Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Sozialauslese nur in Beziehung auf Waren, Maschinen, technische Einrichtungen. Neben Tille schließt seiue Kritik der Smith-Malthusischeu Ansicht über den Sozialauslese nur in Beziehung auf Waren, Maschinen, technische Einrichtungen. Neben Tille schließt seiue Kritik der Smith-Malthusischeu Ansicht über den <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0529" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227431"/> <fw type="header" place="top"> Sozialauslese</fw><lb/> <p xml:id="ID_1930" prev="#ID_1929"> nur in Beziehung auf Waren, Maschinen, technische Einrichtungen. Neben<lb/> einer Beleuchtuugsvorrichtung, die mit Wohlfeilheit den höchsten Grad von<lb/> Lichtstärke und Reinlichkeit vereinigt, neben einer Maschine, die weniger kostet<lb/> und besser arbeitet als alle für denselben Zweck gebauten Maschinen, neben<lb/> einem Kleiderstoff, der ebenso schön und haltbar und dabei um die Hälfte<lb/> billiger ist als alle ältern Stoffe derselben Art, namentlich aber neben dem<lb/> besten Biere kann sich keine konkurrirende Ware halten. Das gilt aber nur,<lb/> soweit der Preis und die Brauchbarkeit entscheiden, schon weniger gilt es, wo<lb/> der Geschmack ins Spiel kommt, da sehr häufig mit Hilfe eines schlechten Ge¬<lb/> schmacks das minder Gute siegt, z. B. unter den illustrirten Zeitschriften. Noch<lb/> schlimmer steht es bei den höhern geistigen Leistungen. Von Scharfrichter¬<lb/> geschichten werden leicht 200000 Exemplare abgesetzt, ein wirklich gutes Buch¬<lb/> drama findet kaum einen Verleger, der das Risiko wagte, und Bücher, die<lb/> wertvolle Belehrung enthalten, müssen sich mühsam durchkämpfen. Am aller¬<lb/> wenigsten aber gilt der Satz von den Menschen. Es hängt ganz von Um¬<lb/> stünden ab, was da im Kampfe ums Dasein oben bleibt. Manchmal ist es<lb/> der Tüchtigste in einem Fache, manchmal sind es die kräftigsten Fäuste, manch-<lb/> mal ist es der rücksichtsloseste Ellenbogen, manchmal das große Maul, manch¬<lb/> mal die gewissenlose Schlauheit, manchmal die Ausdauer im Kriechen, manchmal<lb/> die Bedürfnislosigkeit und die Natur des geduldigen Arbeitstieres, aber nie¬<lb/> mals ist es der Edelste und Gerechteste, der siegt nur — unterliegend — im<lb/> Trauerspiel.</p><lb/> <p xml:id="ID_1931" next="#ID_1932"> Tille schließt seiue Kritik der Smith-Malthusischeu Ansicht über den<lb/> Konflikt zwischen Volkszahl und Volkswohl mit den Worten: „Seiner senti¬<lb/> mentalen Fassung entkleidet heißt der Grundsatz: die Vvlksznhl ist dem Volks¬<lb/> beutel unbedingt zu opfern. Oder: der Volksbentel ist für jede Nation ein<lb/> höheres Gut als der Vvlksftand, als die Personensumme des Volks. Oder:<lb/> der Beutel geht über den Besitzer." Das gerade Gegenteil ist wahr, wenigstens<lb/> von Adam Smith. Ihm ging der Beutel so wenig über den Besitzer, daß er<lb/> vielmehr den Beutel für ein an sich ganz wertloses Ding erklärt, ausdrücklich<lb/> bestritten hat, daß Geld Einkommen sei, und dem Gelde nur insofern Wert<lb/> beigelegt but, als es dazu dient, die Güter umzutreiben und dadurch einem<lb/> jeden sein Einkommen zuzuführen. Nicht das Verhältnis der Kopfzahl eines<lb/> Landes zu seinem Geldkapital, sondern zum Boden zieht er in Betracht und<lb/> erklärt die Nordamerikaner für das glücklichste Volk, weil sie wohlfeilen Boden<lb/> haben. Wachsende Kopfzahl ist uur solange ein Glück für ein Volk, als sein<lb/> Boden hinreicht, allen angemessene Beschäftigung, hinreichenden Unterhalt und<lb/> die zum Gedeihen notwendige» Lebensbedingungen zu gewähren; überschreitet<lb/> sie diese Grenze, so schlägt das Glück in Elend um. Nun ist es allerdings<lb/> augenscheinlich der Wille der Vorsehung, daß diese Grenze in den Ländern<lb/> höherer Kultur überschritten werde, damit die Bevölkerungsspannung zur Aus-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0529]
