Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.platens Tagebücher uns nicht nach unsrer Heimat, sondern wir sind auf dem Wege, in unsre alten Nicht, daß er schon in diesen seinen Anfängen der selbstbewußte Dichter Nein, er empfand damals die dilettantische Schwäche und die innere Leere platens Tagebücher uns nicht nach unsrer Heimat, sondern wir sind auf dem Wege, in unsre alten Nicht, daß er schon in diesen seinen Anfängen der selbstbewußte Dichter Nein, er empfand damals die dilettantische Schwäche und die innere Leere <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0086" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225672"/> <fw type="header" place="top"> platens Tagebücher</fw><lb/> <p xml:id="ID_194" prev="#ID_193"> uns nicht nach unsrer Heimat, sondern wir sind auf dem Wege, in unsre alten<lb/> Kantonnirungen zurückzukehren. Es ist sehr traurig. Wie schrecklich wäre es,<lb/> den Winter über ohne Bücher, ohne Freunde in Frankreich zu verweilen. Ich<lb/> malte mir schon goldne Träume von meiner Zurückkunft nach München, vom<lb/> Wiedersehen meiner Bekannten und von dem verdoppelten Eifer, mit dem ich<lb/> mich nach halbjähriger Versäumnis den Studien widmen wollte. Ich hatte<lb/> mich betrogen wie immer. Dennoch sagt man, daß wir am 15. dieses unsern<lb/> Rückmarsch an den Rhein antreten werden, und dies ist mein Trost und mein<lb/> letzter Anker." Die Überzeugung, daß das kriegerische Zeitalter einen großen<lb/> Teil der deutscheu Jugend verdorben habe, daß man im Soldatenstande, wo<lb/> Eigenheit und Individualität ohnehin erstickt würden, auf so viele gewöhnliche<lb/> und geistesarme Menschen stoße (7. Dezember 1815), kehrt an hundert Stellen<lb/> der „Tagebücher" wieder, immer aufs neue ist er versucht, alle jungen Leute<lb/> seines Standes für seicht und gefühllos zu halten, Müßiggang und sinnlicher<lb/> Lebensgenuß scheint ihm Hauptzweck bei allen (13. April 1816), er verzweifelt,<lb/> als er nach der Rückkehr von der Schweizerreise in aller Frühe zur Ablichtung<lb/> der Rekruten gehen muß, „der Wechsel ist zu schnell, zu groß. Vom höchsten<lb/> Lebensgenuß, von der höchsten Freiheit zu dieser trüben Sklaverei. Ich sah<lb/> die Menschen in ihrem glücklichsten Zustand und soll nun selbst beitragen, sie<lb/> in ihren traurigsten zu versetzen" usw. (6. August 1816). Schon dem Acht¬<lb/> zehn- und Neunzehnjährigen ist nie wohl, als wenn er dienstfrei oder den<lb/> Dienst hinter sich, sich ausschließlich seinen geschichtlichen und litterarischen<lb/> Studien oder seinen poetischen Versuchen widmen darf, es war auch nicht ein<lb/> soldatischer Blutstropfen in ihm.</p><lb/> <p xml:id="ID_195"> Nicht, daß er schon in diesen seinen Anfängen der selbstbewußte Dichter<lb/> gewesen wäre, der sich später selbst die Grabschrift schrieb:</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_2" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_196" next="#ID_197"> Nein, er empfand damals die dilettantische Schwäche und die innere Leere<lb/> seiner Versuche viel schärfer, als es junge Dichter sonst thun. Noch unter<lb/> dem 14. Februar 1817 lesen wir: „Der Entschluß, nichts mehr zu schreiben und<lb/> besonders keine Verse mehr, wird immer fester in mir. Ich gewinne dadurch<lb/> Zeit und Zufriedenheit. Ein großer Dichter würde ich doch nicht geworden<lb/> sein, und ein mittelmäßiger zu werden, wer wollte diesen Ruhm haben? Wollte<lb/> Gott, alle Poetaster unsers Zeitalters entsagten auf ewig ihrem Apoll. Es<lb/> würden dann mehr als ein halb tausend Federn valant werden. Da sie es<lb/> aber nicht thun, so will ich zum mindesten zeigen, daß ich mehr Kraft in mir<lb/> fühle als sie." Wohl hielt der Entschluß der Entsagung nicht über das</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0086]
platens Tagebücher
uns nicht nach unsrer Heimat, sondern wir sind auf dem Wege, in unsre alten
Kantonnirungen zurückzukehren. Es ist sehr traurig. Wie schrecklich wäre es,
den Winter über ohne Bücher, ohne Freunde in Frankreich zu verweilen. Ich
malte mir schon goldne Träume von meiner Zurückkunft nach München, vom
Wiedersehen meiner Bekannten und von dem verdoppelten Eifer, mit dem ich
mich nach halbjähriger Versäumnis den Studien widmen wollte. Ich hatte
mich betrogen wie immer. Dennoch sagt man, daß wir am 15. dieses unsern
Rückmarsch an den Rhein antreten werden, und dies ist mein Trost und mein
letzter Anker." Die Überzeugung, daß das kriegerische Zeitalter einen großen
Teil der deutscheu Jugend verdorben habe, daß man im Soldatenstande, wo
Eigenheit und Individualität ohnehin erstickt würden, auf so viele gewöhnliche
und geistesarme Menschen stoße (7. Dezember 1815), kehrt an hundert Stellen
der „Tagebücher" wieder, immer aufs neue ist er versucht, alle jungen Leute
seines Standes für seicht und gefühllos zu halten, Müßiggang und sinnlicher
Lebensgenuß scheint ihm Hauptzweck bei allen (13. April 1816), er verzweifelt,
als er nach der Rückkehr von der Schweizerreise in aller Frühe zur Ablichtung
der Rekruten gehen muß, „der Wechsel ist zu schnell, zu groß. Vom höchsten
Lebensgenuß, von der höchsten Freiheit zu dieser trüben Sklaverei. Ich sah
die Menschen in ihrem glücklichsten Zustand und soll nun selbst beitragen, sie
in ihren traurigsten zu versetzen" usw. (6. August 1816). Schon dem Acht¬
zehn- und Neunzehnjährigen ist nie wohl, als wenn er dienstfrei oder den
Dienst hinter sich, sich ausschließlich seinen geschichtlichen und litterarischen
Studien oder seinen poetischen Versuchen widmen darf, es war auch nicht ein
soldatischer Blutstropfen in ihm.
Nicht, daß er schon in diesen seinen Anfängen der selbstbewußte Dichter
gewesen wäre, der sich später selbst die Grabschrift schrieb:
Nein, er empfand damals die dilettantische Schwäche und die innere Leere
seiner Versuche viel schärfer, als es junge Dichter sonst thun. Noch unter
dem 14. Februar 1817 lesen wir: „Der Entschluß, nichts mehr zu schreiben und
besonders keine Verse mehr, wird immer fester in mir. Ich gewinne dadurch
Zeit und Zufriedenheit. Ein großer Dichter würde ich doch nicht geworden
sein, und ein mittelmäßiger zu werden, wer wollte diesen Ruhm haben? Wollte
Gott, alle Poetaster unsers Zeitalters entsagten auf ewig ihrem Apoll. Es
würden dann mehr als ein halb tausend Federn valant werden. Da sie es
aber nicht thun, so will ich zum mindesten zeigen, daß ich mehr Kraft in mir
fühle als sie." Wohl hielt der Entschluß der Entsagung nicht über das
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