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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Auswärtige Politik

Werden solche doch selbst in so parlamentarisch regierten Ländern wie Frank¬
reich, Italien und England fast durchweg vermieden. Fragen kann es sich
nur, ob wir wünschen sollen, daß unser Volk wie bisher so auch ferner gegen¬
über den auswärtigen Angelegenheiten in dem Zustande gänzlicher Urteils¬
losigkeit verharre. Denn anders läßt es sich doch kaum bezeichnen, wenn die
auswärtige Politik als ein Gebiet für sich angesehen wird, das ein für allemal
außer Diskussion bleibt, weil seine Kenntnis nur Eingeweihten zugänglich
und für die Behandlung der innern Aufgaben auch vollkommen entbehrlich
sein soll.

Ein solches Opfer ihrer Einsicht gereicht den Deutschen wahrlich nicht zur
Zierde. Auch giebt es keinen einzigen stichhaltigen Grund für seine Fortdauer.
Es ist eine ganz übertriebne Vorstellung, daß die auswärtigen Angelegenheiten
wegen ihrer verwickelten Natur nur von diplomatischen Fachmännern übersehen
werden konnten. Täglich erörtern unsre Zeitungen und erörtern auch unsre
Zeitungsleser Aufgaben der innern Politik, die in ihrer Art nicht minder ver¬
wickelt sind als irgendwelche auswärtigen Fragen. Eine sachliche Entscheidung
zu begründe" sind ja diese Erörterungen nur selten angethan; eine solche er¬
fordert meistens eine Vereinigung von Fachkenntnissen, Erfahrung und Urteils¬
kraft, die ebenso wenig Gemeingut des Publikums ist wie die Vertrautheit mit
dem Völkerrecht und mit dem Ausland, über die unsre Diplomaten verfügen.
Ihren Wert behält aber die Beschäftigung des Laien mit solchen Gegenständen
doch; freilich nicht einen Wert für den Fortgang der betreffenden Angelegen¬
heiten, wohl aber einen erzieherischen Wert für den Laien selbst. Sie erweitert
seinen Gesichtskreis und reift seine politischen Anschauungen. Für die Be-
handlung der Spracheufrage in Posen und Schleswig ist es z. B. sicher von
keinem Einfluß, wie sich Herr N und Herr X zu ihr stellen. In Herrn N
und Herrn X hat aber das Bedürfnis, sich diese Frage selbst zu beantworten,
seine volle Berechtigung; und eine entschiedne Stellungnahme zu ihr gereicht
ihnen uuter allen Umständen zu größerer Ehre als denkfaule Gleichartigkeit
oder Unwissenheit. Wir hören freilich von einem alten Kulturstaat, dessen
Bevölkerung es nicht verstehen kann, warum sie sich um Politik bekümmern
soll, da es doch dafür bezahlte Beamte gebe; aber dieser Kulturstaat ist -- China.
Deutsche Art war es von Alters her, daß die Angelegenheiten der Volks-
gemeinde jeden Freien angingen.

Damit wäre denn auch dem Bedenken des überHand nehmenden Kanne-
gießerns begegnet, der Besorgnis, daß unser Volk dnrch vermehrte Beschäftigung
mit auswärtiger Politik nur noch weiter auf der Bahn des politischen Dilet¬
tantismus und der Verflachung gedrängt werden würde. Man könnte solche
Befürchtungen allenfalls verstehen, wenn gegenwärtig die Frage, ob der Staats¬
bürger an den öffentlichen Angelegenheiten teilnehmen soll, zur Entscheidung
stünde. Aber diese Frage ist in Deutschland seit fünfzig Jahren und länger


Auswärtige Politik

Werden solche doch selbst in so parlamentarisch regierten Ländern wie Frank¬
reich, Italien und England fast durchweg vermieden. Fragen kann es sich
nur, ob wir wünschen sollen, daß unser Volk wie bisher so auch ferner gegen¬
über den auswärtigen Angelegenheiten in dem Zustande gänzlicher Urteils¬
losigkeit verharre. Denn anders läßt es sich doch kaum bezeichnen, wenn die
auswärtige Politik als ein Gebiet für sich angesehen wird, das ein für allemal
außer Diskussion bleibt, weil seine Kenntnis nur Eingeweihten zugänglich
und für die Behandlung der innern Aufgaben auch vollkommen entbehrlich
sein soll.

