Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Platens Tagebücher

wieder hier bin, den Mangel an Zeit fühle, kann ich nicht beschreiben. Ich
sollte so vieles thun, ich habe so vieles angefangen; aber ich komme zu nichts.
O warum läßt sich nicht immer in Schliersee leben! Warum kann ich nicht
den Studien leben, die ich so liebe!" Die letzten Münchner Aufzeichnungen
vom Schluß des Jahres 1817 lassen schon keinen Zweifel mehr, daß Platen
über kurz oder lang die hellblaue Uniform ausziehen und sich den Dingen
hingeben wird, von denen seine ganze Seele erfüllt ist. Die Bewilligung von
sechshundert Gulden jährlich für das Studium in Würzburg war ihm freilich
vor der Hand abgeschlagen worden, aber da er wußte, daß er nicht "ewig in
dieser Karriere bleiben könne," so mußte sich über kurz oder lang zum Willen
der Weg finden.

Aus dieser kurzen Inhaltsangabe der ersten vierzehn Bücher seiner Auf¬
zeichnungen geht zur Genüge hervor, daß bei mäßigen äußern Erlebnissen die
innerliche Entwicklung, die sich in Platens Memoranden und Diarien spiegelt,
die Hauptsache sein muß. Und nun ist der unbefangne, wahrhaften und tiefern
Anteil an dem Dichter nehmende Leser vor die peinliche Wahl gestellt, ent¬
weder die endlose Erzählung von tausend Einzelheiten, die sür den jungen ehr¬
geizigen, wenn anch nicht soldatisch ehrgeizigen, nach Vertiefung seines Wesens
und Steigerung seiner Bildung ringenden Offizier wichtig sein mochten, für
uns aber beinahe nichtig sind, in den Kauf zu nehmen oder aber beim raschen
Blättern Betrachtungen und Bemerkungen zu übersehen, die für die Charakteristik
des Dichters wirklich etwas bedeute". Wenn schließlich für die richtige Ver¬
wertung und Würdigung dieser Tagebücher der Biograph auswählend und
wegweisend doch das Beste thun muß, was ist mit der Veröffentlichung in
diesem Umfang gewonnen?

Was zuerst als eine wirkliche Tragik im Leben des Dichters in die Augen
fällt, ist die durch die verhängnisvollen politischen Zustände des zerfallenden
alten deutscheu Reichs herbeigeführte Vaterlaudslvsigkeit des jungen Platen.
Aus alter hannöverscher Familie entsprossen, war sein Vater, Graf August
Philipp Platen, als Oberforstmeister des letzten souveränen Markgrafen von
Ansbach-Bayreuth nach Ansbach berufen worden. Noch vor der Geburt des
Dichters (24. Oktober 1796) hatte Markgraf Karl Alexander seine fränkischen
Fürstentümer an das verwandte preußische Königshaus abgetreten, und so
wurde Platen als Angehöriger der preußischen Monarchie geboren. Der
Tilsiter Friede von 1807 besiegelte die Abtretung Ansbcichs an Baiern, die
schon im Februar 1806 durch die französische Besetzung des Landes eingeleitet
worden war. Während der Knabe mit seinen Eltern und vielen befreundeten
Häusern in Ansbach den Zusammenbruch der Monarchie Friedrichs des Großen
aufs schmerzlichste empfand, wurde er ins Münchner Kadettenhaus gebracht.
Man mußte sich wohl oder übel den neuen Verhältnissen anbequemen. Doch
als Page am Münchner Hof wie später stand der Heranwachsende diesen neuen


Platens Tagebücher

wieder hier bin, den Mangel an Zeit fühle, kann ich nicht beschreiben. Ich
sollte so vieles thun, ich habe so vieles angefangen; aber ich komme zu nichts.
O warum läßt sich nicht immer in Schliersee leben! Warum kann ich nicht
den Studien leben, die ich so liebe!" Die letzten Münchner Aufzeichnungen
vom Schluß des Jahres 1817 lassen schon keinen Zweifel mehr, daß Platen
über kurz oder lang die hellblaue Uniform ausziehen und sich den Dingen
hingeben wird, von denen seine ganze Seele erfüllt ist. Die Bewilligung von
sechshundert Gulden jährlich für das Studium in Würzburg war ihm freilich
vor der Hand abgeschlagen worden, aber da er wußte, daß er nicht „ewig in
dieser Karriere bleiben könne," so mußte sich über kurz oder lang zum Willen
der Weg finden.

