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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Das deutsche vorfwirtshaus

ländlicher Städte. So wie das französische und norditalienische Bauernhaus
diesen Raum als Eintrittsraum, Küche und Wohnraum bewahrt, so ist er auch
im Wirtshaus erhalten geblieben, wo sich daneben ein kleines Gastzimmer be¬
findet, das mehr Speise- als Triukzimmer ist. Es giebt aber auch größere,
vortreffliche Gasthäuser, wo die Küche mit Bratspieß, Rost usw. im Hinter¬
grund, alles glänzend und rein, von der Straße aus zugänglich ist; man
findet darin sogar den Schreibtisch, an den Wänden die Eisenbahnfahrpläne, kurz
es ist eine Verbindung von Küche und Kondor und shmbolisirt klar die be¬
herrschende Stellung der hier waltenden Wirtin. Daneben erst führt eine kleinere
Thür zu den Gast- und Wohnzimmern.

Ist nun bei uns auch räumlich der Herd aus der Mitte des Hauses
gerückt, so bildet für das Wirtshaus doch die Küche uocy immer deu Schwer¬
punkt, um den alles andre sich reiht und ordnet; und das auch dort, wo nicht
eine energische Wirtsfran am Herde den Kochlöffel als Feldherrnstab schwingt.
In der Nähe der Küche pflegt der Eingang zum Keller zu liegen, und um
Speis und Trank drehen sich ja die Wünsche und Hoffnungen der Gäste des
Hauses. Für solche, die länger unter dem gastlichen Dach des Wirtshauses
verweilen, ist selbstverständlich die Leistungsfähigkeit der Wirtsküche ebenso
wichtig, wie die Einrichtung des ganzen übrigen Hauses; aber auch dem
Wandrer, der nur im Vorübergehen vorspricht, wird es erst recht wohl, wenn
er sich in einen fruchtbringenden Rapport mit der Küche setzen kann. Am
Aufprasfeln des Feuers und am Klang der Küchengeräte merkt er, daß man
sich dort für ihn in Thätigkeit setzt, und sein Behagen wird nun erst voll.
Gewiegte Speisekcuner verfüge" sich wohl gleich selbst in die Küche, um
Wünsche oder Ratschläge vorzubringen, z. B. die, die sich den Schnittlauch
auf der Suppe oder die Cichorie im Kaffee zu verbitten wagen. Sie setzen
sich aber dabei der Gefahr einer abweisender Behandlung nach dem Grundsatz
der Nichteinmischung und der territorialen Unverletzlichkeit eines Gebietes ans,
wohin sich die Gynäkokrntie als auf ihr eifersüchtig gehütetes Altenteil zurück¬
gezogen hat.

Was und wie auch das Wirtshaus sein mag, von der in der Küche
waltenden Kunst und Wissenschaft häugt ein großer Teil des Rufes des
Hauses ab. Und darum seien am Schluß dieser Wanderstudie einige Er¬
fahrungen ans dem Gebiet der deutschen Kochkunst bescheidentlich mitgeteilt.
Sie bestreben sich, den schuldigen Respekt vor der in Deutschland, wie nirgends
sonst, in der Küche alleinherrschenden Weiblichkeit mit dem Freimut zu ver¬
binden, dem der deutsche Mann auch dort uicht entsagen darf, wo er von deu
Werken der holden Frauen spricht. Sie scheuen sich auch uicht, Dinge mit
Wichtigkeit zu behandeln, die man hergcbrachterweise als unwichtig hinstellt,
während das Wohl und Wehe der Nationen auch vou ihnen abhängt. Ist es
nicht eine Thorheit, der Küche wie einer unantastbaren Institution gegenüber-


Grenzboten I 1898 39
Das deutsche vorfwirtshaus

ländlicher Städte. So wie das französische und norditalienische Bauernhaus
diesen Raum als Eintrittsraum, Küche und Wohnraum bewahrt, so ist er auch
im Wirtshaus erhalten geblieben, wo sich daneben ein kleines Gastzimmer be¬
findet, das mehr Speise- als Triukzimmer ist. Es giebt aber auch größere,
vortreffliche Gasthäuser, wo die Küche mit Bratspieß, Rost usw. im Hinter¬
grund, alles glänzend und rein, von der Straße aus zugänglich ist; man
findet darin sogar den Schreibtisch, an den Wänden die Eisenbahnfahrpläne, kurz
es ist eine Verbindung von Küche und Kondor und shmbolisirt klar die be¬
herrschende Stellung der hier waltenden Wirtin. Daneben erst führt eine kleinere
Thür zu den Gast- und Wohnzimmern.

Ist nun bei uns auch räumlich der Herd aus der Mitte des Hauses
gerückt, so bildet für das Wirtshaus doch die Küche uocy immer deu Schwer¬
punkt, um den alles andre sich reiht und ordnet; und das auch dort, wo nicht
eine energische Wirtsfran am Herde den Kochlöffel als Feldherrnstab schwingt.
In der Nähe der Küche pflegt der Eingang zum Keller zu liegen, und um
Speis und Trank drehen sich ja die Wünsche und Hoffnungen der Gäste des
Hauses. Für solche, die länger unter dem gastlichen Dach des Wirtshauses
verweilen, ist selbstverständlich die Leistungsfähigkeit der Wirtsküche ebenso
wichtig, wie die Einrichtung des ganzen übrigen Hauses; aber auch dem
Wandrer, der nur im Vorübergehen vorspricht, wird es erst recht wohl, wenn
er sich in einen fruchtbringenden Rapport mit der Küche setzen kann. Am
Aufprasfeln des Feuers und am Klang der Küchengeräte merkt er, daß man
sich dort für ihn in Thätigkeit setzt, und sein Behagen wird nun erst voll.
Gewiegte Speisekcuner verfüge» sich wohl gleich selbst in die Küche, um
Wünsche oder Ratschläge vorzubringen, z. B. die, die sich den Schnittlauch
auf der Suppe oder die Cichorie im Kaffee zu verbitten wagen. Sie setzen
sich aber dabei der Gefahr einer abweisender Behandlung nach dem Grundsatz
der Nichteinmischung und der territorialen Unverletzlichkeit eines Gebietes ans,
wohin sich die Gynäkokrntie als auf ihr eifersüchtig gehütetes Altenteil zurück¬
gezogen hat.

