Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.Verlornen Zustande darstellt, ist die Hauptsache: eine Landschaft, deren Haupt¬ Auf den schmalen Flügeln des Nicmerschmidschen Triptychons sieht man Verlornen Zustande darstellt, ist die Hauptsache: eine Landschaft, deren Haupt¬ Auf den schmalen Flügeln des Nicmerschmidschen Triptychons sieht man <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0231" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226461"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_568" prev="#ID_567"> Verlornen Zustande darstellt, ist die Hauptsache: eine Landschaft, deren Haupt¬<lb/> bestandteil der Apfelbaum ist, den der Künstler mit einer gelben Kreislinie um¬<lb/> zogen hat, vermutlich, weil er nicht jedem Beschauer seines Bildes das Ver¬<lb/> ständnis für die Situation zutraut. Die Bäume haben, wie es bei einem<lb/> richtigen Symbolisten selbstverständlich ist, rote und safrangelbe Blätter, die<lb/> Wiese ist allerdings grün, sieht aber wie Spinat aus, und wo dieser<lb/> wunderbare Garten aufhört, dehnt sich bis tief in den Horizont hinein<lb/> eine Meeresfläche, deren tiefe Bläue sich mit der grünen Wiese und den roten<lb/> Blättern zu einer Dissonanz der Farben verbindet, die nur krankhaften Augen<lb/> einiges Wohlgefallen erregen können. Wer kann sich aber heute vermessen,<lb/> auch nur eine Krankheit unsrer an zahllosen Gebrechen leidenden Zeit heilen<lb/> zu wollen? Am allerwenigsten ist ein donnerndes Pathos das Allheilmittel.<lb/> Ein Savonarola würde heute mit Hohngelächter überschüttet werden, und selbst<lb/> ein Abraham a Santa Clara würde in der Gemeinde der Skeptiker und der Vir¬<lb/> tuosen eiskalter Blasirtheit nur noch ein mitleidiges Lächeln über seine Aus¬<lb/> drucksweise erwecken, da sie der greisenhafte Cynismus unsrer Jugend längst zu<lb/> weit größerm Raffinement ausgebildet hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_569" next="#ID_570"> Auf den schmalen Flügeln des Nicmerschmidschen Triptychons sieht man<lb/> die ganzen Figuren von Adam und Eva, silbergrau auf grauem Grunde, aber<lb/> nicht gemalt im gewöhnlichen Sinne, sondern in Flachrelief dargestellt. Max<lb/> Klinger ist wohl der erste gewesen in unsrer Zeit, der, vermutlich durch Studium<lb/> altflorentinischer Kunst angeregt, auf großen Bildern Plastik und Malerei ver¬<lb/> bunden hat. Ein Parisurteil war das erste Werk dieser Gattung, und seitdem<lb/> sind sieben Jahre verflossen, ohne daß er etwas rechtes aus seinen Versuchen<lb/> herausgezogen hätte. Sein „Christus im Olymp," den er in diesem Jahre in<lb/> der sonst nur wenig durch ihren Inhalt hervorragenden Kunsthalle der Leipziger<lb/> GeWerbeausstellung, in einem eigens auf richtige Höhenverhältnisse und richtige<lb/> Lichtzufuhr konstruirten Saale ausgestellt hat, ist nur eine ins Riesige gesteigerte,<lb/> aber nirgends vertiefte Wiederholung jener auf die Verbindung von Malerei<lb/> und Plastik gerichteten Versuche. Wenn ein Künstler aufhört, mit den wirk¬<lb/> lichen Verhältnissen, unter denen wir leben und alle Geschlechter vor uns zu<lb/> leben gezwungen und gewohnt waren, zu rechnen und seineu durch den zu¬<lb/> fälligen Besitz materieller Mittel geförderten Launen schrankenlos nachgeben<lb/> kann, so ist das eine Ausnahmeerscheinung, die mau je nach dem Standpunkt,<lb/> den man einnimmt, als krankhaft oder als das Erzeugnis eines Geistes von<lb/> „michelangelesker" Größe bezeichnen kann. Aber eine künstlerische Regel daraus<lb/> ableiten zu wollen, wäre für junge Künstler geradezu eine gefährliche Ver¬<lb/> jüng, zu der der Ankauf des Niemerschmidschen Bildes für die Dresdner<lb/> Galerie leider ermuntert. Wenn wir nicht irren, hat insbesondre diese Art<lb/> der Verbindung von Flachrelief mit Öl- und Temperamalerei ihre besondre<lb/> Pflege in dem Lande des Nebels und der Grillen, in England, gefunden, wo</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0231]
