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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Auswärtige Politik

Politik war unter dem Einfluß oder doch unter dem Gegendruck der konser¬
vativen Legitimisten mit Unfruchtbarkeit geschlagen. Aus der Monarchie Friedrichs
des Großen machte sie ein mit unverhohlener Geringschätzung geduldetes Mit¬
glied der europäischen Staatenfamilie, dem keine mögliche Zurücksetzung erspart
blieb. Allen diesen Mißerfolgen lag ein und derselbe Fehler zu Grunde: die
Unterordnung der auswärtigen Politik unter ein inländisches Parteiprinzip.

Daß die Auswärtigen Angelegenheiten eines Landes für sein Schicksal
größere Bedeutung haben als seine innern Zustände, ist eine ebenso einfache
Wahrheit wie etwa die andre, daß es für unser eignes Wohlergehen weit mehr
auf unser Betragen gegen unsre Mitmenschen ankommt als auf unsre Zu¬
gehörigkeit zu einem Bekenntnis oder einer politischen Partei. In dem Betragen
gegen die andern offenbart sich der Charakter eines Menschen, in dem Betragen
gegen andre Völker der Charakter eines Volkes; dieses Betragen nennen wir
eben seine auswärtige Politik. Äußere und innere Politik stehen ohne Frage
in Wechselbeziehung; aber in viel höherm Grade hängt die innere Politik von
der äußern ab als umgekehrt. In Preußen haben die Niederlagen von 1806
und die Siege von 1866 einen viel nachhaltigem Umschwung im Innern zur
Folge gehabt als die Verfassungskämpfe der vierziger Jahre, ebenso in Öster¬
reich-Ungarn der Feldzug von 1866, in Deutschland und Frankreich der von
1870, in Italien die kriegerischen Ereignisse der Jahre 1859 und 1870.

In Frankreich und England ist denn auch jedermann, vom Staatsoberhaupt
bis zum Straßenkehrer, von der alles überragenden Wichtigkeit der auswärtigen
Politik überzeugt. In beiden Ländern verstummt der Streit der Parteien,
sowie eine Forderung der nationalen Ehre oder der Wehrhaftmachung des
Volkes in Frage kommt. Kreditvorlagen zur Verstärkung des Heeres oder der
Flotte werden ohne Debatte angenommen. In Deutschland ist es in diesem
Punkte jetzt zwar bester geworden, als es vor zwanzig und noch vor zehn
Jahren war; in allem Wechsel der Umstände schreitet eben doch der politische
Neifeprozeß unsers Volkes vorwärts. Aber uneingeschränkte Bewilligungen
beträchtlicher Geldmittel für unsre Land- und Seewehr bilden im deutschen
Reichstag immer noch Ausnahmen, obgleich uns unsre geographische und
Politische Lage der Möglichkeit feindlicher Angriffe nicht in geringerm, sondern
in weit größerm Maße aussetzt als Frankreich oder England. Das Verständnis
für auswärtige Politik steht in Deutschland nicht auf der Höhe, die auf
andern Gebieten geistiger Thätigkeit, die auch auf andern Gebieten der Politik
erreicht ist.

Zwar an vereinzelten Stimmen, die auf die Bedeutung der auswärtigen
Politik für die Geschicke der Völker hinwiesen, hat es auch in Deutschland
nicht gefehlt. Einem augenblicklich fast vergessenen Schriftsteller, Constantin
Frantz, gebührt das Verdienst, schon vor mehr als dreißig Jahren den wesent¬
lichen Zusammenhang zwischen auswärtiger und innerer Politik und die vor-


Auswärtige Politik

Politik war unter dem Einfluß oder doch unter dem Gegendruck der konser¬
vativen Legitimisten mit Unfruchtbarkeit geschlagen. Aus der Monarchie Friedrichs
des Großen machte sie ein mit unverhohlener Geringschätzung geduldetes Mit¬
glied der europäischen Staatenfamilie, dem keine mögliche Zurücksetzung erspart
blieb. Allen diesen Mißerfolgen lag ein und derselbe Fehler zu Grunde: die
Unterordnung der auswärtigen Politik unter ein inländisches Parteiprinzip.

Daß die Auswärtigen Angelegenheiten eines Landes für sein Schicksal
größere Bedeutung haben als seine innern Zustände, ist eine ebenso einfache
Wahrheit wie etwa die andre, daß es für unser eignes Wohlergehen weit mehr
auf unser Betragen gegen unsre Mitmenschen ankommt als auf unsre Zu¬
gehörigkeit zu einem Bekenntnis oder einer politischen Partei. In dem Betragen
gegen die andern offenbart sich der Charakter eines Menschen, in dem Betragen
gegen andre Völker der Charakter eines Volkes; dieses Betragen nennen wir
eben seine auswärtige Politik. Äußere und innere Politik stehen ohne Frage
in Wechselbeziehung; aber in viel höherm Grade hängt die innere Politik von
der äußern ab als umgekehrt. In Preußen haben die Niederlagen von 1806
und die Siege von 1866 einen viel nachhaltigem Umschwung im Innern zur
Folge gehabt als die Verfassungskämpfe der vierziger Jahre, ebenso in Öster¬
reich-Ungarn der Feldzug von 1866, in Deutschland und Frankreich der von
1870, in Italien die kriegerischen Ereignisse der Jahre 1859 und 1870.

