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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Auswärtige Politik

Handlung auswärtiger Fragen zu erwarten sein; gegenwärtig liegen sie kaum
im Bereiche der Möglichkeit.

Am vorteilhaftester aber würde eine engere Fühlung unsrer Abgeordneten
mit den auswärtigen Angelegenheiten auf die Lage im Innern zurückwirken.
Die unversöhnlichsten Feinde des Reichs sind und bleiben die Römlinge und
die Revolutionäre mit ihrem beiderseitigen Anhang. Über diese Thatsache
können keine Zeitströmungen und keine wirtschaftlichen Verwicklungen hinweg¬
täuschen. Ultramontanen wie Sozialdemokraten aber kann kein ärgeres Mi߬
geschick widerfahren, als daß sie in die Notwendigkeit versetzt werden, ihre
Stellung zur auswärtigen Politik anzugeben. Bekennen sie Farbe, so kann
es nicht ausbleiben, daß der klaffende Zwiespalt zwischen ihren Herzenswünschen
und den Daseinsbedingungen der deutschen Nation zu Tage tritt. Suchen sie
aber solcher unerwünschten Schaustellung ihrer natürlichen Gebrechen zu ent¬
gehen und sich hurtig das Festgewand eines nachgemachten Patriotismus um¬
zuhängen, so verwickeln sich ebenso unausbleiblich die Ultramontanen in Wider¬
sprüche mit der Politik des päpstlichen Stuhles und die Sozialdemokraten in
Widersprüche mit ihren Allerweltsidealen. Je häufiger die einen wie die andern
in dieses Dilemma gebracht werden, umso besser ist es für die Klärung unsrer
innern Verhältnisse.

Hand in Hand mit der Tauglichkeit der auswärtigen Politik zur Be¬
kämpfung der innern Feinde des Reichs geht ihr einigender und stärkender
Einfluß auf alle kaiserlich gesinnten Deutschen. Der heute noch weit verbreiteten
Verkennung dieser ihrer Vorzüge sei hier mit vollem Bedacht die Behauptung
entgegengestellt, daß auch die Überwindung des sozialdemokratischen Übels nur
einer kraftvollen und klaren auswärtigen Politik gelingen wird.

Unter den Deutschen, die nicht an einen Umsturz des Bestehenden glauben,
giebt es heute nur noch zwei Gruppen. Die einen halten ein baldiges Über¬
gewicht der Sozialdemokratie in den Parlamenten für unvermeidlich. Als
nächste Folge dieses Übergewichts erwarten sie das Stocken der Staatsmaschine,
darauf eiuen blutigen Sieg der monarchischen Staatsgewalt und dann ein
neues Cäsarentum. Was aus diesem entstehen soll, lassen sie dahingestellt.
Diese Gruppe ist anscheinend sehr zahlreich. Die andern behaupten die Mög¬
lichkeit einer durch keine Gewaltthat unterbrochner Weiterbildung der geschicht¬
lichen Staats- und Gesellschaftsformen. Sie wünschen eine solche Entwicklung,
weil im Aufruhr, mag er siege" oder niedergeworfen werden, mit dem Kranken
auch vieles Gesunde untergeht. Sie verschließen sich nicht der nahen Gefahr
einer solchen Katastrophe, denn sie wissen, wie leicht eine tiefgehende Bewegung
aus ihren Ufern tritt, sobald infolge einer augenblicklichen Verwicklung elemen¬
tare Gewalten der Leidenschaft die Führung erlmigcu. Aber sie halten die
Gefahr bei steter und angespannter Aufmerksamkeit nicht sür unabwendbar und
die soziale Aufgabe unsers Zeitalters nicht sür unlösbar. An der Übersättigung


Grenzboten IV 1897 "
Auswärtige Politik

Handlung auswärtiger Fragen zu erwarten sein; gegenwärtig liegen sie kaum
im Bereiche der Möglichkeit.

Am vorteilhaftester aber würde eine engere Fühlung unsrer Abgeordneten
mit den auswärtigen Angelegenheiten auf die Lage im Innern zurückwirken.
Die unversöhnlichsten Feinde des Reichs sind und bleiben die Römlinge und
die Revolutionäre mit ihrem beiderseitigen Anhang. Über diese Thatsache
können keine Zeitströmungen und keine wirtschaftlichen Verwicklungen hinweg¬
täuschen. Ultramontanen wie Sozialdemokraten aber kann kein ärgeres Mi߬
geschick widerfahren, als daß sie in die Notwendigkeit versetzt werden, ihre
Stellung zur auswärtigen Politik anzugeben. Bekennen sie Farbe, so kann
es nicht ausbleiben, daß der klaffende Zwiespalt zwischen ihren Herzenswünschen
und den Daseinsbedingungen der deutschen Nation zu Tage tritt. Suchen sie
aber solcher unerwünschten Schaustellung ihrer natürlichen Gebrechen zu ent¬
gehen und sich hurtig das Festgewand eines nachgemachten Patriotismus um¬
zuhängen, so verwickeln sich ebenso unausbleiblich die Ultramontanen in Wider¬
sprüche mit der Politik des päpstlichen Stuhles und die Sozialdemokraten in
Widersprüche mit ihren Allerweltsidealen. Je häufiger die einen wie die andern
in dieses Dilemma gebracht werden, umso besser ist es für die Klärung unsrer
innern Verhältnisse.

