Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Kunst für das Volk

bildenden Künsten und in der Musik ist nun einmal da, er läßt sich nicht aus¬
rotten; wenn er ernst ist und nicht bloß oberflächlich, so kann er das Kunst¬
verständnis fordern, oder, wie Lichtwark lieber gesagt haben möchte, die Fähig¬
keit, Kunst zu genießen. Auch das Sammeln bringt ja schon der Kunst näher,
namentlich wenn es sich dem Leben der Gegenwart zuwendet. Der Dilettant
tritt vielfach da ein, wo alte Volkskunst abgestorben ist, er will nicht davon
leben, kann also noch weiter arbeiten, wo die durch die neue Zeit verdrängte
Volkskunst uicht mehr auf ihre Kosten kommen würde. Beleben, galvanisiren
läßt sich das Abgestorbne nicht, wir können mit den Forschern der Volkskunst
deren Untergang beklagen und die Spuren sammeln, um uus daran zu freuen,
aber praktisch führt das nicht weit, weil die Anwendung nicht mehr möglich
ist. Lichtwark meint sogar: "Und wären Muße und Wille da, so wäre es
verkehrt, das Alte erneuern zu wollen. Es ist ohne Kraft, sonst würde es
aus sich selbst neues Leben entwickeln. Und es ist Verlorne Liebesmüh, neue
Bildung von unter auf bauen zu wollen. Aller Fortschritt besteht darin, daß
Einzelne einen höhern Typus vorleben und die Massen ihnen nachstreben."
Dieser Satz ist durchaus richtig, man kann ihn ja nachprüfen an hundert
Wendungen der Geschichte unsrer Kultur, Litteratur oder Kunst, aber es ist
gegenüber den vielen Veranstaltungen von heute, die alle höhere Bildung direkt
ins Volk bringen wollen, gut, daß ihn ein sachkundiger Mann aufs neue aus-
spricht, für den übrigens das Volkstümliche einen wesentlichen Platz einnimmt
in dem ganzen Shstem seiner historisch-ästhetischen Betrachtung. "In den
Kreisen der Wohlhabenden allein finden sich heute die Bedingungen des Ge¬
deihens, Muße, Mittel und Bedürfnis. Wenn der Dilettantismus gesundet,
so kann und muß von ihm aus mit der Zeit die neue Volkskunst entstehen."
Von diesem "Muß" hängt alles ab, die "Volkskunst" würde sich dann aller¬
dings um eine Schicht höher lagern, und die Sache ist jedenfalls des Nach¬
denkens wert. Gegenstand des Dilettantismus ist in Hamburg zunächst die
Amateurphotographie geworden, dann aber infolge einer neuen Vereinsgründung
fast alles, was die menschliche Hand zu künstlerischer Thätigkeit veranlassen
kann, Zeichnen, Malen, Liebhaberholzschnitt für Buchzeichen und Lesezeichen,
Bucheinband und andres, und oft verbindet sich die Arbeit des dilettirenden
Auftraggebers mit der des ausführenden Handwerkers in der verschiedensten
Weise. Es ist klar, daß dadurch das Handwerk gefördert werden kann, denn
ihm wachsen nicht nur Aufträge, sondern auch geistige und künstlerische Kräfte
zu, und andrerseits tritt der gebildete Privatmann dem Technischen und Künst¬
lerischen näher, als es durch bloßes Anschauen geschehen könnte, und aus
vielen solchen gebildeten Männern wird schließlich das Publikum, das nach
den Absichten des Hamburger Dilettantenvereins gehoben werden soll. Licht¬
wark giebt uns einige Andeutungen über den Nutzen, den die Berufsphotv-


Die Kunst für das Volk

bildenden Künsten und in der Musik ist nun einmal da, er läßt sich nicht aus¬
rotten; wenn er ernst ist und nicht bloß oberflächlich, so kann er das Kunst¬
verständnis fordern, oder, wie Lichtwark lieber gesagt haben möchte, die Fähig¬
keit, Kunst zu genießen. Auch das Sammeln bringt ja schon der Kunst näher,
namentlich wenn es sich dem Leben der Gegenwart zuwendet. Der Dilettant
tritt vielfach da ein, wo alte Volkskunst abgestorben ist, er will nicht davon
leben, kann also noch weiter arbeiten, wo die durch die neue Zeit verdrängte
Volkskunst uicht mehr auf ihre Kosten kommen würde. Beleben, galvanisiren
läßt sich das Abgestorbne nicht, wir können mit den Forschern der Volkskunst
deren Untergang beklagen und die Spuren sammeln, um uus daran zu freuen,
aber praktisch führt das nicht weit, weil die Anwendung nicht mehr möglich
ist. Lichtwark meint sogar: „Und wären Muße und Wille da, so wäre es
verkehrt, das Alte erneuern zu wollen. Es ist ohne Kraft, sonst würde es
aus sich selbst neues Leben entwickeln. Und es ist Verlorne Liebesmüh, neue
Bildung von unter auf bauen zu wollen. Aller Fortschritt besteht darin, daß
Einzelne einen höhern Typus vorleben und die Massen ihnen nachstreben."
