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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Das deutsche Dorfwirtshcms

solcher Mann paßt nicht hinter die hellen, harten, unpolirten Wirtstische ans
Apfel- und Birnbaumholz, die im Elsaß üblich sind. Ich habe tief im Wasgen-
Wald einen Gestrandeten dieser Art getroffen, der trotz ängstlichem Bemühen
den welschen Wirt nicht fertig brachte, nach dessen Muster er mit der Ser¬
viette unter dem Arm servirte; seine Frau, die im Wirtshaus aufgewachsen
war, leitete mit natürlicher Sachkenntnis das Ganze. Ein interessanter Fall
von Vererbung!

Von Frankreich herüber reicht ein ganz andres System der Wirtschafts¬
führung in den von Fremden häufiger besuchten Gasthäusern als das in
Deutschland übliche. Der Wirt leitet Küche und Keller, kocht, wenn es nötig
ist, selbst, während die Frau die Fremden empfängt und bedient, womöglich
von Töchtern oder weiblichen Verwandten unterstützt. In Lothringen findet
man manches Wirtshaus nach diesem "Plan," der ja auch den Erfolg manches
nicht ganz kleinen Gasthauses in der Schweiz schafft. Im Elsaß nimmt der
Wirt nach deutscher Art die Stellung des Hausherrn ein. Wäre nicht die
in manchen elsüssischen Dörfern, selbst im Weinland, hervortretende größere
Nüchternheit der Bevölkerung, die das Wirtshaus an Werktagen meidet, so
würde sich die Übereinstimmung mit den rechtsrheinischen Alemannen auch auf
diese Sphäre erstrecken. Es ist aber keine Frage, daß das Elsaß in seinen
Gebirgswirtshäusern geradeso wie in andern Dingen hinter dem Schwarzwald
zurückgeblieben ist. Unliebsam verspürt der Wandrer an abgelegnen Orten den
Mangel alemannischer Reinlichkeit und Emsigkeit. Der Elsüsser wirft dem
Altdeutschen, der sein heimatliches Wirtshaus lobt, Vergnügungssucht und
Wirtshaushockerei vor, während der Vadenser meint, da die Elsässer Weine
bei weitem nicht so süffig seien wie der Markgräfler, sei es keine Kunst,
weniger lang bei einem elsässischen Schoppen sitzen zu bleiben. Ein Gang
durch elsässische und lothringische Städte und Städtchen läßt keinen Zweifel
daran auskommen, daß die Altdeutschen redlich bestrebt sind, auch in dieser
Beziehung Unebenheiten auszugleichen. Mit dem deutschen Bier ist eine
Menge badischer und bairischer Brauer und Wirte eingewandert, und die
bairischen Keller- und Gartenwirtschaften haben dazu beigetragen, die elsa߬
lothringischen Stüdtebilder umzugestalten. In andrer Weise bezeugt so manches
alte Haus in Lothringen, das in die Hand eines deutschen Wirtes oder
Wirtsdilettanten übergegangen ist, die Änderung der Verhältnisse. Wenn es
nach alter Sitte in einer ruhigen Seitenstraße und womöglich hinter einem
umgitterten Hofe liegt, ein Bild der Ruhe und Respektabilität, und es tönt
der Lärm einer Sektkneiperei deutscher Offiziere heraus, ist der Kontrast sehr
stark. So wie aus Deutschland seit 1870 schiffbrüchige Existenzen jedes
Standes nach dem Reichsland getrieben sind, hat natürlich auch das Wirts-
gcwerbe dort anziehend auf solche gewirkt, die in Altdeutschland nicht mehr
viel zu hoffen hatten. Es giebt Städte, wo alle Wirtshäuser seit 1870 die


Das deutsche Dorfwirtshcms

solcher Mann paßt nicht hinter die hellen, harten, unpolirten Wirtstische ans
Apfel- und Birnbaumholz, die im Elsaß üblich sind. Ich habe tief im Wasgen-
Wald einen Gestrandeten dieser Art getroffen, der trotz ängstlichem Bemühen
den welschen Wirt nicht fertig brachte, nach dessen Muster er mit der Ser¬
viette unter dem Arm servirte; seine Frau, die im Wirtshaus aufgewachsen
war, leitete mit natürlicher Sachkenntnis das Ganze. Ein interessanter Fall
von Vererbung!

