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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Zwei philosophische Systeme

z. B. im dreißigjährigen Kriege, ist Tod und Verwüstung das Ende eines
Kampfes, in dem alle Beteiligten "für die heiligsten Güter." also für die höchste
Potenz des Lebens gefochten haben. Um endlich die drei Moralen noch einmal
kurz zu charakterisiren: die Hcrzensmoral sagt: gut ist, was dem guten Gemüt
gefällt; die Pflichtenmoral: gut ist, was befohlen wird; die Zweckmoral: gut
ist, was nützt.

Gerade an der Stelle übrigens, an die ich diese Betrachtungen angeknüpft
habe, spricht Hartmann ein wahres und beherzigenswertes Wort aus.
"Der Begriff des Wertes im allgemeinen fängt erst an, ein Gegenstand der
Wissenschaft zu werden, wenn es objektiv reale Werte giebt; denn bloß sub¬
jektive Wertsetzungen stehen unter der Würde der Wissenschaft. Objektiv reale
Wertbemessung aber giebt es nur, wenn es objektiv reale Zwecke giebt, die
ihr als Maßstab dienen. Werden solche geleugnet, so giebt es überhaupt
keinen objektiven Wertunterschied mehr; alle Individuen sind dann objektiv
genommen gleich wertlos, also auch ihre subjektiven Zwecksetzungen und sub¬
jektiven Werturteile. Der Begriff der Entwicklung setzt einen Unterschied von
niederen und Höheren, d. h. objektiv reale Werturteile voraus, die wiederum
uur an Zuecken zu bemessen sind. Wenn alle Individuen von der niedrigsten
bis zur höchsten Stufe objektiv zwecklos und wertlos und insofern gleichwertig
sind, dann ist der Unterschied von niederen und Höheren und mit ihm die
Entwicklung ein trügerischer Schein. Dann erscheint bloß uns Menschen der
Weg vom Urtierchen zum Menschen als ein Aufstieg, weil wir uns einbilden,
etwas Höheres als dieses zu sein, während das Urtierchen mit demselben
Rechte es als einen Abstieg und einen Verfall der Natur ansehen kaun."
Ganz richtig! Das Wort Entwicklung hat nur dann einen Sinn, wenn die
Natur als Mittel zur Erzeugung des Menschen, zur Erhaltung seines Lebens
und zur Entfaltung seines Geistes angesehen wird. Was läßt sich aber inner¬
halb der Menschenwelt als objektiver Zweck auffinden im Gegensatz zu sub¬
jektiven Zwecken? Es giebt nur eines, was nicht bloß dieser und jener, sondern
was alle ohne Ausnahme wollen: glücklich sein. Also ist Menschenglück der
einzige objektive Wert auf Erden; Menschenglück selbstverständlich, nicht ein
rein tierisches Glück, sondern ein Glück, das die Entfaltung der intellektuellen,
ästhetischen, moralischen und praktischen Anlagen des Menschen einschließt.
Unter den Menschen selbst aber dürfen wir. so verschieden sie auch sein mögen,
bei dieser Abschätzung keinen Unterschied machen, sonst wird durch den Grund-
baß es erlaubt sei, die minder begabten oder minder entwickelten Menschen
den bedeutender" zu opfern, der Jmmoralitüt Thür und Thor geöffnet, sondern
müssen daran festhalten, daß jedes einzelnen Menschen Glück ein Gut von
unendlichem Wert sei; das Christentum thut dies, indem es der einzelnen
Menschenseele Unsterblichkeit zuspricht. Ist die einzelne Menschenseele, als
^pas "Zufälliges," wertlos, dann sind auch alle zusammen nichts wert, und


Zwei philosophische Systeme

z. B. im dreißigjährigen Kriege, ist Tod und Verwüstung das Ende eines
Kampfes, in dem alle Beteiligten „für die heiligsten Güter." also für die höchste
Potenz des Lebens gefochten haben. Um endlich die drei Moralen noch einmal
kurz zu charakterisiren: die Hcrzensmoral sagt: gut ist, was dem guten Gemüt
gefällt; die Pflichtenmoral: gut ist, was befohlen wird; die Zweckmoral: gut
ist, was nützt.

