stolzes „geh!" sodaß die üppige Fürstentochter in Wut
und Scham aufschreit: „Wirfst du mich fort? Wirfst du mich fort?" Johannes,
dem die Freiheit gelassen ist, mit seinen Jüngern zu verkehren, von denen aber
nur wenige bei ihm ausgehalten haben, der ein Flügelrauschen über sich zu
hören glaubt, der bereit ist, den Segen von der Höhe zu empfangen, sendet
die letzten beiden Getreuen mit der Frage an Jesus von Nazareth: „Bist du,
der da kommen soll, oder sollen wir eines andern warten?"
Beim Beginn des fünften Aktes sieht man den Täufer noch in derselben Lage;
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