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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Auswärtige Politik

sie ihn doch so lange zu bewahren, wie der nationale Gedanke in seiner gewal¬
tigsten Verkörperung unser öffentliches Leben beherrschte. Daß jener vater¬
ländische und fruchtbare Geist aus unsern Volksvertretungen entwichen ist, das
hat mehr als alles andre dazu beigetragen, ihre Süle zu veröden und ihren
Verhandlungen das Gepräge kleinlichen Zankes aufzudrücken, von dem sich das
Inland mit Unwillen und das Ausland mit Geringschätzung abwendet. Nur
unter der Herrschaft solcher Zustände konnte es geschehen, daß ein so unpolitischer
Kopf wie Richter und ein fanatischer Volksverderber wie Bebel zu angesehenen
Rednern und anerkannten Parteiführern wurden.

Wenn es wirklich Staatsmänner giebt, denen die Bescheidenheit unsrer
Abgeordneten gegenüber unsrer auswärtigen Politik willkommen ist, so hat
daran jedenfalls die Bequemlichkeit größern Anteil als der gesunde Instinkt.
Sind sie ihrer Aufgabe gewachsen -- und von dieser Annahme muß doch aus¬
gegangen werden --, so kann der Fall nicht eintreten, daß ihnen Abgeordnete
das Heft entwinden, da deren Überblick über die jeweiligen Fragen notwendig
beschränkt bleibt. Umgekehrt vermag kein Minister eine starke parlamentarische
Stellung so leicht zu gewinnen und so erfolgreich zu verwerten wie ein tüchtiger
Leiter der auswärtigen Angelegenheiten. Die Anzapfungen seiner Gegner
bieten ihm nur die erwünschte Handhabe zur Darlegung seiner Gedanken.
Für ihn vor allen gilt Pitts bekanntes Wort: Wenn es keine Opposition gäbe,
würde ich versuchen, mir eine zu schaffen.

Ein bestimmender Einfluß ans die Geschäfte -- und aus den einzelnen
Geschäften setzt sich die Politik zusammen -- kann ja immer nur von der
Stelle ausgehen, an der die Fäden der Ausführung zusammenlaufen; darum
ist eine wirkliche Konkurrenz der gesetzgebenden Körperschaften mit dem Minister
des Auswärtigen unmöglich. Dagegen kennzeichnet sich ihre Zulassung oder
richtiger ihre Heranziehung zu einer begrenzten, aber ständigen Teilnahme an
den auswärtigen Angelegenheiten nnr als die Verwirklichung eines as jurs
längst begründeten Verhältnisses, da in konstitutionell regierten Staaten die
auswärtige Politik ebenso wenig eine Privatbeschäftigung der Exekutive sein
kann, wie das Staatsgebiet Eigentum der Krone ist. Unsre auswärtigen An¬
gelegenheiten würden bei solcher regern Teilnahme der Volksvertretung sicher
keinen Schaden leiden. Unter besondern Umständen hat man eine Besprechung
auswärtiger Fragen im Reichstag auch bisher schon für nützlich gehalten, und,
soviel bekannt, sind die daran geknüpften Erwartungen niemals getäuscht worden.
Würde dieser Weg mit einer gewissen Regelmäßigkeit betreten, so ließe sich
leicht für die auswärtigen Angelegenheiten des Reichs ein günstiger Hinter¬
grund gewinnen, der ihrem Fortgang wesentlich zu statten kommen müßte.
Von geringerer Bedeutung, aber immerhin nicht von der Hand zu weisen ist
die weitere Möglichkeit brauchbarer Anregungen ans der Mitte der Ab¬
geordneten. Solche werden namentlich nach einiger Schulung in der Be-


Auswärtige Politik

sie ihn doch so lange zu bewahren, wie der nationale Gedanke in seiner gewal¬
tigsten Verkörperung unser öffentliches Leben beherrschte. Daß jener vater¬
ländische und fruchtbare Geist aus unsern Volksvertretungen entwichen ist, das
hat mehr als alles andre dazu beigetragen, ihre Süle zu veröden und ihren
Verhandlungen das Gepräge kleinlichen Zankes aufzudrücken, von dem sich das
Inland mit Unwillen und das Ausland mit Geringschätzung abwendet. Nur
unter der Herrschaft solcher Zustände konnte es geschehen, daß ein so unpolitischer
Kopf wie Richter und ein fanatischer Volksverderber wie Bebel zu angesehenen
Rednern und anerkannten Parteiführern wurden.

Wenn es wirklich Staatsmänner giebt, denen die Bescheidenheit unsrer
Abgeordneten gegenüber unsrer auswärtigen Politik willkommen ist, so hat
daran jedenfalls die Bequemlichkeit größern Anteil als der gesunde Instinkt.
Sind sie ihrer Aufgabe gewachsen — und von dieser Annahme muß doch aus¬
gegangen werden —, so kann der Fall nicht eintreten, daß ihnen Abgeordnete
das Heft entwinden, da deren Überblick über die jeweiligen Fragen notwendig
beschränkt bleibt. Umgekehrt vermag kein Minister eine starke parlamentarische
Stellung so leicht zu gewinnen und so erfolgreich zu verwerten wie ein tüchtiger
Leiter der auswärtigen Angelegenheiten. Die Anzapfungen seiner Gegner
bieten ihm nur die erwünschte Handhabe zur Darlegung seiner Gedanken.
Für ihn vor allen gilt Pitts bekanntes Wort: Wenn es keine Opposition gäbe,
würde ich versuchen, mir eine zu schaffen.

