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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Reichsländische Zeitfragen

liehen Zusammenlebens im Staate Frieden und Gleichgewicht zu erhalten und
die Seelsorge fördern zu helfen. Dieses Ziel ist erreichbar, giebt für Thun
und Lassen einen festen Maßstab und kann ebenso wenig zu Kirchenverfolguug
wie zu eiteln Liebeswerben führen. Für diese Auffassung ist die hierarchische
Gliederung und Einwirkung etwas gegebnes, auch als Vermittlerin aller Zu¬
wendungen, aber nicht so, daß der Staat hinter der Kirche verschwindet. Streit
wird diese Auffassung aufs äußerste vermeiden, aber den aufgenommnen durch¬
fechten, ohne Furcht vor Gespenstern.

Nach diesen Grundsätzen ist die umfassende Kirchenhoheit des Reichslandes
bisher nicht gehandhabt worden, sondern das Hauptbestreben ist darauf ge¬
richtet gewesen, die katholische Kirche durch äußere Wohlthaten zu gewinnen.
Ihre Austeilung ist fast ganz den bischöflichen Behörden überlassen worden.
So erscheint denn dem Seelsorgeklerus und den kirchlichen Anstalten Mon-
seigneur -- die fast ständige Bezeichnung des Bischofs -- als der eigentlich
gebende Teil. Einige Zugeständnisse sind ja erreicht worden, aber es waren,
genau besehen, nur selbstverständliche, und sie werden in der Ausführung
wieder abgeschwächt. Im ganzen ist das Gegenteil von Erfolg bewirkt worden.
Wie soll auch auf weltliche Saat geistliche Ernte folgen? Die Kirche hat fran¬
zösischen Geist und französischen Habitus nur noch mehr gehegt, auch im Elsaß,
und trotz des altdeutschen Bischofs Fritzen. Die jüngere Generation der Geist¬
lichkeit ist uns noch feindlicher als die ältere und zeigt es über das ihren
Obern genehme Maß. Darin darf sie es wagen, ihnen Ungehorsam oder Nicht¬
achtung zu beweisen: IkuciMliter Mio vsoeÄut,, Nicht um wenigsten leidet
unter dieser Richtung der Gemüter die Seelsorge. Ob der neue Kultusminister
diesem Unwesen steuern wird? Wird er wenigstens nach französischer Art die
Zügel straffer anziehen und die freigebigen Zuwendungen nach dem alö ut, ass
behandeln? Wird er, und wird in höherer Instanz der Statthalter das Liebes¬
werben meiden, wie es besonders der Statthalter von Manteuffel halb senti¬
mental, halb planmäßig geübt hat? Wir stehen in alledem vor bedeutsamen
Fragezeichen. Im Reichslande wird man als Deutscher hvffnungsarm. Ich
fürchte, daß Herr or. Petri keine Ausnahme von der Regel machen wird,
wonach sich liberale Protestanten am wenigsten zu Kultusministern eignen.

In der eigentlichen Jnstizabteilung wird es Herr Dr. Petri in vieler Be¬
ziehung besser haben. Die Geheimnisse der höhern Dekretirknnst werden nicht
lange Geheimnisse für ihn bleiben, denn als Jurist kennt er schon rss yMo in
nunrero, Mulere, mensura vcmsiswnt,. Er hat jedenfalls die Absicht, dem
Vürecmkratismus entgegenzutreten, wie er beispielsweise den nicht streberischer,
aber strebsamen Einzelrichter fast auf Schritt und Tritt begleitet und hemmt,
wie er mich das für Elsaß-Lothringen so wichtige Notariat in lästige Scha¬
blonen zwängt, ohne seine Auswüchse beseitigen zu können. Aber auch aus
diesem Gebiete wird Herr Dr. Petri die Erfahrung machen, daß die Umgebung
oft stärker ist als der zur Leitung berufne Wille. Nicht daß die Räte, die


