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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Verhältnissen kühl und kritisch gegenüber, er empfand auss tiefste die Schmach
der Rheinbnndszeit, setzte alles Vertrauen auf den deutschen Patriotismus des
Kronprinzen, des nachmaligen Königs Ludwig, und wurde so zwar ein guter
Unterthan des Königs Max von Baiern und ein bairischer Offizier, aber kein
Baier. Die tiefe, innige Anhänglichkeit an überlieferte Verhältnisse blieb ihm
fremd, alle Glut seines jungen Herzens gehörte dem Gesamtvaterlandc; im
Jahre' 1809. als in Baiern die Nheinbundsbegeisterung für den erhabnen
Protektor Napoleon I. auss höchste gestiegen war. wünschte der Knabe den
österreichischen Truppen Heil und Segen und allen Welschen den Untergang,
wenn auch die Baiern mit ihnen verbündet waren. Als er im Mürz 1814
das Pagcninstitnt verließ und den Dienst bei Hofe, der ihm angenehme Ein¬
drücke hinterlassen und an dessen bunten, lachenden Farben er sich ergötzt hatte,
mit dem Dienst im Heer vertauschte, trennte er sich zwar "so ungern von
seinem Galakleid als weiland Werther von seinem blauen Frack, in dem er
Lotten zum erstenmal gesehen hatte," rühmte auch die Güte des Königs Max
Joseph, pries es aber doch vor allem, daß Baiern jetzt im Heerlager der
Gegner Napoleons stand, und hatte also nicht den leisesten Anhauch von dem
Landsknechtsbemußtsein, das die bairischen Offiziere aus der Schule Wredes
und Derohs mitbrachten. Er klammerte sich an die Gesinnungen, die Kron¬
prinz Ludwig als "Empfindungen eines deutscheu Fürsten beim Ausmarsch
der Nationalgarde" in einem von der Zeitung sür die elegante Welt 1814
veröffentlichten Gedichte aussprach. Aber wie dünn war dies abstrakte Deutsch¬
tum; in welchem Widerspruch standen die vaterländischen Wallungen des wer¬
denden Dichters mit der Gestaltung der Verhältnisse, wie sie mit dem Welt-
frieden eingetreten war, wie wenig glich das Notdach, das deutscher Bund
und Bundestag hieß, der Temvelwölbuug von Einheit und hohem National¬
gefühl, von der der poetische Offizier träumte! Man braucht nur die
Stanzen vom 5. Januar, die längere politische Erörterung vom 7. Februar
1816 zu lesen, von zahlreichen andern Belegstellen abgesehen, um zu fühlen,
wie echt die Trauer Platens über den Maugel eines großen, freien Vater¬
landes war, und wie tief er mit den Besten seiner Zeit durch das Schwankende,
Unklare und Traumhafte aller vaterländischen Hoffnungen litt.

Der militärische Beruf, dem Platen durch feine Geburt und die Weltlage
während seiner Knabentage zugeführt worden war, füllte weder seine Seele
aus. noch gewährte er ihm Aussichten für die Zukunft. In den ersten Marsch-
tagcn des Feldzugs von 1815 schreibt er in sein Tagebuch: "Oft entsteht in
mir ein gewisses Gefühl, das ich Sehnsucht nach Ruhe nennen möchte, und
das ich zuweilen kaum bekämpfen kann. Ich liebe die Wissenschaften und das
Studium und in der That, der Gedanke füllt mir hart, dieselben vielleicht
jahrelang gänzlich entbehren zu müssen und jahrelang ohne Heimat zu sein."
Am 6. Oktober 1815 schreibt er in Ghn in Frankreich: "Leider wandten wir


Verhältnissen kühl und kritisch gegenüber, er empfand auss tiefste die Schmach
der Rheinbnndszeit, setzte alles Vertrauen auf den deutschen Patriotismus des
Kronprinzen, des nachmaligen Königs Ludwig, und wurde so zwar ein guter
Unterthan des Königs Max von Baiern und ein bairischer Offizier, aber kein
Baier. Die tiefe, innige Anhänglichkeit an überlieferte Verhältnisse blieb ihm
fremd, alle Glut seines jungen Herzens gehörte dem Gesamtvaterlandc; im
Jahre' 1809. als in Baiern die Nheinbundsbegeisterung für den erhabnen
Protektor Napoleon I. auss höchste gestiegen war. wünschte der Knabe den
österreichischen Truppen Heil und Segen und allen Welschen den Untergang,
wenn auch die Baiern mit ihnen verbündet waren. Als er im Mürz 1814
das Pagcninstitnt verließ und den Dienst bei Hofe, der ihm angenehme Ein¬
drücke hinterlassen und an dessen bunten, lachenden Farben er sich ergötzt hatte,
mit dem Dienst im Heer vertauschte, trennte er sich zwar „so ungern von
seinem Galakleid als weiland Werther von seinem blauen Frack, in dem er
Lotten zum erstenmal gesehen hatte," rühmte auch die Güte des Königs Max
Joseph, pries es aber doch vor allem, daß Baiern jetzt im Heerlager der
Gegner Napoleons stand, und hatte also nicht den leisesten Anhauch von dem
Landsknechtsbemußtsein, das die bairischen Offiziere aus der Schule Wredes
und Derohs mitbrachten. Er klammerte sich an die Gesinnungen, die Kron¬
prinz Ludwig als „Empfindungen eines deutscheu Fürsten beim Ausmarsch
der Nationalgarde" in einem von der Zeitung sür die elegante Welt 1814
veröffentlichten Gedichte aussprach. Aber wie dünn war dies abstrakte Deutsch¬
tum; in welchem Widerspruch standen die vaterländischen Wallungen des wer¬
denden Dichters mit der Gestaltung der Verhältnisse, wie sie mit dem Welt-
frieden eingetreten war, wie wenig glich das Notdach, das deutscher Bund
und Bundestag hieß, der Temvelwölbuug von Einheit und hohem National¬
gefühl, von der der poetische Offizier träumte! Man braucht nur die
Stanzen vom 5. Januar, die längere politische Erörterung vom 7. Februar
1816 zu lesen, von zahlreichen andern Belegstellen abgesehen, um zu fühlen,
wie echt die Trauer Platens über den Maugel eines großen, freien Vater¬
landes war, und wie tief er mit den Besten seiner Zeit durch das Schwankende,
Unklare und Traumhafte aller vaterländischen Hoffnungen litt.

Der militärische Beruf, dem Platen durch feine Geburt und die Weltlage
während seiner Knabentage zugeführt worden war, füllte weder seine Seele
aus. noch gewährte er ihm Aussichten für die Zukunft. In den ersten Marsch-
tagcn des Feldzugs von 1815 schreibt er in sein Tagebuch: „Oft entsteht in
mir ein gewisses Gefühl, das ich Sehnsucht nach Ruhe nennen möchte, und
das ich zuweilen kaum bekämpfen kann. Ich liebe die Wissenschaften und das
Studium und in der That, der Gedanke füllt mir hart, dieselben vielleicht
jahrelang gänzlich entbehren zu müssen und jahrelang ohne Heimat zu sein."
Am 6. Oktober 1815 schreibt er in Ghn in Frankreich: „Leider wandten wir


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/85>, abgerufen am 29.12.2024.