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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Wie soll der Kampf um die Gstmark geführt werden?

polnischen Laden, wo ein deutscher Käufer nicht aufs höflichste in deutscher
Sprache bedient wird. Dieselbe Rücksicht verlangt dann natürlich auch der
Pole, wenn er in ein deutsches Geschäft kommt. Selbst die Behörden sind ja
gezwungen, diesen Verhältnissen Rechnung zu tragen. Deshalb sollte man
denn auch z.B. der PostVerwaltung keinen Vorwurf daraus machen, daß sie
eine gewisse Anzahl polnischer Briefträger angenommen hat. Es geht ihr eben
wie einem mir bekannten Gutsbesitzer, einem durch und durch deutschen Mann.
Als mau ihn tadelte, weil er einen Polen als Inspektor angestellt hatte, sagte
er: "Was soll ich machen? Es muß doch jemand auf dem Gut sein, der sich
mit den Arbeitern verständigen kann."

Ja -- warum lernen die Deutschen nicht Polnisch?*) Wäre es nicht
besser, wenn z. B. auf der hiesigen Mittelschule, die doch den lokalen Be¬
dürfnissen dienen soll, statt des völlig zwecklosen Englisch das Polnische gelehrt
würde?

Die Hauptschwäche des hiesigen Deutschtums liegt jedoch, meines Er-
nchtens, in der wirtschaftlich ungesunden Zusammensetzung seiner Elemente.

Posen ist bekanntlich eine Festung ersten Ranges mit einer gewaltigen
Besatzung. Es ist zugleich Sitz der Provinzinlregierung, des Oberlandesgerichts
und vieler audern Behörden. Die Offiziere und die Beamten bilden daher
einen überaus großen Bruchteil der deutschen Einwohnerschaft. Aber wie viele
von diesen Offizieren und Beamten kommen denn dazu, in unsrer Stadt und
Provinz heimisch zu werden, sich für ihr Wohl und Weh zu interessiren?

Vor Jahren war ein Oberlehrer aus der Provinz Sachsen an eins der
hiesigen Ghmnasien versetzt worden, das besonders von den Söhnen der Offi¬
ziere und Beamten besticht wird. Nachdem dieser Herr eine Zeit lang hier
unterrichtet hatte, sagte er eines Tages zu mir: "Unter meinen Schüler" sind
die Polen die einzigen, die Posen als ihre Heimat betrachten."

Die Bemerkung ist nur allzuwahr. Der Beamte, der Offizier, besonders
in den höhern Stellen, ist ein Nomade, der heute sein Zelt am Ufer der
Wcirthe aufschlüge, um es wieder abzubrechen, sobald er (wie der Ausdruck
lautet) "seine fünf Jahre Posen abgesessen hat."

In den mittlern und untern Stellen sind ja die Versetzungen nicht so
häufig, und da kommt es denn anch oft genug vor, daß ein Beamter zwanzig,
dreißig Jahre hier bleibt. Aber sobald er in den Ruhestand getreten ist,
schüttelt auch er den Posener Staub (und daran haben wir ja Gott sei Dank
keinen Mangel) von den Füßen und zieht anderswohin, an einen Ort, wo es
angenehmer und vor allem billiger zu leben ist, z. B. Hirschberg oder Görlitz.
Und ähnlich macht es auch der jüdische Kaufmann, Arzt oder Rechtsanwalt.



Früher lernten sie es, und jetzt könnten sie das um so eher thun, als doch seit 1860
und 1870 auch bei den Deutschen das Nationcilgefühl weit stärker und die Gefahr der Poloni-
sirung entsprechend geringer geworden ist.
Grenzboten I 1898 54
Wie soll der Kampf um die Gstmark geführt werden?

polnischen Laden, wo ein deutscher Käufer nicht aufs höflichste in deutscher
Sprache bedient wird. Dieselbe Rücksicht verlangt dann natürlich auch der
Pole, wenn er in ein deutsches Geschäft kommt. Selbst die Behörden sind ja
gezwungen, diesen Verhältnissen Rechnung zu tragen. Deshalb sollte man
denn auch z.B. der PostVerwaltung keinen Vorwurf daraus machen, daß sie
eine gewisse Anzahl polnischer Briefträger angenommen hat. Es geht ihr eben
wie einem mir bekannten Gutsbesitzer, einem durch und durch deutschen Mann.
Als mau ihn tadelte, weil er einen Polen als Inspektor angestellt hatte, sagte
er: „Was soll ich machen? Es muß doch jemand auf dem Gut sein, der sich
mit den Arbeitern verständigen kann."

Ja — warum lernen die Deutschen nicht Polnisch?*) Wäre es nicht
besser, wenn z. B. auf der hiesigen Mittelschule, die doch den lokalen Be¬
dürfnissen dienen soll, statt des völlig zwecklosen Englisch das Polnische gelehrt
würde?

Die Hauptschwäche des hiesigen Deutschtums liegt jedoch, meines Er-
nchtens, in der wirtschaftlich ungesunden Zusammensetzung seiner Elemente.

Posen ist bekanntlich eine Festung ersten Ranges mit einer gewaltigen
Besatzung. Es ist zugleich Sitz der Provinzinlregierung, des Oberlandesgerichts
und vieler audern Behörden. Die Offiziere und die Beamten bilden daher
einen überaus großen Bruchteil der deutschen Einwohnerschaft. Aber wie viele
von diesen Offizieren und Beamten kommen denn dazu, in unsrer Stadt und
Provinz heimisch zu werden, sich für ihr Wohl und Weh zu interessiren?

