Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.höchstens zu einer Jahrmarktsschaustellung zu gebrauchen ist." Aber ein solcher höchstens zu einer Jahrmarktsschaustellung zu gebrauchen ist." Aber ein solcher <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0424" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227326"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1483" prev="#ID_1482" next="#ID_1484"> höchstens zu einer Jahrmarktsschaustellung zu gebrauchen ist." Aber ein solcher<lb/> gehört doch nicht zum Mittelgut der Gesellschaft, sondern schon zu den un¬<lb/> nützen Schmarotzern, wenigstens in einer Gesellschaft, die wegen ausgedehnter<lb/> Anwendung von Maschinen für Herkulesse nicht mehr viel nützliche Verwendungs¬<lb/> arten hat. Und denken wir uns hohen Verstand mit schlechtem Charakter,<lb/> UnWirtschaftlichkeit und schwachen Körper vereinigt, so bekommen wir einen<lb/> jener großen Halunken, die sich berühmt machen, und die also schlechterdings<lb/> nicht ins Mittelgut passen. Da die mittlern Wurfzahlen auf die verschiedenste<lb/> Weise — durch Addition gleicher wie auch großer und kleiner Zahlen — ent¬<lb/> stehen können, während nach oben wie nach unten die Würfe immer gleich¬<lb/> mäßiger ausfallen, der höchste wie der niedrigste aus je vier Zahlen besteht,<lb/> so schließt Ammon, daß beim Mittelgut die Unharmonischen vorherrschen; und<lb/> umgekehrt, schreibt er, nimmt man wahr, daß, je hoher man hinaufgeht, die<lb/> Begabung um so harmonischer wird." Ja, bei den Würfelaugen freilich nimmt<lb/> man die zunehmende Harmonie wahr, bei den menschlichen Begabungen aber<lb/> gerade das Gegenteil. In einem gesunden Volke auf der Kulturstufe des Acker¬<lb/> baues ist die Masse harmonisch begabt. Es sind Leute von mäßiger Einsicht, mitt¬<lb/> lerer Tüchtigkeit, gutem Charakter und gesundem, wohlgebildeten Körper, bei<lb/> denen weder die eine Anlage mit der andern noch der Einzelne mit seiner Um¬<lb/> gebung in unheilbare Konflikte gerät; Leute von beschränktem Gesichtskreis, die ihre<lb/> bescheidne Stellung ausfüllen und sich in ihrer bescheidnen Lage wohl fühlen.<lb/> Bei reinen Bauernvölkern wie bei dem der Schweizer Urkantone sind so ziemlich<lb/> alle von dieser Art; einer unterscheidet sich nur wenig vom andern, und auf¬<lb/> fällige Abweichungen im guten oder im schlechten Sinne, nach oben oder nach<lb/> unten, kommen nicht vor. Die großen Unterschiede in der Begabung treten<lb/> erst bei starker sozialer Differenzirung ein, woraus also folgt, daß die Genies<lb/> wie die Verbrecher und die Blödsinnigen nicht Produkte einer Mischung von<lb/> Idealen sind, die durch alle Geschlechter unverändert blieben, sondern Produkte<lb/> äußerer Verhältnisse und — was das Genie anbetrifft — hinzutretender meta¬<lb/> physischer Ursachen, die nicht früher wirksam werden können, als bis die ge¬<lb/> eignete äußere Lage hergestellt ist, denn auch ein Christus ist nur in jener<lb/> griechisch-römisch-hebräischen Welt denkbar, in die hinein er geboren wurde.<lb/> Ist also die Mittelschicht ursprünglich harmonisch angelegt, so zeichnet sich da¬<lb/> gegen das Genie keineswegs durch harmonische Begabung aus. Der Durch¬<lb/> schnittsmensch kann ein tüchtiger gemeiner Soldat und dabei nach einander ein<lb/> musterhafter Schüler, braver Handwerker oder Büreaubcamter, vortrefflicher<lb/> Gatte und Hausvater sein und nebenbei Sinn für Kunst und wissenschaftliche<lb/> Lektüre haben. Das Genie wird entweder ein militärisches Genie sein und<lb/> dann für sehr viele Berufe, in die sich der Mittelmäßige gleich gut schickt,<lb/> nicht taugen, oder es wird ein künstlerisches oder religiöses Genie sein und<lb/> dann weder zum Offizier noch zum gemeinen Soldaten viel taugen. Die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0424]