Aus dieser kurzen Inhaltsangabe der ersten vierzehn Bücher seiner Auf¬
zeichnungen geht zur Genüge hervor, daß bei mäßigen äußern Erlebnissen die
innerliche Entwicklung, die sich in Platens Memoranden und Diarien spiegelt,
die Hauptsache sein muß. Und nun ist der unbefangne, wahrhaften und tiefern
Anteil an dem Dichter nehmende Leser vor die peinliche Wahl gestellt, ent¬
weder die endlose Erzählung von tausend Einzelheiten, die sür den jungen ehr¬
geizigen, wenn anch nicht soldatisch ehrgeizigen, nach Vertiefung seines Wesens
und Steigerung seiner Bildung ringenden Offizier wichtig sein mochten, für
uns aber beinahe nichtig sind, in den Kauf zu nehmen oder aber beim raschen
Blättern Betrachtungen und Bemerkungen zu übersehen, die für die Charakteristik
des Dichters wirklich etwas bedeute». Wenn schließlich für die richtige Ver¬
wertung und Würdigung dieser Tagebücher der Biograph auswählend und
wegweisend doch das Beste thun muß, was ist mit der Veröffentlichung in
diesem Umfang gewonnen?

Was zuerst als eine wirkliche Tragik im Leben des Dichters in die Augen
fällt, ist die durch die verhängnisvollen politischen Zustände des zerfallenden
alten deutscheu Reichs herbeigeführte Vaterlaudslvsigkeit des jungen Platen.
Aus alter hannöverscher Familie entsprossen, war sein Vater, Graf August
Philipp Platen, als Oberforstmeister des letzten souveränen Markgrafen von
Ansbach-Bayreuth nach Ansbach berufen worden. Noch vor der Geburt des
Dichters (24. Oktober 1796) hatte Markgraf Karl Alexander seine fränkischen
Fürstentümer an das verwandte preußische Königshaus abgetreten, und so
wurde Platen als Angehöriger der preußischen Monarchie geboren. Der
Tilsiter Friede von 1807 besiegelte die Abtretung Ansbcichs an Baiern, die
schon im Februar 1806 durch die französische Besetzung des Landes eingeleitet
worden war. Während der Knabe mit seinen Eltern und vielen befreundeten
Häusern in Ansbach den Zusammenbruch der Monarchie Friedrichs des Großen
aufs schmerzlichste empfand, wurde er ins Münchner Kadettenhaus gebracht.
Man mußte sich wohl oder übel den neuen Verhältnissen anbequemen. Doch
als Page am Münchner Hof wie später stand der Heranwachsende diesen neuen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0084" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225670"/>
          <fw type="header" place="top"> Platens Tagebücher</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_189" prev="#ID_188"> wieder hier bin, den Mangel an Zeit fühle, kann ich nicht beschreiben. Ich<lb/>
sollte so vieles thun, ich habe so vieles angefangen; aber ich komme zu nichts.<lb/>
O warum läßt sich nicht immer in Schliersee leben! Warum kann ich nicht<lb/>
den Studien leben, die ich so liebe!" Die letzten Münchner Aufzeichnungen<lb/>
vom Schluß des Jahres 1817 lassen schon keinen Zweifel mehr, daß Platen<lb/>
über kurz oder lang die hellblaue Uniform ausziehen und sich den Dingen<lb/>
hingeben wird, von denen seine ganze Seele erfüllt ist. Die Bewilligung von<lb/>
sechshundert Gulden jährlich für das Studium in Würzburg war ihm freilich<lb/>
vor der Hand abgeschlagen worden, aber da er wußte, daß er nicht &#x201E;ewig in<lb/>
dieser Karriere bleiben könne," so mußte sich über kurz oder lang zum Willen<lb/>
der Weg finden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_190"> Aus dieser kurzen Inhaltsangabe der ersten vierzehn Bücher seiner Auf¬<lb/>
zeichnungen geht zur Genüge hervor, daß bei mäßigen äußern Erlebnissen die<lb/>
innerliche Entwicklung, die sich in Platens Memoranden und Diarien spiegelt,<lb/>
die Hauptsache sein muß. Und nun ist der unbefangne, wahrhaften und tiefern<lb/>
Anteil an dem Dichter nehmende Leser vor die peinliche Wahl gestellt, ent¬<lb/>
weder die endlose Erzählung von tausend Einzelheiten, die sür den jungen ehr¬<lb/>
geizigen, wenn anch nicht soldatisch ehrgeizigen, nach Vertiefung seines Wesens<lb/>
und Steigerung seiner Bildung ringenden Offizier wichtig sein mochten, für<lb/>
uns aber beinahe nichtig sind, in den Kauf zu nehmen oder aber beim raschen<lb/>
Blättern Betrachtungen und Bemerkungen zu übersehen, die für die Charakteristik<lb/>
des Dichters wirklich etwas bedeute». Wenn schließlich für die richtige Ver¬<lb/>
wertung und Würdigung dieser Tagebücher der Biograph auswählend und<lb/>
wegweisend doch das Beste thun muß, was ist mit der Veröffentlichung in<lb/>
