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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Wie soll der Kampf um die Vstmark geführt werden?

Sobald er ein ausreichendes Vermögen erworben hat, giebt er sein Geschäft
auf und zieht nach Berlin. Dort darf er sich wenigstens als Mensch fühlen,
während er hier außerhalb des Ghetto nur ausnahmsweise eine gesellschaftliche
Stellung erlangen kann.

Was wir hier brauchen, das ist vor allem ein seßhafter Mittelstand, ein
kräftiges deutsches Bürgertum. Denn es sind -- wie gesagt -- nicht die
Beamten, auf denen in erster Linie die wirtschaftliche Zukunft des Posener
Deutschtums beruht, sondern die gewerblich schaffenden, produktiven Bürger.

Die Bildung und Erhaltung eines aufstrebenden Mittelstandes hängt aber
natürlich in der Hauptsache von der Entwicklung der Erwerbsverhältnisse ub.

Leider hat sich -- nicht ohne Mitschuld des Staates -- das Posener
Bürgertum von der gewerblichen Thätigkeit mehr und mehr abgewandt. Diese
Art von Thätigkeit wird eben hierzulande nicht so hoch geschätzt, wie sie es
in Anbetracht ihrer Wichtigkeit für das Gemeinwesen eigentlich verdient. Die
Folge davon ist, daß der deutsche Posener Bürger, sobald er selbst etwas er¬
worben hat, nichts besseres zu thun weiß, als seine Söhne in die zwar weniger
einträgliche, aber so viel höher geachtete Beamtenlaufbahn zu bringen --
ganz im Gegensatz zum Polen, für den die preußische Beamtenkarriere be¬
greiflicherweise weniger Anziehungskraft hat, und der es deshalb lieber sieht,
wenn sich seine Söhne im Erwerbsleben als Ärzte, Rechtsanwälte, Kaufleute
oder Industrielle eine Stellung erringen. Statt einzelne Fülle dieses unglück¬
seligen Hanges der Deutschen (die mir übrigens zahlreich genug zu Gebote
stehen) anzuführen, beschränke ich mich auf die Mitteilung folgender Zahlen,
die dem "Statistischen Jahrbuch deutscher Städte" (Breslau, 1396) entnommen
sind. In diesem Bande wird u. a. untersucht, welche Unterschiede zwischen
einzelnen größern deutscheu Städten bestehen hinsichtlich der Bevorzugung
humanistischer oder realistischer Schulbildung. Das Ergebnis ist folgendes:
"Unter den (in dem betreffenden Aufsatz) behandelten dreiundvierzig größern
deutscheu Städten ist humanistische Vorbildung am meisten in -- Posen gesucht.
Hier entfallen von allen Schülern höherer Lehranstalten 75,9 Prozent auf die
(humanistischen) Gymnasien. Dann folgt Königsberg mit 67,2 Prozent usw.,
endlich Hamburg mit 19 Prozent! Die Verschiedenheiten sind also vou ganz
außerordentlicher Bedeutung -- beträgt doch der auf Posen entfallende Prozent¬
satz humanistisch vorgebildeter Schüler fast das Vierfache des für Hamburg sich
ergebenden Betrags."

Glückliches Posen! Mit welchem Stolz kannst du mit deinen 76 Prozent
Humanisten auf das armselige Hamburg hinabsehen. Zwar diese Hamburger,
man muß es ihnen lassen, entfalten auf dem wirtschaftlichen Gebiet eine staunen-
erregende Thatkraft, sie leisten jahraus jahrein eine Kulturarbeit, vor der unsre
ganze Provinz Posen sich beschämt verkriechen muß -- aber, aber, nur 19 Prozent
Humanisten auf den höhern Schulen!

Doch ich bitte, mich nicht mißzuverstehen! Es fällt mir gar nicht ein


Wie soll der Kampf um die Vstmark geführt werden?

Sobald er ein ausreichendes Vermögen erworben hat, giebt er sein Geschäft
auf und zieht nach Berlin. Dort darf er sich wenigstens als Mensch fühlen,
während er hier außerhalb des Ghetto nur ausnahmsweise eine gesellschaftliche
Stellung erlangen kann.

Was wir hier brauchen, das ist vor allem ein seßhafter Mittelstand, ein
kräftiges deutsches Bürgertum. Denn es sind — wie gesagt — nicht die
Beamten, auf denen in erster Linie die wirtschaftliche Zukunft des Posener
Deutschtums beruht, sondern die gewerblich schaffenden, produktiven Bürger.

Die Bildung und Erhaltung eines aufstrebenden Mittelstandes hängt aber
natürlich in der Hauptsache von der Entwicklung der Erwerbsverhältnisse ub.

