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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Das deutsche Dorfwirtshaus

zustehen, sich zu ärgern und zu schweigen? Ich bin überzeugt, daß ein guter
Teil deutscher Grämlichkeit und Empfindlichkeit vom schlechten Essen kommt.

Es ist ein Grundzug des deutschen Dorfwirtshauses von deu Alpen bis
zum Belt, daß die Frau die Küche und der Mann den Keller verwaltet,
während die Ordnung der Schlafzimmer den weiblichen Dienstboten obliegt.
Der Mann unterhält außerdem die Gäste. Daß es anderswo ganz anders
ist, haben wir schon bei der Erwähnung lothringischer Wirtshäuser erwähnt.
In Frankreich und Italien besorgt der Mann die Küche, die Frau die Gast-
und Speisezimmer. Der Keller tritt dort mehr zurück. Dort taucht in stark
besuchten Wirtshäusern überhaupt der Mann den ganzen Tag kaum aus seinem
dunkeln Hcrdraume hervor, der Gast hat es nur mit weiblichen Wesen zu
thun. Bekennen wir es mit dem oben gewahrten Freimut: die Küche fährt
besser dabei. Der Mann erweist sich auch hier als der Träger des Fortschritts.
Die beherrschende Stellung der französischen Kochkunst hat der Koch geschaffen,
und nicht die Köchin. Die Unselbständigkeit der deutschen Küche entspricht der
Unselbständigkeit der deutscheu Frau neben ihrem Mann. Alle Achtung vor
dem ehrbaren Stand der Köchinnen. Aber man giebt allgemein zu, daß zu den
höchsten Höhen der Kochkunst mir Köche emporgestiegen sind. Man muß
auch zugeben, daß kochende Männer nicht Rückschritte zugelassen hätten, wie wir
sie gerade in der Küche des Dorfwirtshauses beobachten müssen, wo sie aller¬
dings nur ein deutlicher hervortretendes Symptom eines cillgcmeinern Ver¬
falls sind. Der liebenswürdigen Flatterhaftigkeit der weiblichen Natur entspringeu
unzählige kleine Verstöße gegen die so einfachen Grundregeln der vernünftigen
Speisebereitung. So wie mau dem englischen Kunstgewerbe vielfach den über¬
wiegenden Einfluß der Frau in Charakterzüge" der Feinheit und Zartheit an¬
merkt, die aber oft ins süßliche, ich möchte sagen ins Theehafte, ab¬
schweifen, so muß mau in der deutschen Küche einen Mangel an Kraft,
Würze, Gesalzenheit der Herrschaft des von Natur schwachen, empfindlichen
weiblichen Geschmacks zuschreiben. Nur ein Mann konnte die Grundlagen
der Paprikaküche Ungarns schaffen und die kräftige OU-i xotriäa. des Kastilianers
auf wohlgcwürzter Höhe erhalten. Unbillig wäre es allerdings, zu ver¬
schweigen, daß die deutsche .Küche unter dem Druck der Volksverarmung in
frühern Jahrhunderten so manches Gute verloren hat, was ihr einst eigen
war, und daß die weibliche Sparsamkeit Bewnuderuswertes in der Anpassung
an dürftige Lebensverhältnisse gerade in der Küche geleistet hat.

Bei allen landschaftlichen Unterschieden ist von einem Ende zum andern
Deutschland das Land der großen Suppen. Die französische Küche spendet
kunstreiche, gewürzte Suppen in so kleinen Mengen, daß sie kaum den Boden
des Tellers bedecken. England brät sein Fleisch und läßt Lvel'-?eg. nur tassen-
weis für schwache Mögen zu. Italien hat seine kräftigen Minestras, Reis-


Das deutsche Dorfwirtshaus

zustehen, sich zu ärgern und zu schweigen? Ich bin überzeugt, daß ein guter
Teil deutscher Grämlichkeit und Empfindlichkeit vom schlechten Essen kommt.

Es ist ein Grundzug des deutschen Dorfwirtshauses von deu Alpen bis
zum Belt, daß die Frau die Küche und der Mann den Keller verwaltet,
während die Ordnung der Schlafzimmer den weiblichen Dienstboten obliegt.
Der Mann unterhält außerdem die Gäste. Daß es anderswo ganz anders
ist, haben wir schon bei der Erwähnung lothringischer Wirtshäuser erwähnt.
In Frankreich und Italien besorgt der Mann die Küche, die Frau die Gast-
und Speisezimmer. Der Keller tritt dort mehr zurück. Dort taucht in stark
besuchten Wirtshäusern überhaupt der Mann den ganzen Tag kaum aus seinem
dunkeln Hcrdraume hervor, der Gast hat es nur mit weiblichen Wesen zu
thun. Bekennen wir es mit dem oben gewahrten Freimut: die Küche fährt
besser dabei. Der Mann erweist sich auch hier als der Träger des Fortschritts.
Die beherrschende Stellung der französischen Kochkunst hat der Koch geschaffen,
und nicht die Köchin. Die Unselbständigkeit der deutschen Küche entspricht der
Unselbständigkeit der deutscheu Frau neben ihrem Mann. Alle Achtung vor
dem ehrbaren Stand der Köchinnen. Aber man giebt allgemein zu, daß zu den
höchsten Höhen der Kochkunst mir Köche emporgestiegen sind. Man muß
auch zugeben, daß kochende Männer nicht Rückschritte zugelassen hätten, wie wir
sie gerade in der Küche des Dorfwirtshauses beobachten müssen, wo sie aller¬
dings nur ein deutlicher hervortretendes Symptom eines cillgcmeinern Ver¬
falls sind. Der liebenswürdigen Flatterhaftigkeit der weiblichen Natur entspringeu
unzählige kleine Verstöße gegen die so einfachen Grundregeln der vernünftigen
Speisebereitung. So wie mau dem englischen Kunstgewerbe vielfach den über¬
wiegenden Einfluß der Frau in Charakterzüge» der Feinheit und Zartheit an¬
merkt, die aber oft ins süßliche, ich möchte sagen ins Theehafte, ab¬
schweifen, so muß mau in der deutschen Küche einen Mangel an Kraft,
Würze, Gesalzenheit der Herrschaft des von Natur schwachen, empfindlichen
weiblichen Geschmacks zuschreiben. Nur ein Mann konnte die Grundlagen
der Paprikaküche Ungarns schaffen und die kräftige OU-i xotriäa. des Kastilianers
auf wohlgcwürzter Höhe erhalten. Unbillig wäre es allerdings, zu ver¬
schweigen, daß die deutsche .Küche unter dem Druck der Volksverarmung in
frühern Jahrhunderten so manches Gute verloren hat, was ihr einst eigen
war, und daß die weibliche Sparsamkeit Bewnuderuswertes in der Anpassung
an dürftige Lebensverhältnisse gerade in der Küche geleistet hat.

