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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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platens Tagebücher

Andenken Platens einen Dienst zu leisten und eine neue Zeit gesteigerter
Bewunderung und tiefern Verständnisses für den Dichter heraufzuführen. Wir
können diesen Glauben nicht teilen, obwohl wir in einer Periode leben, die
wieder einmal alles, was Unnatur und phantastische Willkür ist, in den
Vordergrund rückt und der frischen, unmittelbaren Empfindung das Lebens¬
recht versagt.

Die Ausgabe der Tagebücher ist von musterhafter Sorgfalt und durch
eine reiche Zahl erläuternder Anmerkungen und genauer Nachweise ausgezeichnet.
Dennoch haben sich Druckfehler eingeschlichen. Nur ein paar Beispiele. In
der Anmerkung über den Grafen Senft-Pilsach (S. 7) ist gesagt, er sei 1809
aus Widerwillen gegen die preußische Hegemonie in Norddeutschland in öster¬
reichische Dienste gegangen. Es soll 1813 heißen, und auch da ist der Ausdruck
noch ungenau. Der Dresdner K. G. Th. Winkler ist niemals Intendant,
sondern immer nur Theatersekretair gewesen (S. 318). Der Dichter des
"Geraubten Eimers" soll natürlich Alessandro Tassoni, nicht Tasso (S. 316)
heißen. Der König Jerome von Westfalen hat mit den Schlachten von
Granson und Murten nichts zu thun, die Anmerkungsziffer is. 605) steht
nach einem falschen Satze. Auch dürften ein paar der kurzen Belehrungen
weniger diktatorisch gehalten sein. Inwiefern hat z. B. La Harpe, dessen
Tragödien "Warwick," "Timoleon," "Pharamond," "Menzikoff" und "Die
Barmeciden" in den sechziger und siebziger Jahren des achtzehnten Jahr¬
hunderts gegeben wurden und erschienen, und der seine vielberühmten Vor¬
lesungen über Litteratur am Lycee schon in den achtziger Jahren begann,
gerade zur Zeit der großen Revolution geblüht? (S. 302). Oder wie trifft
die Charakteristik der englischen Lakisten, der Seeschule, daß sie ihre poetischen
Schilderungen hauptsächlich den reizenden Seelandschaften von Cumberland und
Westmoreland verdankten (S. 129), auf den exotischen Epiker R. Southey
zu? Das alles sind ja Kleinigkeiten, aber da sie bei der ersten Durchsicht
auffallen, so wären sie wohl auch zu vermeiden gewesen. An dem allgemeinen
Eindruck der Platenschen "Tagebücher" ändern sie nichts. Der Zweifel, ob
man sich der großen und vornehmen Publikation mehr freuen oder sie mehr
beklagen soll, bleibt die letzte wie die erste Wirkung des Buches und läßt uns
auch den weitern Bänden mit geteilten Empfindungen entgegensehen.




platens Tagebücher

Andenken Platens einen Dienst zu leisten und eine neue Zeit gesteigerter
Bewunderung und tiefern Verständnisses für den Dichter heraufzuführen. Wir
können diesen Glauben nicht teilen, obwohl wir in einer Periode leben, die
wieder einmal alles, was Unnatur und phantastische Willkür ist, in den
Vordergrund rückt und der frischen, unmittelbaren Empfindung das Lebens¬
recht versagt.

Die Ausgabe der Tagebücher ist von musterhafter Sorgfalt und durch
eine reiche Zahl erläuternder Anmerkungen und genauer Nachweise ausgezeichnet.
Dennoch haben sich Druckfehler eingeschlichen. Nur ein paar Beispiele. In
der Anmerkung über den Grafen Senft-Pilsach (S. 7) ist gesagt, er sei 1809
aus Widerwillen gegen die preußische Hegemonie in Norddeutschland in öster¬
reichische Dienste gegangen. Es soll 1813 heißen, und auch da ist der Ausdruck
noch ungenau. Der Dresdner K. G. Th. Winkler ist niemals Intendant,
sondern immer nur Theatersekretair gewesen (S. 318). Der Dichter des
„Geraubten Eimers" soll natürlich Alessandro Tassoni, nicht Tasso (S. 316)
heißen. Der König Jerome von Westfalen hat mit den Schlachten von
Granson und Murten nichts zu thun, die Anmerkungsziffer is. 605) steht
nach einem falschen Satze. Auch dürften ein paar der kurzen Belehrungen
weniger diktatorisch gehalten sein. Inwiefern hat z. B. La Harpe, dessen
Tragödien „Warwick," „Timoleon," „Pharamond," „Menzikoff" und „Die
Barmeciden" in den sechziger und siebziger Jahren des achtzehnten Jahr¬
hunderts gegeben wurden und erschienen, und der seine vielberühmten Vor¬
lesungen über Litteratur am Lycee schon in den achtziger Jahren begann,
gerade zur Zeit der großen Revolution geblüht? (S. 302). Oder wie trifft
die Charakteristik der englischen Lakisten, der Seeschule, daß sie ihre poetischen
Schilderungen hauptsächlich den reizenden Seelandschaften von Cumberland und
Westmoreland verdankten (S. 129), auf den exotischen Epiker R. Southey
zu? Das alles sind ja Kleinigkeiten, aber da sie bei der ersten Durchsicht
auffallen, so wären sie wohl auch zu vermeiden gewesen. An dem allgemeinen
Eindruck der Platenschen „Tagebücher" ändern sie nichts. Der Zweifel, ob
man sich der großen und vornehmen Publikation mehr freuen oder sie mehr
beklagen soll, bleibt die letzte wie die erste Wirkung des Buches und läßt uns
auch den weitern Bänden mit geteilten Empfindungen entgegensehen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/91>, abgerufen am 29.12.2024.