Vor Jahren war ein Oberlehrer aus der Provinz Sachsen an eins der
hiesigen Ghmnasien versetzt worden, das besonders von den Söhnen der Offi¬
ziere und Beamten besticht wird. Nachdem dieser Herr eine Zeit lang hier
unterrichtet hatte, sagte er eines Tages zu mir: „Unter meinen Schüler» sind
die Polen die einzigen, die Posen als ihre Heimat betrachten."

Die Bemerkung ist nur allzuwahr. Der Beamte, der Offizier, besonders
in den höhern Stellen, ist ein Nomade, der heute sein Zelt am Ufer der
Wcirthe aufschlüge, um es wieder abzubrechen, sobald er (wie der Ausdruck
lautet) „seine fünf Jahre Posen abgesessen hat."

In den mittlern und untern Stellen sind ja die Versetzungen nicht so
häufig, und da kommt es denn anch oft genug vor, daß ein Beamter zwanzig,
dreißig Jahre hier bleibt. Aber sobald er in den Ruhestand getreten ist,
schüttelt auch er den Posener Staub (und daran haben wir ja Gott sei Dank
keinen Mangel) von den Füßen und zieht anderswohin, an einen Ort, wo es
angenehmer und vor allem billiger zu leben ist, z. B. Hirschberg oder Görlitz.
Und ähnlich macht es auch der jüdische Kaufmann, Arzt oder Rechtsanwalt.



Früher lernten sie es, und jetzt könnten sie das um so eher thun, als doch seit 1860
und 1870 auch bei den Deutschen das Nationcilgefühl weit stärker und die Gefahr der Poloni-
sirung entsprechend geringer geworden ist.
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[0429] Wie soll der Kampf um die Gstmark geführt werden? polnischen Laden, wo ein deutscher Käufer nicht aufs höflichste in deutscher Sprache bedient wird. Dieselbe Rücksicht verlangt dann natürlich auch der Pole, wenn er in ein deutsches Geschäft kommt. Selbst die Behörden sind ja gezwungen, diesen Verhältnissen Rechnung zu tragen. Deshalb sollte man denn auch z.B. der PostVerwaltung keinen Vorwurf daraus machen, daß sie eine gewisse Anzahl polnischer Briefträger angenommen hat. Es geht ihr eben wie einem mir bekannten Gutsbesitzer, einem durch und durch deutschen Mann. Als mau ihn tadelte, weil er einen Polen als Inspektor angestellt hatte, sagte er: „Was soll ich machen? Es muß doch jemand auf dem Gut sein, der sich mit den Arbeitern verständigen kann." Ja — warum lernen die Deutschen nicht Polnisch?*) Wäre es nicht besser, wenn z. B. auf der hiesigen Mittelschule, die doch den lokalen Be¬ dürfnissen dienen soll, statt des völlig zwecklosen Englisch das Polnische gelehrt würde? Die Hauptschwäche des hiesigen Deutschtums liegt jedoch, meines Er- nchtens, in der wirtschaftlich ungesunden Zusammensetzung seiner Elemente. Posen ist bekanntlich eine Festung ersten Ranges mit einer gewaltigen Besatzung. Es ist zugleich Sitz der Provinzinlregierung, des Oberlandesgerichts und vieler audern Behörden. Die Offiziere und die Beamten bilden daher einen überaus großen Bruchteil der deutschen Einwohnerschaft. Aber wie viele von diesen Offizieren und Beamten kommen denn dazu, in unsrer Stadt und Provinz heimisch zu werden, sich für ihr Wohl und Weh zu interessiren? Vor Jahren war ein Oberlehrer aus der Provinz Sachsen an eins der hiesigen Ghmnasien versetzt worden, das besonders von den Söhnen der Offi¬ ziere und Beamten besticht wird. Nachdem dieser Herr eine Zeit lang hier unterrichtet hatte, sagte er eines Tages zu mir: „Unter meinen Schüler» sind die Polen die einzigen, die Posen als ihre Heimat betrachten." Die Bemerkung ist nur allzuwahr. Der Beamte, der Offizier, besonders in den höhern Stellen, ist ein Nomade, der heute sein Zelt am Ufer der Wcirthe aufschlüge, um es wieder abzubrechen, sobald er (wie der Ausdruck lautet) „seine fünf Jahre Posen abgesessen hat." In den mittlern und untern Stellen sind ja die Versetzungen nicht so häufig, und da kommt es denn anch oft genug vor, daß ein Beamter zwanzig, dreißig Jahre hier bleibt. Aber sobald er in den Ruhestand getreten ist, schüttelt auch er den Posener Staub (und daran haben wir ja Gott sei Dank keinen Mangel) von den Füßen und zieht anderswohin, an einen Ort, wo es angenehmer und vor allem billiger zu leben ist, z. B. Hirschberg oder Görlitz. Und ähnlich macht es auch der jüdische Kaufmann, Arzt oder Rechtsanwalt. Früher lernten sie es, und jetzt könnten sie das um so eher thun, als doch seit 1860 und 1870 auch bei den Deutschen das Nationcilgefühl weit stärker und die Gefahr der Poloni- sirung entsprechend geringer geworden ist. Grenzboten I 1898 54

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/429>, abgerufen am 09.01.2025.