Ein solches Opfer ihrer Einsicht gereicht den Deutschen wahrlich nicht zur
Zierde. Auch giebt es keinen einzigen stichhaltigen Grund für seine Fortdauer.
Es ist eine ganz übertriebne Vorstellung, daß die auswärtigen Angelegenheiten
wegen ihrer verwickelten Natur nur von diplomatischen Fachmännern übersehen
werden konnten. Täglich erörtern unsre Zeitungen und erörtern auch unsre
Zeitungsleser Aufgaben der innern Politik, die in ihrer Art nicht minder ver¬
wickelt sind als irgendwelche auswärtigen Fragen. Eine sachliche Entscheidung
zu begründe» sind ja diese Erörterungen nur selten angethan; eine solche er¬
fordert meistens eine Vereinigung von Fachkenntnissen, Erfahrung und Urteils¬
kraft, die ebenso wenig Gemeingut des Publikums ist wie die Vertrautheit mit
dem Völkerrecht und mit dem Ausland, über die unsre Diplomaten verfügen.
Ihren Wert behält aber die Beschäftigung des Laien mit solchen Gegenständen
doch; freilich nicht einen Wert für den Fortgang der betreffenden Angelegen¬
heiten, wohl aber einen erzieherischen Wert für den Laien selbst. Sie erweitert
seinen Gesichtskreis und reift seine politischen Anschauungen. Für die Be-
handlung der Spracheufrage in Posen und Schleswig ist es z. B. sicher von
keinem Einfluß, wie sich Herr N und Herr X zu ihr stellen. In Herrn N
und Herrn X hat aber das Bedürfnis, sich diese Frage selbst zu beantworten,
seine volle Berechtigung; und eine entschiedne Stellungnahme zu ihr gereicht
ihnen uuter allen Umständen zu größerer Ehre als denkfaule Gleichartigkeit
oder Unwissenheit. Wir hören freilich von einem alten Kulturstaat, dessen
Bevölkerung es nicht verstehen kann, warum sie sich um Politik bekümmern
soll, da es doch dafür bezahlte Beamte gebe; aber dieser Kulturstaat ist — China.
Deutsche Art war es von Alters her, daß die Angelegenheiten der Volks-
gemeinde jeden Freien angingen.

Damit wäre denn auch dem Bedenken des überHand nehmenden Kanne-
gießerns begegnet, der Besorgnis, daß unser Volk dnrch vermehrte Beschäftigung
mit auswärtiger Politik nur noch weiter auf der Bahn des politischen Dilet¬
tantismus und der Verflachung gedrängt werden würde. Man könnte solche
Befürchtungen allenfalls verstehen, wenn gegenwärtig die Frage, ob der Staats¬
bürger an den öffentlichen Angelegenheiten teilnehmen soll, zur Entscheidung
stünde. Aber diese Frage ist in Deutschland seit fünfzig Jahren und länger


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[0069] Auswärtige Politik Werden solche doch selbst in so parlamentarisch regierten Ländern wie Frank¬ reich, Italien und England fast durchweg vermieden. Fragen kann es sich nur, ob wir wünschen sollen, daß unser Volk wie bisher so auch ferner gegen¬ über den auswärtigen Angelegenheiten in dem Zustande gänzlicher Urteils¬ losigkeit verharre. Denn anders läßt es sich doch kaum bezeichnen, wenn die auswärtige Politik als ein Gebiet für sich angesehen wird, das ein für allemal außer Diskussion bleibt, weil seine Kenntnis nur Eingeweihten zugänglich und für die Behandlung der innern Aufgaben auch vollkommen entbehrlich sein soll. Ein solches Opfer ihrer Einsicht gereicht den Deutschen wahrlich nicht zur Zierde. Auch giebt es keinen einzigen stichhaltigen Grund für seine Fortdauer. Es ist eine ganz übertriebne Vorstellung, daß die auswärtigen Angelegenheiten wegen ihrer verwickelten Natur nur von diplomatischen Fachmännern übersehen werden konnten. Täglich erörtern unsre Zeitungen und erörtern auch unsre Zeitungsleser Aufgaben der innern Politik, die in ihrer Art nicht minder ver¬ wickelt sind als irgendwelche auswärtigen Fragen. Eine sachliche Entscheidung zu begründe» sind ja diese Erörterungen nur selten angethan; eine solche er¬ fordert meistens eine Vereinigung von Fachkenntnissen, Erfahrung und Urteils¬ kraft, die ebenso wenig Gemeingut des Publikums ist wie die Vertrautheit mit dem Völkerrecht und mit dem Ausland, über die unsre Diplomaten verfügen. Ihren Wert behält aber die Beschäftigung des Laien mit solchen Gegenständen doch; freilich nicht einen Wert für den Fortgang der betreffenden Angelegen¬ heiten, wohl aber einen erzieherischen Wert für den Laien selbst. Sie erweitert seinen Gesichtskreis und reift seine politischen Anschauungen. Für die Be- handlung der Spracheufrage in Posen und Schleswig ist es z. B. sicher von keinem Einfluß, wie sich Herr N und Herr X zu ihr stellen. In Herrn N und Herrn X hat aber das Bedürfnis, sich diese Frage selbst zu beantworten, seine volle Berechtigung; und eine entschiedne Stellungnahme zu ihr gereicht ihnen uuter allen Umständen zu größerer Ehre als denkfaule Gleichartigkeit oder Unwissenheit. Wir hören freilich von einem alten Kulturstaat, dessen Bevölkerung es nicht verstehen kann, warum sie sich um Politik bekümmern soll, da es doch dafür bezahlte Beamte gebe; aber dieser Kulturstaat ist — China. Deutsche Art war es von Alters her, daß die Angelegenheiten der Volks- gemeinde jeden Freien angingen. Damit wäre denn auch dem Bedenken des überHand nehmenden Kanne- gießerns begegnet, der Besorgnis, daß unser Volk dnrch vermehrte Beschäftigung mit auswärtiger Politik nur noch weiter auf der Bahn des politischen Dilet¬ tantismus und der Verflachung gedrängt werden würde. Man könnte solche Befürchtungen allenfalls verstehen, wenn gegenwärtig die Frage, ob der Staats¬ bürger an den öffentlichen Angelegenheiten teilnehmen soll, zur Entscheidung stünde. Aber diese Frage ist in Deutschland seit fünfzig Jahren und länger

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/69>, abgerufen am 23.07.2024.