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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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platens Tagebücher

stände seiner Sehnsucht zu sehen, mit denen er teilweise nie ein Wort, teilweise
nur gleichgiltige Reden unter Kameraden wechselt. Wir sehen ihn in brennender
und immer vergeblicher Sehnsucht nach einem Entgegenkommen der Leutnants
oder jungen Hauptleute lechzen, denen seine "Liebe" gilt. Der Fittich düsterster
Melancholie bedeckt ihn. Sein trübes, unstätes, wortkarges Umhergehen fällt
mehreren, nur denen nicht auf, von denen er am liebsten bemerkt sein möchte.
Oder "mit unaussprechlicher Wonne ruhen," nachdem es der gütige Himmel
gefügt hat, daß Platen fast neben seinem blonden Freunde zu stehen kommt,
"seine Blicke auf B.s Zügen. Und dennoch mitten unter diesen Freuden
hörte ich eine geheime Stimme, die mir lispelte: "Er wird nie, nie wird
er der deine werden. Zu vieles trennt euch." Wahrlich nahm er auch
meiner gar nicht in acht, nur einmal bemerkte ich, daß er mich betrachtete!"
(28. Januar 1816.) Und dann der Sturz aus den Himmeln: "Trotz seiner
Kälte hoffte ich noch; ich hoffte auf sein edles Herz, ich hoffte mir noch ver¬
dienen zu können, was ich wünschte. Wie sehr betrog ich mich! Noch ein
andrer Glaube ward mir geraubt, ein schönerer noch als der an seine Freund¬
schaft, der Glaube an seine Vortrefflichkeit. Seine Sitten sind äußerst verderbt,
seine Gespräche roh und flach; er ist gefühllos wie ein Stein und hat keinen
Begriff von Liebe und Freundschaft. Er hat keinen Begriff davon, wie das
Glück des Menschen nur durch Menschen könne begründet und gekrönt werden."
(9. April 1816.) Und so Tag für Tag, jahraus jahrein der gleiche eintönige
Kreislauf plötzlich aufflammender Sympathie für Wohlgestalt der Erscheinung,
für den Ausdruck eines Jünglingsgesichts, schmerzlicher Sehnsucht, brennender
Ungeduld und plötzlicher oder allmählicher Enttäuschung, die doch keine volle
Ernüchterung bringt. Unablässig die Wiederholung von Wünschen, bei denen
"die Unmöglichkeit der Erfüllung der Sporn des Verlangens" ist. Für irgend
einen Bengel, der in brüllendes Gelächter ausgebrochen wäre, wenn er gewußt
Hütte, wie sich der stolze, ernste Dichter nach dem Umgang mit ihm sehnt und
darüber die Freunde vernachlässigt, denen er aus bessern Gründen angehört,
als aus einem krankhaften Triebe der Phantasie, versucht Platen Gretchens
Blumenorakel (24. Mai 1815), hat schwere Träume und erinnert sich mit
Wonne, daß jener Mensch einmal mit ihm zugleich eine Treppe hinabgesprungen
ist (20. September 1815), verzehrt sich in Melancholie, daß er ihm nicht
einmal auf der Straße begegnet (16. Januar 1816). Und immer wieder tritt
eine andre Täuschung an die Stelle der überwundnen. Mit Spott und Weh¬
mut zugleich erfüllt uns diese Tragik, die doch keine volle Tragik ist. Und
wir können uns nicht der Frage entziehen, ob denn wirklich die Freunde
Platens, die dergleichen mit besorgten Empfindungen lasen, durchaus im
Irrtum und ernstlich zu tadeln gewesen sind, wenn sie die trostlosen Einzel¬
heiten dieser Freundschaftsromane der Welt vorenthielten?

Die Herausgeber der "Tagebücher" glauben mit der Herausgabe dem


platens Tagebücher

stände seiner Sehnsucht zu sehen, mit denen er teilweise nie ein Wort, teilweise
nur gleichgiltige Reden unter Kameraden wechselt. Wir sehen ihn in brennender
und immer vergeblicher Sehnsucht nach einem Entgegenkommen der Leutnants
oder jungen Hauptleute lechzen, denen seine „Liebe" gilt. Der Fittich düsterster
Melancholie bedeckt ihn. Sein trübes, unstätes, wortkarges Umhergehen fällt
mehreren, nur denen nicht auf, von denen er am liebsten bemerkt sein möchte.
Oder „mit unaussprechlicher Wonne ruhen," nachdem es der gütige Himmel
gefügt hat, daß Platen fast neben seinem blonden Freunde zu stehen kommt,
„seine Blicke auf B.s Zügen. Und dennoch mitten unter diesen Freuden
hörte ich eine geheime Stimme, die mir lispelte: »Er wird nie, nie wird
er der deine werden. Zu vieles trennt euch.« Wahrlich nahm er auch
meiner gar nicht in acht, nur einmal bemerkte ich, daß er mich betrachtete!"
(28. Januar 1816.) Und dann der Sturz aus den Himmeln: „Trotz seiner
Kälte hoffte ich noch; ich hoffte auf sein edles Herz, ich hoffte mir noch ver¬
dienen zu können, was ich wünschte. Wie sehr betrog ich mich! Noch ein
andrer Glaube ward mir geraubt, ein schönerer noch als der an seine Freund¬
schaft, der Glaube an seine Vortrefflichkeit. Seine Sitten sind äußerst verderbt,
seine Gespräche roh und flach; er ist gefühllos wie ein Stein und hat keinen
Begriff von Liebe und Freundschaft. Er hat keinen Begriff davon, wie das
Glück des Menschen nur durch Menschen könne begründet und gekrönt werden."
(9. April 1816.) Und so Tag für Tag, jahraus jahrein der gleiche eintönige
Kreislauf plötzlich aufflammender Sympathie für Wohlgestalt der Erscheinung,
für den Ausdruck eines Jünglingsgesichts, schmerzlicher Sehnsucht, brennender
Ungeduld und plötzlicher oder allmählicher Enttäuschung, die doch keine volle
Ernüchterung bringt. Unablässig die Wiederholung von Wünschen, bei denen
„die Unmöglichkeit der Erfüllung der Sporn des Verlangens" ist. Für irgend
einen Bengel, der in brüllendes Gelächter ausgebrochen wäre, wenn er gewußt
Hütte, wie sich der stolze, ernste Dichter nach dem Umgang mit ihm sehnt und
darüber die Freunde vernachlässigt, denen er aus bessern Gründen angehört,
als aus einem krankhaften Triebe der Phantasie, versucht Platen Gretchens
Blumenorakel (24. Mai 1815), hat schwere Träume und erinnert sich mit
Wonne, daß jener Mensch einmal mit ihm zugleich eine Treppe hinabgesprungen
ist (20. September 1815), verzehrt sich in Melancholie, daß er ihm nicht
einmal auf der Straße begegnet (16. Januar 1816). Und immer wieder tritt
eine andre Täuschung an die Stelle der überwundnen. Mit Spott und Weh¬
mut zugleich erfüllt uns diese Tragik, die doch keine volle Tragik ist. Und
wir können uns nicht der Frage entziehen, ob denn wirklich die Freunde
Platens, die dergleichen mit besorgten Empfindungen lasen, durchaus im
Irrtum und ernstlich zu tadeln gewesen sind, wenn sie die trostlosen Einzel¬
heiten dieser Freundschaftsromane der Welt vorenthielten?

Die Herausgeber der „Tagebücher" glauben mit der Herausgabe dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/90>, abgerufen am 29.12.2024.