Dieser Satz ist durchaus richtig, man kann ihn ja nachprüfen an hundert
Wendungen der Geschichte unsrer Kultur, Litteratur oder Kunst, aber es ist
gegenüber den vielen Veranstaltungen von heute, die alle höhere Bildung direkt
ins Volk bringen wollen, gut, daß ihn ein sachkundiger Mann aufs neue aus-
spricht, für den übrigens das Volkstümliche einen wesentlichen Platz einnimmt
in dem ganzen Shstem seiner historisch-ästhetischen Betrachtung. „In den
Kreisen der Wohlhabenden allein finden sich heute die Bedingungen des Ge¬
deihens, Muße, Mittel und Bedürfnis. Wenn der Dilettantismus gesundet,
so kann und muß von ihm aus mit der Zeit die neue Volkskunst entstehen."
Von diesem „Muß" hängt alles ab, die „Volkskunst" würde sich dann aller¬
dings um eine Schicht höher lagern, und die Sache ist jedenfalls des Nach¬
denkens wert. Gegenstand des Dilettantismus ist in Hamburg zunächst die
Amateurphotographie geworden, dann aber infolge einer neuen Vereinsgründung
fast alles, was die menschliche Hand zu künstlerischer Thätigkeit veranlassen
kann, Zeichnen, Malen, Liebhaberholzschnitt für Buchzeichen und Lesezeichen,
Bucheinband und andres, und oft verbindet sich die Arbeit des dilettirenden
Auftraggebers mit der des ausführenden Handwerkers in der verschiedensten
Weise. Es ist klar, daß dadurch das Handwerk gefördert werden kann, denn
ihm wachsen nicht nur Aufträge, sondern auch geistige und künstlerische Kräfte
zu, und andrerseits tritt der gebildete Privatmann dem Technischen und Künst¬
lerischen näher, als es durch bloßes Anschauen geschehen könnte, und aus
vielen solchen gebildeten Männern wird schließlich das Publikum, das nach
den Absichten des Hamburger Dilettantenvereins gehoben werden soll. Licht¬
wark giebt uns einige Andeutungen über den Nutzen, den die Berufsphotv-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0275" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227177"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Kunst für das Volk</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_896" prev="#ID_895" next="#ID_897"> bildenden Künsten und in der Musik ist nun einmal da, er läßt sich nicht aus¬<lb/>
rotten; wenn er ernst ist und nicht bloß oberflächlich, so kann er das Kunst¬<lb/>
verständnis fordern, oder, wie Lichtwark lieber gesagt haben möchte, die Fähig¬<lb/>
keit, Kunst zu genießen. Auch das Sammeln bringt ja schon der Kunst näher,<lb/>
namentlich wenn es sich dem Leben der Gegenwart zuwendet. Der Dilettant<lb/>
tritt vielfach da ein, wo alte Volkskunst abgestorben ist, er will nicht davon<lb/>
leben, kann also noch weiter arbeiten, wo die durch die neue Zeit verdrängte<lb/>
Volkskunst uicht mehr auf ihre Kosten kommen würde. Beleben, galvanisiren<lb/>
läßt sich das Abgestorbne nicht, wir können mit den Forschern der Volkskunst<lb/>
deren Untergang beklagen und die Spuren sammeln, um uus daran zu freuen,<lb/>
aber praktisch führt das nicht weit, weil die Anwendung nicht mehr möglich<lb/>
ist. Lichtwark meint sogar: &#x201E;Und wären Muße und Wille da, so wäre es<lb/>
verkehrt, das Alte erneuern zu wollen. Es ist ohne Kraft, sonst würde es<lb/>
aus sich selbst neues Leben entwickeln. Und es ist Verlorne Liebesmüh, neue<lb/>
Bildung von unter auf bauen zu wollen. Aller Fortschritt besteht darin, daß<lb/>
Einzelne einen höhern Typus vorleben und die Massen ihnen nachstreben."<lb/>
Dieser Satz ist durchaus richtig, man kann ihn ja nachprüfen an hundert<lb/>
Wendungen der Geschichte unsrer Kultur, Litteratur oder Kunst, aber es ist<lb/>
gegenüber den vielen Veranstaltungen von heute, die alle höhere Bildung direkt<lb/>
ins Volk bringen wollen, gut, daß ihn ein sachkundiger Mann aufs neue aus-<lb/>
spricht, für den übrigens das Volkstümliche einen wesentlichen Platz einnimmt<lb/>
in dem ganzen Shstem seiner historisch-ästhetischen Betrachtung. &#x201E;In den<lb/>
Kreisen der Wohlhabenden allein finden sich heute die Bedingungen des Ge¬<lb/>
deihens, Muße, Mittel und Bedürfnis. Wenn der Dilettantismus gesundet,<lb/>
so kann und muß von ihm aus mit der Zeit die neue Volkskunst entstehen."<lb/>
Von diesem &#x201E;Muß" hängt alles ab, die &#x201E;Volkskunst" würde sich dann aller¬<lb/>
dings um eine Schicht höher lagern, und die Sache ist jedenfalls des Nach¬<lb/>