Reichsländische Zeitfragen

liehen Zusammenlebens im Staate Frieden und Gleichgewicht zu erhalten und
die Seelsorge fördern zu helfen. Dieses Ziel ist erreichbar, giebt für Thun
und Lassen einen festen Maßstab und kann ebenso wenig zu Kirchenverfolguug
wie zu eiteln Liebeswerben führen. Für diese Auffassung ist die hierarchische
Gliederung und Einwirkung etwas gegebnes, auch als Vermittlerin aller Zu¬
wendungen, aber nicht so, daß der Staat hinter der Kirche verschwindet. Streit
wird diese Auffassung aufs äußerste vermeiden, aber den aufgenommnen durch¬
fechten, ohne Furcht vor Gespenstern.

Nach diesen Grundsätzen ist die umfassende Kirchenhoheit des Reichslandes
bisher nicht gehandhabt worden, sondern das Hauptbestreben ist darauf ge¬
richtet gewesen, die katholische Kirche durch äußere Wohlthaten zu gewinnen.
Ihre Austeilung ist fast ganz den bischöflichen Behörden überlassen worden.
So erscheint denn dem Seelsorgeklerus und den kirchlichen Anstalten Mon-
seigneur — die fast ständige Bezeichnung des Bischofs — als der eigentlich
gebende Teil. Einige Zugeständnisse sind ja erreicht worden, aber es waren,
genau besehen, nur selbstverständliche, und sie werden in der Ausführung
wieder abgeschwächt. Im ganzen ist das Gegenteil von Erfolg bewirkt worden.
Wie soll auch auf weltliche Saat geistliche Ernte folgen? Die Kirche hat fran¬
zösischen Geist und französischen Habitus nur noch mehr gehegt, auch im Elsaß,
und trotz des altdeutschen Bischofs Fritzen. Die jüngere Generation der Geist¬
lichkeit ist uns noch feindlicher als die ältere und zeigt es über das ihren
Obern genehme Maß. Darin darf sie es wagen, ihnen Ungehorsam oder Nicht¬
achtung zu beweisen: IkuciMliter Mio vsoeÄut,, Nicht um wenigsten leidet
unter dieser Richtung der Gemüter die Seelsorge. Ob der neue Kultusminister
diesem Unwesen steuern wird? Wird er wenigstens nach französischer Art die
Zügel straffer anziehen und die freigebigen Zuwendungen nach dem alö ut, ass
behandeln? Wird er, und wird in höherer Instanz der Statthalter das Liebes¬
werben meiden, wie es besonders der Statthalter von Manteuffel halb senti¬
mental, halb planmäßig geübt hat? Wir stehen in alledem vor bedeutsamen
Fragezeichen. Im Reichslande wird man als Deutscher hvffnungsarm. Ich
fürchte, daß Herr or. Petri keine Ausnahme von der Regel machen wird,
wonach sich liberale Protestanten am wenigsten zu Kultusministern eignen.

In der eigentlichen Jnstizabteilung wird es Herr Dr. Petri in vieler Be¬
ziehung besser haben. Die Geheimnisse der höhern Dekretirknnst werden nicht
lange Geheimnisse für ihn bleiben, denn als Jurist kennt er schon rss yMo in
nunrero, Mulere, mensura vcmsiswnt,. Er hat jedenfalls die Absicht, dem
Vürecmkratismus entgegenzutreten, wie er beispielsweise den nicht streberischer,
aber strebsamen Einzelrichter fast auf Schritt und Tritt begleitet und hemmt,
wie er mich das für Elsaß-Lothringen so wichtige Notariat in lästige Scha¬
blonen zwängt, ohne seine Auswüchse beseitigen zu können. Aber auch aus
diesem Gebiete wird Herr Dr. Petri die Erfahrung machen, daß die Umgebung
oft stärker ist als der zur Leitung berufne Wille. Nicht daß die Räte, die