Ein bestimmender Einfluß ans die Geschäfte — und aus den einzelnen
Geschäften setzt sich die Politik zusammen — kann ja immer nur von der
Stelle ausgehen, an der die Fäden der Ausführung zusammenlaufen; darum
ist eine wirkliche Konkurrenz der gesetzgebenden Körperschaften mit dem Minister
des Auswärtigen unmöglich. Dagegen kennzeichnet sich ihre Zulassung oder
richtiger ihre Heranziehung zu einer begrenzten, aber ständigen Teilnahme an
den auswärtigen Angelegenheiten nnr als die Verwirklichung eines as jurs
längst begründeten Verhältnisses, da in konstitutionell regierten Staaten die
auswärtige Politik ebenso wenig eine Privatbeschäftigung der Exekutive sein
kann, wie das Staatsgebiet Eigentum der Krone ist. Unsre auswärtigen An¬
gelegenheiten würden bei solcher regern Teilnahme der Volksvertretung sicher
keinen Schaden leiden. Unter besondern Umständen hat man eine Besprechung
auswärtiger Fragen im Reichstag auch bisher schon für nützlich gehalten, und,
soviel bekannt, sind die daran geknüpften Erwartungen niemals getäuscht worden.
Würde dieser Weg mit einer gewissen Regelmäßigkeit betreten, so ließe sich
leicht für die auswärtigen Angelegenheiten des Reichs ein günstiger Hinter¬
grund gewinnen, der ihrem Fortgang wesentlich zu statten kommen müßte.
Von geringerer Bedeutung, aber immerhin nicht von der Hand zu weisen ist
die weitere Möglichkeit brauchbarer Anregungen ans der Mitte der Ab¬
geordneten. Solche werden namentlich nach einiger Schulung in der Be-


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[0072] Auswärtige Politik sie ihn doch so lange zu bewahren, wie der nationale Gedanke in seiner gewal¬ tigsten Verkörperung unser öffentliches Leben beherrschte. Daß jener vater¬ ländische und fruchtbare Geist aus unsern Volksvertretungen entwichen ist, das hat mehr als alles andre dazu beigetragen, ihre Süle zu veröden und ihren Verhandlungen das Gepräge kleinlichen Zankes aufzudrücken, von dem sich das Inland mit Unwillen und das Ausland mit Geringschätzung abwendet. Nur unter der Herrschaft solcher Zustände konnte es geschehen, daß ein so unpolitischer Kopf wie Richter und ein fanatischer Volksverderber wie Bebel zu angesehenen Rednern und anerkannten Parteiführern wurden. Wenn es wirklich Staatsmänner giebt, denen die Bescheidenheit unsrer Abgeordneten gegenüber unsrer auswärtigen Politik willkommen ist, so hat daran jedenfalls die Bequemlichkeit größern Anteil als der gesunde Instinkt. Sind sie ihrer Aufgabe gewachsen — und von dieser Annahme muß doch aus¬ gegangen werden —, so kann der Fall nicht eintreten, daß ihnen Abgeordnete das Heft entwinden, da deren Überblick über die jeweiligen Fragen notwendig beschränkt bleibt. Umgekehrt vermag kein Minister eine starke parlamentarische Stellung so leicht zu gewinnen und so erfolgreich zu verwerten wie ein tüchtiger Leiter der auswärtigen Angelegenheiten. Die Anzapfungen seiner Gegner bieten ihm nur die erwünschte Handhabe zur Darlegung seiner Gedanken. Für ihn vor allen gilt Pitts bekanntes Wort: Wenn es keine Opposition gäbe, würde ich versuchen, mir eine zu schaffen. Ein bestimmender Einfluß ans die Geschäfte — und aus den einzelnen Geschäften setzt sich die Politik zusammen — kann ja immer nur von der Stelle ausgehen, an der die Fäden der Ausführung zusammenlaufen; darum ist eine wirkliche Konkurrenz der gesetzgebenden Körperschaften mit dem Minister des Auswärtigen unmöglich. Dagegen kennzeichnet sich ihre Zulassung oder richtiger ihre Heranziehung zu einer begrenzten, aber ständigen Teilnahme an den auswärtigen Angelegenheiten nnr als die Verwirklichung eines as jurs längst begründeten Verhältnisses, da in konstitutionell regierten Staaten die auswärtige Politik ebenso wenig eine Privatbeschäftigung der Exekutive sein kann, wie das Staatsgebiet Eigentum der Krone ist. Unsre auswärtigen An¬ gelegenheiten würden bei solcher regern Teilnahme der Volksvertretung sicher keinen Schaden leiden. Unter besondern Umständen hat man eine Besprechung auswärtiger Fragen im Reichstag auch bisher schon für nützlich gehalten, und, soviel bekannt, sind die daran geknüpften Erwartungen niemals getäuscht worden. Würde dieser Weg mit einer gewissen Regelmäßigkeit betreten, so ließe sich leicht für die auswärtigen Angelegenheiten des Reichs ein günstiger Hinter¬ grund gewinnen, der ihrem Fortgang wesentlich zu statten kommen müßte. Von geringerer Bedeutung, aber immerhin nicht von der Hand zu weisen ist die weitere Möglichkeit brauchbarer Anregungen ans der Mitte der Ab¬ geordneten. Solche werden namentlich nach einiger Schulung in der Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/72>, abgerufen am 23.07.2024.