Leider hat sich — nicht ohne Mitschuld des Staates — das Posener
Bürgertum von der gewerblichen Thätigkeit mehr und mehr abgewandt. Diese
Art von Thätigkeit wird eben hierzulande nicht so hoch geschätzt, wie sie es
in Anbetracht ihrer Wichtigkeit für das Gemeinwesen eigentlich verdient. Die
Folge davon ist, daß der deutsche Posener Bürger, sobald er selbst etwas er¬
worben hat, nichts besseres zu thun weiß, als seine Söhne in die zwar weniger
einträgliche, aber so viel höher geachtete Beamtenlaufbahn zu bringen —
ganz im Gegensatz zum Polen, für den die preußische Beamtenkarriere be¬
greiflicherweise weniger Anziehungskraft hat, und der es deshalb lieber sieht,
wenn sich seine Söhne im Erwerbsleben als Ärzte, Rechtsanwälte, Kaufleute
oder Industrielle eine Stellung erringen. Statt einzelne Fülle dieses unglück¬
seligen Hanges der Deutschen (die mir übrigens zahlreich genug zu Gebote
stehen) anzuführen, beschränke ich mich auf die Mitteilung folgender Zahlen,
die dem „Statistischen Jahrbuch deutscher Städte" (Breslau, 1396) entnommen
sind. In diesem Bande wird u. a. untersucht, welche Unterschiede zwischen
einzelnen größern deutscheu Städten bestehen hinsichtlich der Bevorzugung
humanistischer oder realistischer Schulbildung. Das Ergebnis ist folgendes:
„Unter den (in dem betreffenden Aufsatz) behandelten dreiundvierzig größern
deutscheu Städten ist humanistische Vorbildung am meisten in — Posen gesucht.
Hier entfallen von allen Schülern höherer Lehranstalten 75,9 Prozent auf die
(humanistischen) Gymnasien. Dann folgt Königsberg mit 67,2 Prozent usw.,
endlich Hamburg mit 19 Prozent! Die Verschiedenheiten sind also vou ganz
außerordentlicher Bedeutung — beträgt doch der auf Posen entfallende Prozent¬
satz humanistisch vorgebildeter Schüler fast das Vierfache des für Hamburg sich
ergebenden Betrags."

Glückliches Posen! Mit welchem Stolz kannst du mit deinen 76 Prozent
Humanisten auf das armselige Hamburg hinabsehen. Zwar diese Hamburger,
man muß es ihnen lassen, entfalten auf dem wirtschaftlichen Gebiet eine staunen-
erregende Thatkraft, sie leisten jahraus jahrein eine Kulturarbeit, vor der unsre
ganze Provinz Posen sich beschämt verkriechen muß — aber, aber, nur 19 Prozent
Humanisten auf den höhern Schulen!

Doch ich bitte, mich nicht mißzuverstehen! Es fällt mir gar nicht ein


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[0430] Wie soll der Kampf um die Vstmark geführt werden? Sobald er ein ausreichendes Vermögen erworben hat, giebt er sein Geschäft auf und zieht nach Berlin. Dort darf er sich wenigstens als Mensch fühlen, während er hier außerhalb des Ghetto nur ausnahmsweise eine gesellschaftliche Stellung erlangen kann. Was wir hier brauchen, das ist vor allem ein seßhafter Mittelstand, ein kräftiges deutsches Bürgertum. Denn es sind — wie gesagt — nicht die Beamten, auf denen in erster Linie die wirtschaftliche Zukunft des Posener Deutschtums beruht, sondern die gewerblich schaffenden, produktiven Bürger. Die Bildung und Erhaltung eines aufstrebenden Mittelstandes hängt aber natürlich in der Hauptsache von der Entwicklung der Erwerbsverhältnisse ub. Leider hat sich — nicht ohne Mitschuld des Staates — das Posener Bürgertum von der gewerblichen Thätigkeit mehr und mehr abgewandt. Diese Art von Thätigkeit wird eben hierzulande nicht so hoch geschätzt, wie sie es in Anbetracht ihrer Wichtigkeit für das Gemeinwesen eigentlich verdient. Die Folge davon ist, daß der deutsche Posener Bürger, sobald er selbst etwas er¬ worben hat, nichts besseres zu thun weiß, als seine Söhne in die zwar weniger einträgliche, aber so viel höher geachtete Beamtenlaufbahn zu bringen — ganz im Gegensatz zum Polen, für den die preußische Beamtenkarriere be¬ greiflicherweise weniger Anziehungskraft hat, und der es deshalb lieber sieht, wenn sich seine Söhne im Erwerbsleben als Ärzte, Rechtsanwälte, Kaufleute oder Industrielle eine Stellung erringen. Statt einzelne Fülle dieses unglück¬ seligen Hanges der Deutschen (die mir übrigens zahlreich genug zu Gebote stehen) anzuführen, beschränke ich mich auf die Mitteilung folgender Zahlen, die dem „Statistischen Jahrbuch deutscher Städte" (Breslau, 1396) entnommen sind. In diesem Bande wird u. a. untersucht, welche Unterschiede zwischen einzelnen größern deutscheu Städten bestehen hinsichtlich der Bevorzugung humanistischer oder realistischer Schulbildung. Das Ergebnis ist folgendes: „Unter den (in dem betreffenden Aufsatz) behandelten dreiundvierzig größern deutscheu Städten ist humanistische Vorbildung am meisten in — Posen gesucht. Hier entfallen von allen Schülern höherer Lehranstalten 75,9 Prozent auf die (humanistischen) Gymnasien. Dann folgt Königsberg mit 67,2 Prozent usw., endlich Hamburg mit 19 Prozent! Die Verschiedenheiten sind also vou ganz außerordentlicher Bedeutung — beträgt doch der auf Posen entfallende Prozent¬ satz humanistisch vorgebildeter Schüler fast das Vierfache des für Hamburg sich ergebenden Betrags." Glückliches Posen! Mit welchem Stolz kannst du mit deinen 76 Prozent Humanisten auf das armselige Hamburg hinabsehen. Zwar diese Hamburger, man muß es ihnen lassen, entfalten auf dem wirtschaftlichen Gebiet eine staunen- erregende Thatkraft, sie leisten jahraus jahrein eine Kulturarbeit, vor der unsre ganze Provinz Posen sich beschämt verkriechen muß — aber, aber, nur 19 Prozent Humanisten auf den höhern Schulen! Doch ich bitte, mich nicht mißzuverstehen! Es fällt mir gar nicht ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/430>, abgerufen am 09.01.2025.