Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Madlene griff denn nach dem Brief. Durch Güte! Wo außer diesem Haus giebts für Liebe Machtlehne! Den Brief wird Dir der Grundel bringn. Darzu ist der Vogeljock meiut- Geübter Andres Höpflein wi Ich mich gehtz Schreiben dn und nicht meer Hopf. Madlene war blaß geworden und zitterte vor Erregung. Das Blatt entfiel seitab tauchte nun aber das Bild der Triltschenchristel auf, das ihr der Eis- Die Brüder kamen von der Kirche und fanden die Schwester still und ernst, In den Kirchenstand durfte ihr die vermaledeite Welt nicht nachziehen. Das Madlene griff denn nach dem Brief. Durch Güte! Wo außer diesem Haus giebts für Liebe Machtlehne! Den Brief wird Dir der Grundel bringn. Darzu ist der Vogeljock meiut- Geübter Andres Höpflein wi Ich mich gehtz Schreiben dn und nicht meer Hopf. Madlene war blaß geworden und zitterte vor Erregung. Das Blatt entfiel seitab tauchte nun aber das Bild der Triltschenchristel auf, das ihr der Eis- Die Brüder kamen von der Kirche und fanden die Schwester still und ernst, In den Kirchenstand durfte ihr die vermaledeite Welt nicht nachziehen. Das <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0282" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227184"/> <fw type="header" place="top"> Madlene</fw><lb/> <p xml:id="ID_937" prev="#ID_936"> griff denn nach dem Brief. Durch Güte! Wo außer diesem Haus giebts für<lb/> mich Güte? Güte? Du meine Güte! Sie öffnete zitternd den Brief und las.</p><lb/> <note type="salute"> Liebe Machtlehne!</note><lb/> <p xml:id="ID_938"> Den Brief wird Dir der Grundel bringn. Darzu ist der Vogeljock meiut-<lb/> wegn noch zu brauchn, Heringegen er übrigens ein Lump ist. Darin stimmen wir<lb/> überein. Es ist bublik unter den Leuten, daß Du in mir verschainerirt bist und Ich<lb/> in dir. Und unser verhälduiß miteinander wie Dir bekant sein wird. Es sind<lb/> nun schon 8 jar her. Und ich bin davor das der Dröttel gar wird. Ein man<lb/> wie Ich; in Wien der ich bin und habe Mir mangelt Dach 50 Gulden verdient.<lb/> Aber herein in Wien kau ich kein banernweibsen nicht inführen, wie Dn wißen<lb/> du» wirst. Heringegen wollt ich in Unsern Nest dort den eseln aufspilln. Werden<lb/> verpflugt glotzen und Du auch mitzamt Dein Schleßinger. Und unser juugcus<lb/> müssen holf der deufel alle nennt nach Wien. Werd balt komm. Da wirdz fest<lb/> gemacht mit Dein dänischen Brüdern, das Dus hauß Betonen dust. Vor mein<lb/> Schöns Gelt will ich was ich heringechen Dir einztweiln verraten tun will, daß<lb/> in die Dausente get, was sühlt; denn Ich wil nicht umsonst in Wien geweßt sein.<lb/> Den ein man als Ich komt nicht ale lach. Gehdoch aber Indem unzer verhnlldniß<lb/> bublik ist vor die weilt und auch schon Alt fut indem dn daß so gud wißen dust<lb/> wie Ich verbleibe Ich dein</p><lb/> <note type="closer"> Geübter<lb/> Andres Höpflein<lb/> wi Ich mich gehtz Schreiben dn und nicht<lb/> meer Hopf.</note><lb/> <p xml:id="ID_939"> Madlene war blaß geworden und zitterte vor Erregung. Das Blatt entfiel<lb/> ihren Händen. Die Brust wogte. Das eggcrtse Auge starrte ius Leere. Und<lb/> aus dem Leeren heraus trat der Türkendres, oder wie er sich jetzt schreibt: Andres<lb/> Höpflein, von Wien her auf das unglückliche Mädchen zu und kam immer näher,<lb/> eine schwere gelbe Uhrkette an der Weste, breitspurig weltmännisch in allen Be¬<lb/> wegungen, mit verschmitztem, scheußlichem Gesichtsausdruck. Madleue hob schnell<lb/> den Brief auf und riß ihn mitten durch und schrie laut: Elender! Da war die<lb/> Erscheinung von Wien her weg, und der haarsträubende Buckel des Fritz wurde<lb/> wieder glatt, und sein eifriges Schnurren brachte Madleue zu sich. Sie ging in<lb/> die Küche und warf die Brieffetzen in die Flamme des alten Kachelofens, nud sie<lb/> horte die Henne wieder „gatzen," und dazwischen das trauliche Schwalbenlied, daß<lb/> es ihr wieder besser zu Mut ward.</p><lb/> <p xml:id="ID_940"> seitab tauchte nun aber das Bild der Triltschenchristel auf, das ihr der Eis-<lb/> sturm in die Phantasie gestellt, und mit dem sie Tag und Nacht schon gekämpft<lb/> hatte. Sie hatte es schon ins Nichts verwiesen, hatte sich aufgerafft und war eben<lb/> dahin gekommen, wieder zu sagen: Und nun rührt mich nicht um! Da war die<lb/> vermaledeite Welt hereingetreten und hätte beinahe eine heilige Welt zertrümmert.<lb/> Das Unglück war noch nicht ganz geraten, aber der Untrost war wieder mächtig<lb/> geworden, und das Triltschenchristelsbild begann wieder den Plan zu erklimmen.</p><lb/> <p xml:id="ID_941"> Die Brüder kamen von der Kirche und fanden die Schwester still und ernst,<lb/> wie sie war, als sie gegangen waren, nur blässer. Nach dem Mittagessen rüstete<lb/> sie sich zum Kirchgang, klemmte einen Marumverumstengel und drei Rautenblättlein<lb/> mit den Stielen ins Gesangbuch und machte sich beim zweiten Läuten ans<lb/> den Weg.</p><lb/> <p xml:id="ID_942" next="#ID_943"> In den Kirchenstand durfte ihr die vermaledeite Welt nicht nachziehen. Das</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0282]
Madlene
griff denn nach dem Brief. Durch Güte! Wo außer diesem Haus giebts für
mich Güte? Güte? Du meine Güte! Sie öffnete zitternd den Brief und las.