Von Frankreich herüber reicht ein ganz andres System der Wirtschafts¬
führung in den von Fremden häufiger besuchten Gasthäusern als das in
Deutschland übliche. Der Wirt leitet Küche und Keller, kocht, wenn es nötig
ist, selbst, während die Frau die Fremden empfängt und bedient, womöglich
von Töchtern oder weiblichen Verwandten unterstützt. In Lothringen findet
man manches Wirtshaus nach diesem „Plan," der ja auch den Erfolg manches
nicht ganz kleinen Gasthauses in der Schweiz schafft. Im Elsaß nimmt der
Wirt nach deutscher Art die Stellung des Hausherrn ein. Wäre nicht die
in manchen elsüssischen Dörfern, selbst im Weinland, hervortretende größere
Nüchternheit der Bevölkerung, die das Wirtshaus an Werktagen meidet, so
würde sich die Übereinstimmung mit den rechtsrheinischen Alemannen auch auf
diese Sphäre erstrecken. Es ist aber keine Frage, daß das Elsaß in seinen
Gebirgswirtshäusern geradeso wie in andern Dingen hinter dem Schwarzwald
zurückgeblieben ist. Unliebsam verspürt der Wandrer an abgelegnen Orten den
Mangel alemannischer Reinlichkeit und Emsigkeit. Der Elsüsser wirft dem
Altdeutschen, der sein heimatliches Wirtshaus lobt, Vergnügungssucht und
Wirtshaushockerei vor, während der Vadenser meint, da die Elsässer Weine
bei weitem nicht so süffig seien wie der Markgräfler, sei es keine Kunst,
weniger lang bei einem elsässischen Schoppen sitzen zu bleiben. Ein Gang
durch elsässische und lothringische Städte und Städtchen läßt keinen Zweifel
daran auskommen, daß die Altdeutschen redlich bestrebt sind, auch in dieser
Beziehung Unebenheiten auszugleichen. Mit dem deutschen Bier ist eine
Menge badischer und bairischer Brauer und Wirte eingewandert, und die
bairischen Keller- und Gartenwirtschaften haben dazu beigetragen, die elsa߬
lothringischen Stüdtebilder umzugestalten. In andrer Weise bezeugt so manches
alte Haus in Lothringen, das in die Hand eines deutschen Wirtes oder
Wirtsdilettanten übergegangen ist, die Änderung der Verhältnisse. Wenn es
nach alter Sitte in einer ruhigen Seitenstraße und womöglich hinter einem
umgitterten Hofe liegt, ein Bild der Ruhe und Respektabilität, und es tönt
der Lärm einer Sektkneiperei deutscher Offiziere heraus, ist der Kontrast sehr
stark. So wie aus Deutschland seit 1870 schiffbrüchige Existenzen jedes
Standes nach dem Reichsland getrieben sind, hat natürlich auch das Wirts-
gcwerbe dort anziehend auf solche gewirkt, die in Altdeutschland nicht mehr
viel zu hoffen hatten. Es giebt Städte, wo alle Wirtshäuser seit 1870 die


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[0155] Das deutsche Dorfwirtshcms solcher Mann paßt nicht hinter die hellen, harten, unpolirten Wirtstische ans Apfel- und Birnbaumholz, die im Elsaß üblich sind. Ich habe tief im Wasgen- Wald einen Gestrandeten dieser Art getroffen, der trotz ängstlichem Bemühen den welschen Wirt nicht fertig brachte, nach dessen Muster er mit der Ser¬ viette unter dem Arm servirte; seine Frau, die im Wirtshaus aufgewachsen war, leitete mit natürlicher Sachkenntnis das Ganze. Ein interessanter Fall von Vererbung! Von Frankreich herüber reicht ein ganz andres System der Wirtschafts¬ führung in den von Fremden häufiger besuchten Gasthäusern als das in Deutschland übliche. Der Wirt leitet Küche und Keller, kocht, wenn es nötig ist, selbst, während die Frau die Fremden empfängt und bedient, womöglich von Töchtern oder weiblichen Verwandten unterstützt. In Lothringen findet man manches Wirtshaus nach diesem „Plan," der ja auch den Erfolg manches nicht ganz kleinen Gasthauses in der Schweiz schafft. Im Elsaß nimmt der Wirt nach deutscher Art die Stellung des Hausherrn ein. Wäre nicht die in manchen elsüssischen Dörfern, selbst im Weinland, hervortretende größere Nüchternheit der Bevölkerung, die das Wirtshaus an Werktagen meidet, so würde sich die Übereinstimmung mit den rechtsrheinischen Alemannen auch auf diese Sphäre erstrecken. Es ist aber keine Frage, daß das Elsaß in seinen Gebirgswirtshäusern geradeso wie in andern Dingen hinter dem Schwarzwald zurückgeblieben ist. Unliebsam verspürt der Wandrer an abgelegnen Orten den Mangel alemannischer Reinlichkeit und Emsigkeit. Der Elsüsser wirft dem Altdeutschen, der sein heimatliches Wirtshaus lobt, Vergnügungssucht und Wirtshaushockerei vor, während der Vadenser meint, da die Elsässer Weine bei weitem nicht so süffig seien wie der Markgräfler, sei es keine Kunst, weniger lang bei einem elsässischen Schoppen sitzen zu bleiben. Ein Gang durch elsässische und lothringische Städte und Städtchen läßt keinen Zweifel daran auskommen, daß die Altdeutschen redlich bestrebt sind, auch in dieser Beziehung Unebenheiten auszugleichen. Mit dem deutschen Bier ist eine Menge badischer und bairischer Brauer und Wirte eingewandert, und die bairischen Keller- und Gartenwirtschaften haben dazu beigetragen, die elsa߬ lothringischen Stüdtebilder umzugestalten. In andrer Weise bezeugt so manches alte Haus in Lothringen, das in die Hand eines deutschen Wirtes oder Wirtsdilettanten übergegangen ist, die Änderung der Verhältnisse. Wenn es nach alter Sitte in einer ruhigen Seitenstraße und womöglich hinter einem umgitterten Hofe liegt, ein Bild der Ruhe und Respektabilität, und es tönt der Lärm einer Sektkneiperei deutscher Offiziere heraus, ist der Kontrast sehr stark. So wie aus Deutschland seit 1870 schiffbrüchige Existenzen jedes Standes nach dem Reichsland getrieben sind, hat natürlich auch das Wirts- gcwerbe dort anziehend auf solche gewirkt, die in Altdeutschland nicht mehr viel zu hoffen hatten. Es giebt Städte, wo alle Wirtshäuser seit 1870 die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/155>, abgerufen am 08.01.2025.