Gerade an der Stelle übrigens, an die ich diese Betrachtungen angeknüpft
habe, spricht Hartmann ein wahres und beherzigenswertes Wort aus.
„Der Begriff des Wertes im allgemeinen fängt erst an, ein Gegenstand der
Wissenschaft zu werden, wenn es objektiv reale Werte giebt; denn bloß sub¬
jektive Wertsetzungen stehen unter der Würde der Wissenschaft. Objektiv reale
Wertbemessung aber giebt es nur, wenn es objektiv reale Zwecke giebt, die
ihr als Maßstab dienen. Werden solche geleugnet, so giebt es überhaupt
keinen objektiven Wertunterschied mehr; alle Individuen sind dann objektiv
genommen gleich wertlos, also auch ihre subjektiven Zwecksetzungen und sub¬
jektiven Werturteile. Der Begriff der Entwicklung setzt einen Unterschied von
niederen und Höheren, d. h. objektiv reale Werturteile voraus, die wiederum
uur an Zuecken zu bemessen sind. Wenn alle Individuen von der niedrigsten
bis zur höchsten Stufe objektiv zwecklos und wertlos und insofern gleichwertig
sind, dann ist der Unterschied von niederen und Höheren und mit ihm die
Entwicklung ein trügerischer Schein. Dann erscheint bloß uns Menschen der
Weg vom Urtierchen zum Menschen als ein Aufstieg, weil wir uns einbilden,
etwas Höheres als dieses zu sein, während das Urtierchen mit demselben
Rechte es als einen Abstieg und einen Verfall der Natur ansehen kaun."
Ganz richtig! Das Wort Entwicklung hat nur dann einen Sinn, wenn die
Natur als Mittel zur Erzeugung des Menschen, zur Erhaltung seines Lebens
und zur Entfaltung seines Geistes angesehen wird. Was läßt sich aber inner¬
halb der Menschenwelt als objektiver Zweck auffinden im Gegensatz zu sub¬
jektiven Zwecken? Es giebt nur eines, was nicht bloß dieser und jener, sondern
was alle ohne Ausnahme wollen: glücklich sein. Also ist Menschenglück der
einzige objektive Wert auf Erden; Menschenglück selbstverständlich, nicht ein
rein tierisches Glück, sondern ein Glück, das die Entfaltung der intellektuellen,
ästhetischen, moralischen und praktischen Anlagen des Menschen einschließt.
Unter den Menschen selbst aber dürfen wir. so verschieden sie auch sein mögen,
bei dieser Abschätzung keinen Unterschied machen, sonst wird durch den Grund-
baß es erlaubt sei, die minder begabten oder minder entwickelten Menschen
den bedeutender» zu opfern, der Jmmoralitüt Thür und Thor geöffnet, sondern
müssen daran festhalten, daß jedes einzelnen Menschen Glück ein Gut von
unendlichem Wert sei; das Christentum thut dies, indem es der einzelnen
Menschenseele Unsterblichkeit zuspricht. Ist die einzelne Menschenseele, als
^pas „Zufälliges," wertlos, dann sind auch alle zusammen nichts wert, und


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[0087] Zwei philosophische Systeme z. B. im dreißigjährigen Kriege, ist Tod und Verwüstung das Ende eines Kampfes, in dem alle Beteiligten „für die heiligsten Güter." also für die höchste Potenz des Lebens gefochten haben. Um endlich die drei Moralen noch einmal kurz zu charakterisiren: die Hcrzensmoral sagt: gut ist, was dem guten Gemüt gefällt; die Pflichtenmoral: gut ist, was befohlen wird; die Zweckmoral: gut ist, was nützt. Gerade an der Stelle übrigens, an die ich diese Betrachtungen angeknüpft habe, spricht Hartmann ein wahres und beherzigenswertes Wort aus. „Der Begriff des Wertes im allgemeinen fängt erst an, ein Gegenstand der Wissenschaft zu werden, wenn es objektiv reale Werte giebt; denn bloß sub¬ jektive Wertsetzungen stehen unter der Würde der Wissenschaft. Objektiv reale Wertbemessung aber giebt es nur, wenn es objektiv reale Zwecke giebt, die ihr als Maßstab dienen. Werden solche geleugnet, so giebt es überhaupt keinen objektiven Wertunterschied mehr; alle Individuen sind dann objektiv genommen gleich wertlos, also auch ihre subjektiven Zwecksetzungen und sub¬ jektiven Werturteile. Der Begriff der Entwicklung setzt einen Unterschied von niederen und Höheren, d. h. objektiv reale Werturteile voraus, die wiederum uur an Zuecken zu bemessen sind. Wenn alle Individuen von der niedrigsten bis zur höchsten Stufe objektiv zwecklos und wertlos und insofern gleichwertig sind, dann ist der Unterschied von niederen und Höheren und mit ihm die Entwicklung ein trügerischer Schein. Dann erscheint bloß uns Menschen der Weg vom Urtierchen zum Menschen als ein Aufstieg, weil wir uns einbilden, etwas Höheres als dieses zu sein, während das Urtierchen mit demselben Rechte es als einen Abstieg und einen Verfall der Natur ansehen kaun." Ganz richtig! Das Wort Entwicklung hat nur dann einen Sinn, wenn die Natur als Mittel zur Erzeugung des Menschen, zur Erhaltung seines Lebens und zur Entfaltung seines Geistes angesehen wird. Was läßt sich aber inner¬ halb der Menschenwelt als objektiver Zweck auffinden im Gegensatz zu sub¬ jektiven Zwecken? Es giebt nur eines, was nicht bloß dieser und jener, sondern was alle ohne Ausnahme wollen: glücklich sein. Also ist Menschenglück der einzige objektive Wert auf Erden; Menschenglück selbstverständlich, nicht ein rein tierisches Glück, sondern ein Glück, das die Entfaltung der intellektuellen, ästhetischen, moralischen und praktischen Anlagen des Menschen einschließt. Unter den Menschen selbst aber dürfen wir. so verschieden sie auch sein mögen, bei dieser Abschätzung keinen Unterschied machen, sonst wird durch den Grund- baß es erlaubt sei, die minder begabten oder minder entwickelten Menschen den bedeutender» zu opfern, der Jmmoralitüt Thür und Thor geöffnet, sondern müssen daran festhalten, daß jedes einzelnen Menschen Glück ein Gut von unendlichem Wert sei; das Christentum thut dies, indem es der einzelnen Menschenseele Unsterblichkeit zuspricht. Ist die einzelne Menschenseele, als ^pas „Zufälliges," wertlos, dann sind auch alle zusammen nichts wert, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/87>, abgerufen am 23.07.2024.