Liebe Machtlehne!
Den Brief wird Dir der Grundel bringn. Darzu ist der Vogeljock meiut-
wegn noch zu brauchn, Heringegen er übrigens ein Lump ist. Darin stimmen wir
überein. Es ist bublik unter den Leuten, daß Du in mir verschainerirt bist und Ich
in dir. Und unser verhälduiß miteinander wie Dir bekant sein wird. Es sind
nun schon 8 jar her. Und ich bin davor das der Dröttel gar wird. Ein man
wie Ich; in Wien der ich bin und habe Mir mangelt Dach 50 Gulden verdient.
Aber herein in Wien kau ich kein banernweibsen nicht inführen, wie Dn wißen
du» wirst. Heringegen wollt ich in Unsern Nest dort den eseln aufspilln. Werden
verpflugt glotzen und Du auch mitzamt Dein Schleßinger. Und unser juugcus
müssen holf der deufel alle nennt nach Wien. Werd balt komm. Da wirdz fest
gemacht mit Dein dänischen Brüdern, das Dus hauß Betonen dust. Vor mein
Schöns Gelt will ich was ich heringechen Dir einztweiln verraten tun will, daß
in die Dausente get, was sühlt; denn Ich wil nicht umsonst in Wien geweßt sein.
Den ein man als Ich komt nicht ale lach. Gehdoch aber Indem unzer verhnlldniß
bublik ist vor die weilt und auch schon Alt fut indem dn daß so gud wißen dust
wie Ich verbleibe Ich dein
Geübter
Andres Höpflein
wi Ich mich gehtz Schreiben dn und nicht
meer Hopf.
Madlene war blaß geworden und zitterte vor Erregung. Das Blatt entfiel
ihren Händen. Die Brust wogte. Das eggcrtse Auge starrte ius Leere. Und
aus dem Leeren heraus trat der Türkendres, oder wie er sich jetzt schreibt: Andres
Höpflein, von Wien her auf das unglückliche Mädchen zu und kam immer näher,
eine schwere gelbe Uhrkette an der Weste, breitspurig weltmännisch in allen Be¬
wegungen, mit verschmitztem, scheußlichem Gesichtsausdruck. Madleue hob schnell
den Brief auf und riß ihn mitten durch und schrie laut: Elender! Da war die
Erscheinung von Wien her weg, und der haarsträubende Buckel des Fritz wurde
wieder glatt, und sein eifriges Schnurren brachte Madleue zu sich. Sie ging in
die Küche und warf die Brieffetzen in die Flamme des alten Kachelofens, nud sie
horte die Henne wieder „gatzen," und dazwischen das trauliche Schwalbenlied, daß
es ihr wieder besser zu Mut ward.
seitab tauchte nun aber das Bild der Triltschenchristel auf, das ihr der Eis-
sturm in die Phantasie gestellt, und mit dem sie Tag und Nacht schon gekämpft
hatte. Sie hatte es schon ins Nichts verwiesen, hatte sich aufgerafft und war eben
dahin gekommen, wieder zu sagen: Und nun rührt mich nicht um! Da war die
vermaledeite Welt hereingetreten und hätte beinahe eine heilige Welt zertrümmert.
Das Unglück war noch nicht ganz geraten, aber der Untrost war wieder mächtig
geworden, und das Triltschenchristelsbild begann wieder den Plan zu erklimmen.
Die Brüder kamen von der Kirche und fanden die Schwester still und ernst,
wie sie war, als sie gegangen waren, nur blässer. Nach dem Mittagessen rüstete
sie sich zum Kirchgang, klemmte einen Marumverumstengel und drei Rautenblättlein
mit den Stielen ins Gesangbuch und machte sich beim zweiten Läuten ans
den Weg.
In den Kirchenstand durfte ihr die vermaledeite Welt nicht nachziehen. Das
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