Sozialauslese
nur in Beziehung auf Waren, Maschinen, technische Einrichtungen. Neben
einer Beleuchtuugsvorrichtung, die mit Wohlfeilheit den höchsten Grad von
Lichtstärke und Reinlichkeit vereinigt, neben einer Maschine, die weniger kostet
und besser arbeitet als alle für denselben Zweck gebauten Maschinen, neben
einem Kleiderstoff, der ebenso schön und haltbar und dabei um die Hälfte
billiger ist als alle ältern Stoffe derselben Art, namentlich aber neben dem
besten Biere kann sich keine konkurrirende Ware halten. Das gilt aber nur,
soweit der Preis und die Brauchbarkeit entscheiden, schon weniger gilt es, wo
der Geschmack ins Spiel kommt, da sehr häufig mit Hilfe eines schlechten Ge¬
schmacks das minder Gute siegt, z. B. unter den illustrirten Zeitschriften. Noch
schlimmer steht es bei den höhern geistigen Leistungen. Von Scharfrichter¬
geschichten werden leicht 200000 Exemplare abgesetzt, ein wirklich gutes Buch¬
drama findet kaum einen Verleger, der das Risiko wagte, und Bücher, die
wertvolle Belehrung enthalten, müssen sich mühsam durchkämpfen. Am aller¬
wenigsten aber gilt der Satz von den Menschen. Es hängt ganz von Um¬
stünden ab, was da im Kampfe ums Dasein oben bleibt. Manchmal ist es
der Tüchtigste in einem Fache, manchmal sind es die kräftigsten Fäuste, manch-
mal ist es der rücksichtsloseste Ellenbogen, manchmal das große Maul, manch¬
mal die gewissenlose Schlauheit, manchmal die Ausdauer im Kriechen, manchmal
die Bedürfnislosigkeit und die Natur des geduldigen Arbeitstieres, aber nie¬
mals ist es der Edelste und Gerechteste, der siegt nur — unterliegend — im
Trauerspiel.
Tille schließt seiue Kritik der Smith-Malthusischeu Ansicht über den
Konflikt zwischen Volkszahl und Volkswohl mit den Worten: „Seiner senti¬
mentalen Fassung entkleidet heißt der Grundsatz: die Vvlksznhl ist dem Volks¬
beutel unbedingt zu opfern. Oder: der Volksbentel ist für jede Nation ein
höheres Gut als der Vvlksftand, als die Personensumme des Volks. Oder:
der Beutel geht über den Besitzer." Das gerade Gegenteil ist wahr, wenigstens
von Adam Smith. Ihm ging der Beutel so wenig über den Besitzer, daß er
vielmehr den Beutel für ein an sich ganz wertloses Ding erklärt, ausdrücklich
bestritten hat, daß Geld Einkommen sei, und dem Gelde nur insofern Wert
beigelegt but, als es dazu dient, die Güter umzutreiben und dadurch einem
jeden sein Einkommen zuzuführen. Nicht das Verhältnis der Kopfzahl eines
Landes zu seinem Geldkapital, sondern zum Boden zieht er in Betracht und
erklärt die Nordamerikaner für das glücklichste Volk, weil sie wohlfeilen Boden
haben. Wachsende Kopfzahl ist uur solange ein Glück für ein Volk, als sein
Boden hinreicht, allen angemessene Beschäftigung, hinreichenden Unterhalt und
die zum Gedeihen notwendige» Lebensbedingungen zu gewähren; überschreitet
sie diese Grenze, so schlägt das Glück in Elend um. Nun ist es allerdings
augenscheinlich der Wille der Vorsehung, daß diese Grenze in den Ländern
höherer Kultur überschritten werde, damit die Bevölkerungsspannung zur Aus-
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