Was und wie auch das Wirtshaus sein mag, von der in der Küche
waltenden Kunst und Wissenschaft häugt ein großer Teil des Rufes des
Hauses ab. Und darum seien am Schluß dieser Wanderstudie einige Er¬
fahrungen ans dem Gebiet der deutschen Kochkunst bescheidentlich mitgeteilt.
Sie bestreben sich, den schuldigen Respekt vor der in Deutschland, wie nirgends
sonst, in der Küche alleinherrschenden Weiblichkeit mit dem Freimut zu ver¬
binden, dem der deutsche Mann auch dort uicht entsagen darf, wo er von deu
Werken der holden Frauen spricht. Sie scheuen sich auch uicht, Dinge mit
Wichtigkeit zu behandeln, die man hergcbrachterweise als unwichtig hinstellt,
während das Wohl und Wehe der Nationen auch vou ihnen abhängt. Ist es
nicht eine Thorheit, der Küche wie einer unantastbaren Institution gegenüber-


Grenzboten I 1898 39
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[0309] Das deutsche vorfwirtshaus ländlicher Städte. So wie das französische und norditalienische Bauernhaus diesen Raum als Eintrittsraum, Küche und Wohnraum bewahrt, so ist er auch im Wirtshaus erhalten geblieben, wo sich daneben ein kleines Gastzimmer be¬ findet, das mehr Speise- als Triukzimmer ist. Es giebt aber auch größere, vortreffliche Gasthäuser, wo die Küche mit Bratspieß, Rost usw. im Hinter¬ grund, alles glänzend und rein, von der Straße aus zugänglich ist; man findet darin sogar den Schreibtisch, an den Wänden die Eisenbahnfahrpläne, kurz es ist eine Verbindung von Küche und Kondor und shmbolisirt klar die be¬ herrschende Stellung der hier waltenden Wirtin. Daneben erst führt eine kleinere Thür zu den Gast- und Wohnzimmern. Ist nun bei uns auch räumlich der Herd aus der Mitte des Hauses gerückt, so bildet für das Wirtshaus doch die Küche uocy immer deu Schwer¬ punkt, um den alles andre sich reiht und ordnet; und das auch dort, wo nicht eine energische Wirtsfran am Herde den Kochlöffel als Feldherrnstab schwingt. In der Nähe der Küche pflegt der Eingang zum Keller zu liegen, und um Speis und Trank drehen sich ja die Wünsche und Hoffnungen der Gäste des Hauses. Für solche, die länger unter dem gastlichen Dach des Wirtshauses verweilen, ist selbstverständlich die Leistungsfähigkeit der Wirtsküche ebenso wichtig, wie die Einrichtung des ganzen übrigen Hauses; aber auch dem Wandrer, der nur im Vorübergehen vorspricht, wird es erst recht wohl, wenn er sich in einen fruchtbringenden Rapport mit der Küche setzen kann. Am Aufprasfeln des Feuers und am Klang der Küchengeräte merkt er, daß man sich dort für ihn in Thätigkeit setzt, und sein Behagen wird nun erst voll. Gewiegte Speisekcuner verfüge» sich wohl gleich selbst in die Küche, um Wünsche oder Ratschläge vorzubringen, z. B. die, die sich den Schnittlauch auf der Suppe oder die Cichorie im Kaffee zu verbitten wagen. Sie setzen sich aber dabei der Gefahr einer abweisender Behandlung nach dem Grundsatz der Nichteinmischung und der territorialen Unverletzlichkeit eines Gebietes ans, wohin sich die Gynäkokrntie als auf ihr eifersüchtig gehütetes Altenteil zurück¬ gezogen hat. Was und wie auch das Wirtshaus sein mag, von der in der Küche waltenden Kunst und Wissenschaft häugt ein großer Teil des Rufes des Hauses ab. Und darum seien am Schluß dieser Wanderstudie einige Er¬ fahrungen ans dem Gebiet der deutschen Kochkunst bescheidentlich mitgeteilt. Sie bestreben sich, den schuldigen Respekt vor der in Deutschland, wie nirgends sonst, in der Küche alleinherrschenden Weiblichkeit mit dem Freimut zu ver¬ binden, dem der deutsche Mann auch dort uicht entsagen darf, wo er von deu Werken der holden Frauen spricht. Sie scheuen sich auch uicht, Dinge mit Wichtigkeit zu behandeln, die man hergcbrachterweise als unwichtig hinstellt, während das Wohl und Wehe der Nationen auch vou ihnen abhängt. Ist es nicht eine Thorheit, der Küche wie einer unantastbaren Institution gegenüber- Grenzboten I 1898 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/309>, abgerufen am 09.01.2025.