Verlornen Zustande darstellt, ist die Hauptsache: eine Landschaft, deren Haupt¬
bestandteil der Apfelbaum ist, den der Künstler mit einer gelben Kreislinie um¬
zogen hat, vermutlich, weil er nicht jedem Beschauer seines Bildes das Ver¬
ständnis für die Situation zutraut. Die Bäume haben, wie es bei einem
richtigen Symbolisten selbstverständlich ist, rote und safrangelbe Blätter, die
Wiese ist allerdings grün, sieht aber wie Spinat aus, und wo dieser
wunderbare Garten aufhört, dehnt sich bis tief in den Horizont hinein
eine Meeresfläche, deren tiefe Bläue sich mit der grünen Wiese und den roten
Blättern zu einer Dissonanz der Farben verbindet, die nur krankhaften Augen
einiges Wohlgefallen erregen können. Wer kann sich aber heute vermessen,
auch nur eine Krankheit unsrer an zahllosen Gebrechen leidenden Zeit heilen
zu wollen? Am allerwenigsten ist ein donnerndes Pathos das Allheilmittel.
Ein Savonarola würde heute mit Hohngelächter überschüttet werden, und selbst
ein Abraham a Santa Clara würde in der Gemeinde der Skeptiker und der Vir¬
tuosen eiskalter Blasirtheit nur noch ein mitleidiges Lächeln über seine Aus¬
drucksweise erwecken, da sie der greisenhafte Cynismus unsrer Jugend längst zu
weit größerm Raffinement ausgebildet hat.
Auf den schmalen Flügeln des Nicmerschmidschen Triptychons sieht man
die ganzen Figuren von Adam und Eva, silbergrau auf grauem Grunde, aber
nicht gemalt im gewöhnlichen Sinne, sondern in Flachrelief dargestellt. Max
Klinger ist wohl der erste gewesen in unsrer Zeit, der, vermutlich durch Studium
altflorentinischer Kunst angeregt, auf großen Bildern Plastik und Malerei ver¬
bunden hat. Ein Parisurteil war das erste Werk dieser Gattung, und seitdem
sind sieben Jahre verflossen, ohne daß er etwas rechtes aus seinen Versuchen
herausgezogen hätte. Sein „Christus im Olymp," den er in diesem Jahre in
der sonst nur wenig durch ihren Inhalt hervorragenden Kunsthalle der Leipziger
GeWerbeausstellung, in einem eigens auf richtige Höhenverhältnisse und richtige
Lichtzufuhr konstruirten Saale ausgestellt hat, ist nur eine ins Riesige gesteigerte,
aber nirgends vertiefte Wiederholung jener auf die Verbindung von Malerei
und Plastik gerichteten Versuche. Wenn ein Künstler aufhört, mit den wirk¬
lichen Verhältnissen, unter denen wir leben und alle Geschlechter vor uns zu
leben gezwungen und gewohnt waren, zu rechnen und seineu durch den zu¬
fälligen Besitz materieller Mittel geförderten Launen schrankenlos nachgeben
kann, so ist das eine Ausnahmeerscheinung, die mau je nach dem Standpunkt,
den man einnimmt, als krankhaft oder als das Erzeugnis eines Geistes von
„michelangelesker" Größe bezeichnen kann. Aber eine künstlerische Regel daraus
ableiten zu wollen, wäre für junge Künstler geradezu eine gefährliche Ver¬
jüng, zu der der Ankauf des Niemerschmidschen Bildes für die Dresdner
Galerie leider ermuntert. Wenn wir nicht irren, hat insbesondre diese Art
der Verbindung von Flachrelief mit Öl- und Temperamalerei ihre besondre
Pflege in dem Lande des Nebels und der Grillen, in England, gefunden, wo
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