höchstens zu einer Jahrmarktsschaustellung zu gebrauchen ist." Aber ein solcher
gehört doch nicht zum Mittelgut der Gesellschaft, sondern schon zu den un¬
nützen Schmarotzern, wenigstens in einer Gesellschaft, die wegen ausgedehnter
Anwendung von Maschinen für Herkulesse nicht mehr viel nützliche Verwendungs¬
arten hat. Und denken wir uns hohen Verstand mit schlechtem Charakter,
UnWirtschaftlichkeit und schwachen Körper vereinigt, so bekommen wir einen
jener großen Halunken, die sich berühmt machen, und die also schlechterdings
nicht ins Mittelgut passen. Da die mittlern Wurfzahlen auf die verschiedenste
Weise — durch Addition gleicher wie auch großer und kleiner Zahlen — ent¬
stehen können, während nach oben wie nach unten die Würfe immer gleich¬
mäßiger ausfallen, der höchste wie der niedrigste aus je vier Zahlen besteht,
so schließt Ammon, daß beim Mittelgut die Unharmonischen vorherrschen; und
umgekehrt, schreibt er, nimmt man wahr, daß, je hoher man hinaufgeht, die
Begabung um so harmonischer wird." Ja, bei den Würfelaugen freilich nimmt
man die zunehmende Harmonie wahr, bei den menschlichen Begabungen aber
gerade das Gegenteil. In einem gesunden Volke auf der Kulturstufe des Acker¬
baues ist die Masse harmonisch begabt. Es sind Leute von mäßiger Einsicht, mitt¬
lerer Tüchtigkeit, gutem Charakter und gesundem, wohlgebildeten Körper, bei
denen weder die eine Anlage mit der andern noch der Einzelne mit seiner Um¬
gebung in unheilbare Konflikte gerät; Leute von beschränktem Gesichtskreis, die ihre
bescheidne Stellung ausfüllen und sich in ihrer bescheidnen Lage wohl fühlen.
Bei reinen Bauernvölkern wie bei dem der Schweizer Urkantone sind so ziemlich
alle von dieser Art; einer unterscheidet sich nur wenig vom andern, und auf¬
fällige Abweichungen im guten oder im schlechten Sinne, nach oben oder nach
unten, kommen nicht vor. Die großen Unterschiede in der Begabung treten
erst bei starker sozialer Differenzirung ein, woraus also folgt, daß die Genies
wie die Verbrecher und die Blödsinnigen nicht Produkte einer Mischung von
Idealen sind, die durch alle Geschlechter unverändert blieben, sondern Produkte
äußerer Verhältnisse und — was das Genie anbetrifft — hinzutretender meta¬
physischer Ursachen, die nicht früher wirksam werden können, als bis die ge¬
eignete äußere Lage hergestellt ist, denn auch ein Christus ist nur in jener
griechisch-römisch-hebräischen Welt denkbar, in die hinein er geboren wurde.
Ist also die Mittelschicht ursprünglich harmonisch angelegt, so zeichnet sich da¬
gegen das Genie keineswegs durch harmonische Begabung aus. Der Durch¬
schnittsmensch kann ein tüchtiger gemeiner Soldat und dabei nach einander ein
musterhafter Schüler, braver Handwerker oder Büreaubcamter, vortrefflicher
Gatte und Hausvater sein und nebenbei Sinn für Kunst und wissenschaftliche
Lektüre haben. Das Genie wird entweder ein militärisches Genie sein und
dann für sehr viele Berufe, in die sich der Mittelmäßige gleich gut schickt,
nicht taugen, oder es wird ein künstlerisches oder religiöses Genie sein und
dann weder zum Offizier noch zum gemeinen Soldaten viel taugen. Die
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