denkens wert. Gegenstand des Dilettantismus ist in Hamburg zunächst die<lb/>
Amateurphotographie geworden, dann aber infolge einer neuen Vereinsgründung<lb/>
fast alles, was die menschliche Hand zu künstlerischer Thätigkeit veranlassen<lb/>
kann, Zeichnen, Malen, Liebhaberholzschnitt für Buchzeichen und Lesezeichen,<lb/>
Bucheinband und andres, und oft verbindet sich die Arbeit des dilettirenden<lb/>
Auftraggebers mit der des ausführenden Handwerkers in der verschiedensten<lb/>
Weise. Es ist klar, daß dadurch das Handwerk gefördert werden kann, denn<lb/>
ihm wachsen nicht nur Aufträge, sondern auch geistige und künstlerische Kräfte<lb/>
zu, und andrerseits tritt der gebildete Privatmann dem Technischen und Künst¬<lb/>
lerischen näher, als es durch bloßes Anschauen geschehen könnte, und aus<lb/>
vielen solchen gebildeten Männern wird schließlich das Publikum, das nach<lb/>
den Absichten des Hamburger Dilettantenvereins gehoben werden soll. Licht¬<lb/>
wark giebt uns einige Andeutungen über den Nutzen, den die Berufsphotv-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0275] Die Kunst für das Volk bildenden Künsten und in der Musik ist nun einmal da, er läßt sich nicht aus¬ rotten; wenn er ernst ist und nicht bloß oberflächlich, so kann er das Kunst¬ verständnis fordern, oder, wie Lichtwark lieber gesagt haben möchte, die Fähig¬ keit, Kunst zu genießen. Auch das Sammeln bringt ja schon der Kunst näher, namentlich wenn es sich dem Leben der Gegenwart zuwendet. Der Dilettant tritt vielfach da ein, wo alte Volkskunst abgestorben ist, er will nicht davon leben, kann also noch weiter arbeiten, wo die durch die neue Zeit verdrängte Volkskunst uicht mehr auf ihre Kosten kommen würde. Beleben, galvanisiren läßt sich das Abgestorbne nicht, wir können mit den Forschern der Volkskunst deren Untergang beklagen und die Spuren sammeln, um uus daran zu freuen, aber praktisch führt das nicht weit, weil die Anwendung nicht mehr möglich ist. Lichtwark meint sogar: „Und wären Muße und Wille da, so wäre es verkehrt, das Alte erneuern zu wollen. Es ist ohne Kraft, sonst würde es aus sich selbst neues Leben entwickeln. Und es ist Verlorne Liebesmüh, neue Bildung von unter auf bauen zu wollen. Aller Fortschritt besteht darin, daß Einzelne einen höhern Typus vorleben und die Massen ihnen nachstreben." Dieser Satz ist durchaus richtig, man kann ihn ja nachprüfen an hundert Wendungen der Geschichte unsrer Kultur, Litteratur oder Kunst, aber es ist gegenüber den vielen Veranstaltungen von heute, die alle höhere Bildung direkt ins Volk bringen wollen, gut, daß ihn ein sachkundiger Mann aufs neue aus- spricht, für den übrigens das Volkstümliche einen wesentlichen Platz einnimmt in dem ganzen Shstem seiner historisch-ästhetischen Betrachtung. „In den Kreisen der Wohlhabenden allein finden sich heute die Bedingungen des Ge¬ deihens, Muße, Mittel und Bedürfnis. Wenn der Dilettantismus gesundet, so kann und muß von ihm aus mit der Zeit die neue Volkskunst entstehen." Von diesem „Muß" hängt alles ab, die „Volkskunst" würde sich dann aller¬ dings um eine Schicht höher lagern, und die Sache ist jedenfalls des Nach¬ denkens wert. Gegenstand des Dilettantismus ist in Hamburg zunächst die Amateurphotographie geworden, dann aber infolge einer neuen Vereinsgründung fast alles, was die menschliche Hand zu künstlerischer Thätigkeit veranlassen kann, Zeichnen, Malen, Liebhaberholzschnitt für Buchzeichen und Lesezeichen, Bucheinband und andres, und oft verbindet sich die Arbeit des dilettirenden Auftraggebers mit der des ausführenden Handwerkers in der verschiedensten Weise. Es ist klar, daß dadurch das Handwerk gefördert werden kann, denn ihm wachsen nicht nur Aufträge, sondern auch geistige und künstlerische Kräfte zu, und andrerseits tritt der gebildete Privatmann dem Technischen und Künst¬ lerischen näher, als es durch bloßes Anschauen geschehen könnte, und aus vielen solchen gebildeten Männern wird schließlich das Publikum, das nach den Absichten des Hamburger Dilettantenvereins gehoben werden soll. Licht¬ wark giebt uns einige Andeutungen über den Nutzen, den die Berufsphotv-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/275
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/275>, abgerufen am 09.01.2025.