diesem Umfang gewonnen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_191" next="#ID_192"> Was zuerst als eine wirkliche Tragik im Leben des Dichters in die Augen<lb/>
fällt, ist die durch die verhängnisvollen politischen Zustände des zerfallenden<lb/>
alten deutscheu Reichs herbeigeführte Vaterlaudslvsigkeit des jungen Platen.<lb/>
Aus alter hannöverscher Familie entsprossen, war sein Vater, Graf August<lb/>
Philipp Platen, als Oberforstmeister des letzten souveränen Markgrafen von<lb/>
Ansbach-Bayreuth nach Ansbach berufen worden. Noch vor der Geburt des<lb/>
Dichters (24. Oktober 1796) hatte Markgraf Karl Alexander seine fränkischen<lb/>
Fürstentümer an das verwandte preußische Königshaus abgetreten, und so<lb/>
wurde Platen als Angehöriger der preußischen Monarchie geboren. Der<lb/>
Tilsiter Friede von 1807 besiegelte die Abtretung Ansbcichs an Baiern, die<lb/>
schon im Februar 1806 durch die französische Besetzung des Landes eingeleitet<lb/>
worden war. Während der Knabe mit seinen Eltern und vielen befreundeten<lb/>
Häusern in Ansbach den Zusammenbruch der Monarchie Friedrichs des Großen<lb/>
aufs schmerzlichste empfand, wurde er ins Münchner Kadettenhaus gebracht.<lb/>
Man mußte sich wohl oder übel den neuen Verhältnissen anbequemen. Doch<lb/>
als Page am Münchner Hof wie später stand der Heranwachsende diesen neuen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0084] Platens Tagebücher wieder hier bin, den Mangel an Zeit fühle, kann ich nicht beschreiben. Ich sollte so vieles thun, ich habe so vieles angefangen; aber ich komme zu nichts. O warum läßt sich nicht immer in Schliersee leben! Warum kann ich nicht den Studien leben, die ich so liebe!" Die letzten Münchner Aufzeichnungen vom Schluß des Jahres 1817 lassen schon keinen Zweifel mehr, daß Platen über kurz oder lang die hellblaue Uniform ausziehen und sich den Dingen hingeben wird, von denen seine ganze Seele erfüllt ist. Die Bewilligung von sechshundert Gulden jährlich für das Studium in Würzburg war ihm freilich vor der Hand abgeschlagen worden, aber da er wußte, daß er nicht „ewig in dieser Karriere bleiben könne," so mußte sich über kurz oder lang zum Willen der Weg finden. Aus dieser kurzen Inhaltsangabe der ersten vierzehn Bücher seiner Auf¬ zeichnungen geht zur Genüge hervor, daß bei mäßigen äußern Erlebnissen die innerliche Entwicklung, die sich in Platens Memoranden und Diarien spiegelt, die Hauptsache sein muß. Und nun ist der unbefangne, wahrhaften und tiefern Anteil an dem Dichter nehmende Leser vor die peinliche Wahl gestellt, ent¬ weder die endlose Erzählung von tausend Einzelheiten, die sür den jungen ehr¬ geizigen, wenn anch nicht soldatisch ehrgeizigen, nach Vertiefung seines Wesens und Steigerung seiner Bildung ringenden Offizier wichtig sein mochten, für uns aber beinahe nichtig sind, in den Kauf zu nehmen oder aber beim raschen Blättern Betrachtungen und Bemerkungen zu übersehen, die für die Charakteristik des Dichters wirklich etwas bedeute». Wenn schließlich für die richtige Ver¬ wertung und Würdigung dieser Tagebücher der Biograph auswählend und wegweisend doch das Beste thun muß, was ist mit der Veröffentlichung in diesem Umfang gewonnen? Was zuerst als eine wirkliche Tragik im Leben des Dichters in die Augen fällt, ist die durch die verhängnisvollen politischen Zustände des zerfallenden alten deutscheu Reichs herbeigeführte Vaterlaudslvsigkeit des jungen Platen. Aus alter hannöverscher Familie entsprossen, war sein Vater, Graf August Philipp Platen, als Oberforstmeister des letzten souveränen Markgrafen von Ansbach-Bayreuth nach Ansbach berufen worden. Noch vor der Geburt des Dichters (24. Oktober 1796) hatte Markgraf Karl Alexander seine fränkischen Fürstentümer an das verwandte preußische Königshaus abgetreten, und so wurde Platen als Angehöriger der preußischen Monarchie geboren. Der Tilsiter Friede von 1807 besiegelte die Abtretung Ansbcichs an Baiern, die schon im Februar 1806 durch die französische Besetzung des Landes eingeleitet worden war. Während der Knabe mit seinen Eltern und vielen befreundeten Häusern in Ansbach den Zusammenbruch der Monarchie Friedrichs des Großen aufs schmerzlichste empfand, wurde er ins Münchner Kadettenhaus gebracht. Man mußte sich wohl oder übel den neuen Verhältnissen anbequemen. Doch als Page am Münchner Hof wie später stand der Heranwachsende diesen neuen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/84
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/84>, abgerufen am 24.07.2024.