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[0256] Reichsländische Zeitfragen liehen Zusammenlebens im Staate Frieden und Gleichgewicht zu erhalten und die Seelsorge fördern zu helfen. Dieses Ziel ist erreichbar, giebt für Thun und Lassen einen festen Maßstab und kann ebenso wenig zu Kirchenverfolguug wie zu eiteln Liebeswerben führen. Für diese Auffassung ist die hierarchische Gliederung und Einwirkung etwas gegebnes, auch als Vermittlerin aller Zu¬ wendungen, aber nicht so, daß der Staat hinter der Kirche verschwindet. Streit wird diese Auffassung aufs äußerste vermeiden, aber den aufgenommnen durch¬ fechten, ohne Furcht vor Gespenstern. Nach diesen Grundsätzen ist die umfassende Kirchenhoheit des Reichslandes bisher nicht gehandhabt worden, sondern das Hauptbestreben ist darauf ge¬ richtet gewesen, die katholische Kirche durch äußere Wohlthaten zu gewinnen. Ihre Austeilung ist fast ganz den bischöflichen Behörden überlassen worden. So erscheint denn dem Seelsorgeklerus und den kirchlichen Anstalten Mon- seigneur — die fast ständige Bezeichnung des Bischofs — als der eigentlich gebende Teil. Einige Zugeständnisse sind ja erreicht worden, aber es waren, genau besehen, nur selbstverständliche, und sie werden in der Ausführung wieder abgeschwächt. Im ganzen ist das Gegenteil von Erfolg bewirkt worden. Wie soll auch auf weltliche Saat geistliche Ernte folgen? Die Kirche hat fran¬ zösischen Geist und französischen Habitus nur noch mehr gehegt, auch im Elsaß, und trotz des altdeutschen Bischofs Fritzen. Die jüngere Generation der Geist¬ lichkeit ist uns noch feindlicher als die ältere und zeigt es über das ihren Obern genehme Maß. Darin darf sie es wagen, ihnen Ungehorsam oder Nicht¬ achtung zu beweisen: IkuciMliter Mio vsoeÄut,, Nicht um wenigsten leidet unter dieser Richtung der Gemüter die Seelsorge. Ob der neue Kultusminister diesem Unwesen steuern wird? Wird er wenigstens nach französischer Art die Zügel straffer anziehen und die freigebigen Zuwendungen nach dem alö ut, ass behandeln? Wird er, und wird in höherer Instanz der Statthalter das Liebes¬ werben meiden, wie es besonders der Statthalter von Manteuffel halb senti¬ mental, halb planmäßig geübt hat? Wir stehen in alledem vor bedeutsamen Fragezeichen. Im Reichslande wird man als Deutscher hvffnungsarm. Ich fürchte, daß Herr or. Petri keine Ausnahme von der Regel machen wird, wonach sich liberale Protestanten am wenigsten zu Kultusministern eignen. In der eigentlichen Jnstizabteilung wird es Herr Dr. Petri in vieler Be¬ ziehung besser haben. Die Geheimnisse der höhern Dekretirknnst werden nicht lange Geheimnisse für ihn bleiben, denn als Jurist kennt er schon rss yMo in nunrero, Mulere, mensura vcmsiswnt,. Er hat jedenfalls die Absicht, dem Vürecmkratismus entgegenzutreten, wie er beispielsweise den nicht streberischer, aber strebsamen Einzelrichter fast auf Schritt und Tritt begleitet und hemmt, wie er mich das für Elsaß-Lothringen so wichtige Notariat in lästige Scha¬ blonen zwängt, ohne seine Auswüchse beseitigen zu können. Aber auch aus diesem Gebiete wird Herr Dr. Petri die Erfahrung machen, daß die Umgebung oft stärker ist als der zur Leitung berufne Wille. Nicht daß die Räte, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/256>, abgerufen am 09.01.2025.