In Frankreich und England ist denn auch jedermann, vom Staatsoberhaupt
bis zum Straßenkehrer, von der alles überragenden Wichtigkeit der auswärtigen
Politik überzeugt. In beiden Ländern verstummt der Streit der Parteien,
sowie eine Forderung der nationalen Ehre oder der Wehrhaftmachung des
Volkes in Frage kommt. Kreditvorlagen zur Verstärkung des Heeres oder der
Flotte werden ohne Debatte angenommen. In Deutschland ist es in diesem
Punkte jetzt zwar bester geworden, als es vor zwanzig und noch vor zehn
Jahren war; in allem Wechsel der Umstände schreitet eben doch der politische
Neifeprozeß unsers Volkes vorwärts. Aber uneingeschränkte Bewilligungen
beträchtlicher Geldmittel für unsre Land- und Seewehr bilden im deutschen
Reichstag immer noch Ausnahmen, obgleich uns unsre geographische und
Politische Lage der Möglichkeit feindlicher Angriffe nicht in geringerm, sondern
in weit größerm Maße aussetzt als Frankreich oder England. Das Verständnis
für auswärtige Politik steht in Deutschland nicht auf der Höhe, die auf
andern Gebieten geistiger Thätigkeit, die auch auf andern Gebieten der Politik
erreicht ist.

Zwar an vereinzelten Stimmen, die auf die Bedeutung der auswärtigen
Politik für die Geschicke der Völker hinwiesen, hat es auch in Deutschland
nicht gefehlt. Einem augenblicklich fast vergessenen Schriftsteller, Constantin
Frantz, gebührt das Verdienst, schon vor mehr als dreißig Jahren den wesent¬
lichen Zusammenhang zwischen auswärtiger und innerer Politik und die vor-


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[0067] Auswärtige Politik Politik war unter dem Einfluß oder doch unter dem Gegendruck der konser¬ vativen Legitimisten mit Unfruchtbarkeit geschlagen. Aus der Monarchie Friedrichs des Großen machte sie ein mit unverhohlener Geringschätzung geduldetes Mit¬ glied der europäischen Staatenfamilie, dem keine mögliche Zurücksetzung erspart blieb. Allen diesen Mißerfolgen lag ein und derselbe Fehler zu Grunde: die Unterordnung der auswärtigen Politik unter ein inländisches Parteiprinzip. Daß die Auswärtigen Angelegenheiten eines Landes für sein Schicksal größere Bedeutung haben als seine innern Zustände, ist eine ebenso einfache Wahrheit wie etwa die andre, daß es für unser eignes Wohlergehen weit mehr auf unser Betragen gegen unsre Mitmenschen ankommt als auf unsre Zu¬ gehörigkeit zu einem Bekenntnis oder einer politischen Partei. In dem Betragen gegen die andern offenbart sich der Charakter eines Menschen, in dem Betragen gegen andre Völker der Charakter eines Volkes; dieses Betragen nennen wir eben seine auswärtige Politik. Äußere und innere Politik stehen ohne Frage in Wechselbeziehung; aber in viel höherm Grade hängt die innere Politik von der äußern ab als umgekehrt. In Preußen haben die Niederlagen von 1806 und die Siege von 1866 einen viel nachhaltigem Umschwung im Innern zur Folge gehabt als die Verfassungskämpfe der vierziger Jahre, ebenso in Öster¬ reich-Ungarn der Feldzug von 1866, in Deutschland und Frankreich der von 1870, in Italien die kriegerischen Ereignisse der Jahre 1859 und 1870. In Frankreich und England ist denn auch jedermann, vom Staatsoberhaupt bis zum Straßenkehrer, von der alles überragenden Wichtigkeit der auswärtigen Politik überzeugt. In beiden Ländern verstummt der Streit der Parteien, sowie eine Forderung der nationalen Ehre oder der Wehrhaftmachung des Volkes in Frage kommt. Kreditvorlagen zur Verstärkung des Heeres oder der Flotte werden ohne Debatte angenommen. In Deutschland ist es in diesem Punkte jetzt zwar bester geworden, als es vor zwanzig und noch vor zehn Jahren war; in allem Wechsel der Umstände schreitet eben doch der politische Neifeprozeß unsers Volkes vorwärts. Aber uneingeschränkte Bewilligungen beträchtlicher Geldmittel für unsre Land- und Seewehr bilden im deutschen Reichstag immer noch Ausnahmen, obgleich uns unsre geographische und Politische Lage der Möglichkeit feindlicher Angriffe nicht in geringerm, sondern in weit größerm Maße aussetzt als Frankreich oder England. Das Verständnis für auswärtige Politik steht in Deutschland nicht auf der Höhe, die auf andern Gebieten geistiger Thätigkeit, die auch auf andern Gebieten der Politik erreicht ist. Zwar an vereinzelten Stimmen, die auf die Bedeutung der auswärtigen Politik für die Geschicke der Völker hinwiesen, hat es auch in Deutschland nicht gefehlt. Einem augenblicklich fast vergessenen Schriftsteller, Constantin Frantz, gebührt das Verdienst, schon vor mehr als dreißig Jahren den wesent¬ lichen Zusammenhang zwischen auswärtiger und innerer Politik und die vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/67>, abgerufen am 23.07.2024.