Hand in Hand mit der Tauglichkeit der auswärtigen Politik zur Be¬
kämpfung der innern Feinde des Reichs geht ihr einigender und stärkender
Einfluß auf alle kaiserlich gesinnten Deutschen. Der heute noch weit verbreiteten
Verkennung dieser ihrer Vorzüge sei hier mit vollem Bedacht die Behauptung
entgegengestellt, daß auch die Überwindung des sozialdemokratischen Übels nur
einer kraftvollen und klaren auswärtigen Politik gelingen wird.

Unter den Deutschen, die nicht an einen Umsturz des Bestehenden glauben,
giebt es heute nur noch zwei Gruppen. Die einen halten ein baldiges Über¬
gewicht der Sozialdemokratie in den Parlamenten für unvermeidlich. Als
nächste Folge dieses Übergewichts erwarten sie das Stocken der Staatsmaschine,
darauf eiuen blutigen Sieg der monarchischen Staatsgewalt und dann ein
neues Cäsarentum. Was aus diesem entstehen soll, lassen sie dahingestellt.
Diese Gruppe ist anscheinend sehr zahlreich. Die andern behaupten die Mög¬
lichkeit einer durch keine Gewaltthat unterbrochner Weiterbildung der geschicht¬
lichen Staats- und Gesellschaftsformen. Sie wünschen eine solche Entwicklung,
weil im Aufruhr, mag er siege» oder niedergeworfen werden, mit dem Kranken
auch vieles Gesunde untergeht. Sie verschließen sich nicht der nahen Gefahr
einer solchen Katastrophe, denn sie wissen, wie leicht eine tiefgehende Bewegung
aus ihren Ufern tritt, sobald infolge einer augenblicklichen Verwicklung elemen¬
tare Gewalten der Leidenschaft die Führung erlmigcu. Aber sie halten die
Gefahr bei steter und angespannter Aufmerksamkeit nicht sür unabwendbar und
die soziale Aufgabe unsers Zeitalters nicht sür unlösbar. An der Übersättigung


Grenzboten IV 1897 «
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[0073] Auswärtige Politik Handlung auswärtiger Fragen zu erwarten sein; gegenwärtig liegen sie kaum im Bereiche der Möglichkeit. Am vorteilhaftester aber würde eine engere Fühlung unsrer Abgeordneten mit den auswärtigen Angelegenheiten auf die Lage im Innern zurückwirken. Die unversöhnlichsten Feinde des Reichs sind und bleiben die Römlinge und die Revolutionäre mit ihrem beiderseitigen Anhang. Über diese Thatsache können keine Zeitströmungen und keine wirtschaftlichen Verwicklungen hinweg¬ täuschen. Ultramontanen wie Sozialdemokraten aber kann kein ärgeres Mi߬ geschick widerfahren, als daß sie in die Notwendigkeit versetzt werden, ihre Stellung zur auswärtigen Politik anzugeben. Bekennen sie Farbe, so kann es nicht ausbleiben, daß der klaffende Zwiespalt zwischen ihren Herzenswünschen und den Daseinsbedingungen der deutschen Nation zu Tage tritt. Suchen sie aber solcher unerwünschten Schaustellung ihrer natürlichen Gebrechen zu ent¬ gehen und sich hurtig das Festgewand eines nachgemachten Patriotismus um¬ zuhängen, so verwickeln sich ebenso unausbleiblich die Ultramontanen in Wider¬ sprüche mit der Politik des päpstlichen Stuhles und die Sozialdemokraten in Widersprüche mit ihren Allerweltsidealen. Je häufiger die einen wie die andern in dieses Dilemma gebracht werden, umso besser ist es für die Klärung unsrer innern Verhältnisse. Hand in Hand mit der Tauglichkeit der auswärtigen Politik zur Be¬ kämpfung der innern Feinde des Reichs geht ihr einigender und stärkender Einfluß auf alle kaiserlich gesinnten Deutschen. Der heute noch weit verbreiteten Verkennung dieser ihrer Vorzüge sei hier mit vollem Bedacht die Behauptung entgegengestellt, daß auch die Überwindung des sozialdemokratischen Übels nur einer kraftvollen und klaren auswärtigen Politik gelingen wird. Unter den Deutschen, die nicht an einen Umsturz des Bestehenden glauben, giebt es heute nur noch zwei Gruppen. Die einen halten ein baldiges Über¬ gewicht der Sozialdemokratie in den Parlamenten für unvermeidlich. Als nächste Folge dieses Übergewichts erwarten sie das Stocken der Staatsmaschine, darauf eiuen blutigen Sieg der monarchischen Staatsgewalt und dann ein neues Cäsarentum. Was aus diesem entstehen soll, lassen sie dahingestellt. Diese Gruppe ist anscheinend sehr zahlreich. Die andern behaupten die Mög¬ lichkeit einer durch keine Gewaltthat unterbrochner Weiterbildung der geschicht¬ lichen Staats- und Gesellschaftsformen. Sie wünschen eine solche Entwicklung, weil im Aufruhr, mag er siege» oder niedergeworfen werden, mit dem Kranken auch vieles Gesunde untergeht. Sie verschließen sich nicht der nahen Gefahr einer solchen Katastrophe, denn sie wissen, wie leicht eine tiefgehende Bewegung aus ihren Ufern tritt, sobald infolge einer augenblicklichen Verwicklung elemen¬ tare Gewalten der Leidenschaft die Führung erlmigcu. Aber sie halten die Gefahr bei steter und angespannter Aufmerksamkeit nicht sür unabwendbar und die soziale Aufgabe unsers Zeitalters nicht sür unlösbar. An der Übersättigung Grenzboten IV 1897 «

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/73>, abgerufen am 23.07.2024.