Bei allen landschaftlichen Unterschieden ist von einem Ende zum andern
Deutschland das Land der großen Suppen. Die französische Küche spendet
kunstreiche, gewürzte Suppen in so kleinen Mengen, daß sie kaum den Boden
des Tellers bedecken. England brät sein Fleisch und läßt Lvel'-?eg. nur tassen-
weis für schwache Mögen zu. Italien hat seine kräftigen Minestras, Reis-


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[0310] Das deutsche Dorfwirtshaus zustehen, sich zu ärgern und zu schweigen? Ich bin überzeugt, daß ein guter Teil deutscher Grämlichkeit und Empfindlichkeit vom schlechten Essen kommt. Es ist ein Grundzug des deutschen Dorfwirtshauses von deu Alpen bis zum Belt, daß die Frau die Küche und der Mann den Keller verwaltet, während die Ordnung der Schlafzimmer den weiblichen Dienstboten obliegt. Der Mann unterhält außerdem die Gäste. Daß es anderswo ganz anders ist, haben wir schon bei der Erwähnung lothringischer Wirtshäuser erwähnt. In Frankreich und Italien besorgt der Mann die Küche, die Frau die Gast- und Speisezimmer. Der Keller tritt dort mehr zurück. Dort taucht in stark besuchten Wirtshäusern überhaupt der Mann den ganzen Tag kaum aus seinem dunkeln Hcrdraume hervor, der Gast hat es nur mit weiblichen Wesen zu thun. Bekennen wir es mit dem oben gewahrten Freimut: die Küche fährt besser dabei. Der Mann erweist sich auch hier als der Träger des Fortschritts. Die beherrschende Stellung der französischen Kochkunst hat der Koch geschaffen, und nicht die Köchin. Die Unselbständigkeit der deutschen Küche entspricht der Unselbständigkeit der deutscheu Frau neben ihrem Mann. Alle Achtung vor dem ehrbaren Stand der Köchinnen. Aber man giebt allgemein zu, daß zu den höchsten Höhen der Kochkunst mir Köche emporgestiegen sind. Man muß auch zugeben, daß kochende Männer nicht Rückschritte zugelassen hätten, wie wir sie gerade in der Küche des Dorfwirtshauses beobachten müssen, wo sie aller¬ dings nur ein deutlicher hervortretendes Symptom eines cillgcmeinern Ver¬ falls sind. Der liebenswürdigen Flatterhaftigkeit der weiblichen Natur entspringeu unzählige kleine Verstöße gegen die so einfachen Grundregeln der vernünftigen Speisebereitung. So wie mau dem englischen Kunstgewerbe vielfach den über¬ wiegenden Einfluß der Frau in Charakterzüge» der Feinheit und Zartheit an¬ merkt, die aber oft ins süßliche, ich möchte sagen ins Theehafte, ab¬ schweifen, so muß mau in der deutschen Küche einen Mangel an Kraft, Würze, Gesalzenheit der Herrschaft des von Natur schwachen, empfindlichen weiblichen Geschmacks zuschreiben. Nur ein Mann konnte die Grundlagen der Paprikaküche Ungarns schaffen und die kräftige OU-i xotriäa. des Kastilianers auf wohlgcwürzter Höhe erhalten. Unbillig wäre es allerdings, zu ver¬ schweigen, daß die deutsche .Küche unter dem Druck der Volksverarmung in frühern Jahrhunderten so manches Gute verloren hat, was ihr einst eigen war, und daß die weibliche Sparsamkeit Bewnuderuswertes in der Anpassung an dürftige Lebensverhältnisse gerade in der Küche geleistet hat. Bei allen landschaftlichen Unterschieden ist von einem Ende zum andern Deutschland das Land der großen Suppen. Die französische Küche spendet kunstreiche, gewürzte Suppen in so kleinen Mengen, daß sie kaum den Boden des Tellers bedecken. England brät sein Fleisch und läßt Lvel'-?eg. nur tassen- weis für schwache Mögen zu. Italien hat seine kräftigen Minestras, Reis-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/310>, abgerufen am 09.01.2025.