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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Platens Tagebücher

unterscheidende Thätigkeit nicht mehr statthaft sein soll und jederzeit mit dem
Nachweis niedergeschlagen werden kann, daß noch ein Papierzettel oder ein
vergilbtes Heft nicht vollständig veröffentlicht sei. In einigen wenigen Fällen
gelingt es, die Teilnahme für eine Erscheinung künstlich zu der Höhe zu
steigern, daß man sich bequemt, eine kleine Bibliothek von Darstellungen und
Dokumenten über sie zu lesen, in tausend andern Fällen begräbt man die Er¬
scheinung und alle Teilnahme an ihr unter dem Papierwust endloser Ver¬
öffentlichungen. Wir fürchten, daß die "Tagebücher" Platens eher dem letztern
als dem Ausnahmegeschick anheimfallen werden. Doch auch wenn es gelänge, sie
zur Basis einer ständig anwachsenden "Platenlittercitur" zu machen, wenn sie
gleich Rousseaus Erinnerungen begeisterte Leser fänden, denen der Unterschied
zwischen einem leidenschaftlichen Produkt bewußter litterarischer Kunst und den
Memoranden und Diarien des Dichtergrafen mit ihren Bücherverzeichnissen und
Übersetzungsvcrsuchen, ihrem phantastischen Freundschaftsbegehren und ihren
Selbstbespiegelungen gar nichts bedeutete, so würde die allgemeine Frage, die
wir bei dieser Gelegenheit aufwerfen, die Frage, ob es ersprießlich und rätlich
sei, die Zahl der bloßen Materialveröffentlichungen ins Ungemessene zu steigern,
nur sür den besondern Fall beantwortet und keineswegs allgemein erledigt sein.
Die Herausgeber haben aus der Unzulänglichkeit des Eugelhardtschen Auszugs
der Tagebücher die Notwendigkeit gefolgert, die ganzen Aufzeichnungen drucken
zu lassen; wir bleiben der Meinung, daß man sich ihres eigentlichen Gehalts,
der entscheidenden Zeugnisse für Platens menschliche und dichterische Entwick¬
lung hätte versichern können, ohne sie mit Haut und Haar zu geben.
Freilich muß zugestanden werden, daß es einer langen Vertrautheit mit diesen
Niederschriften Platens, einer sehr sorgfältigen Abwägung des Gehalts und
der Bedeutung der einzelnen Tagebuchblätter bedürfte, um alles, was nach
irgend einer Seite hin aufklären kann, einer Auswahl der Tagebücher ein¬
zuverleiben. Da es nicht mehr erlaubt ist, auch die tausendste Wiederholung
eines alltäglichen Vorkommnisses oder gar eines verliebten Stoßseufzers für
wissenschaftlich unwichtig zu erklären, so darf man doch wohl behaupten, daß
sich zwischen dem Unentbehrlichen und dem Entbehrlichen unterscheiden lasse.
Kürzer und bequemer ist es natürlich, den Lesern die Unterscheidung anheim¬
zugeben und alles, was Platen in einem Augenblick seines Lebens des Auf-
schreibens für wert gehalten hat, als Bausteine zu dem Tempel zu betrachten,
den jeder Litteraturfreund in seinem Gedächtnis dem Dichter errichten soll.

Der vorliegende erste Band behandelt nur die Kindheit, die Kadetten- und
Pagenzeit und die Leutnantstage des poetischen Grafen und endet mit dem
Schluß des Jahres 1817, in einem Augenblicke, wo die Unzufriedenheit Platens
mit seiner Soldatenlaufbahn immer brennender und leidenschaftlicher geworden
war, wo er fühlte, daß er aus der unerquicklichen Öde seines Garnisondienstes,
der ihm nie auch nur die leiseste Teilnahme abgewonnen hatte, herausmüsse


Platens Tagebücher

unterscheidende Thätigkeit nicht mehr statthaft sein soll und jederzeit mit dem
Nachweis niedergeschlagen werden kann, daß noch ein Papierzettel oder ein
vergilbtes Heft nicht vollständig veröffentlicht sei. In einigen wenigen Fällen
gelingt es, die Teilnahme für eine Erscheinung künstlich zu der Höhe zu
steigern, daß man sich bequemt, eine kleine Bibliothek von Darstellungen und
Dokumenten über sie zu lesen, in tausend andern Fällen begräbt man die Er¬
scheinung und alle Teilnahme an ihr unter dem Papierwust endloser Ver¬
öffentlichungen. Wir fürchten, daß die „Tagebücher" Platens eher dem letztern
als dem Ausnahmegeschick anheimfallen werden. Doch auch wenn es gelänge, sie
zur Basis einer ständig anwachsenden „Platenlittercitur" zu machen, wenn sie
gleich Rousseaus Erinnerungen begeisterte Leser fänden, denen der Unterschied
zwischen einem leidenschaftlichen Produkt bewußter litterarischer Kunst und den
Memoranden und Diarien des Dichtergrafen mit ihren Bücherverzeichnissen und
Übersetzungsvcrsuchen, ihrem phantastischen Freundschaftsbegehren und ihren
Selbstbespiegelungen gar nichts bedeutete, so würde die allgemeine Frage, die
wir bei dieser Gelegenheit aufwerfen, die Frage, ob es ersprießlich und rätlich
sei, die Zahl der bloßen Materialveröffentlichungen ins Ungemessene zu steigern,
nur sür den besondern Fall beantwortet und keineswegs allgemein erledigt sein.
Die Herausgeber haben aus der Unzulänglichkeit des Eugelhardtschen Auszugs
der Tagebücher die Notwendigkeit gefolgert, die ganzen Aufzeichnungen drucken
zu lassen; wir bleiben der Meinung, daß man sich ihres eigentlichen Gehalts,
der entscheidenden Zeugnisse für Platens menschliche und dichterische Entwick¬
lung hätte versichern können, ohne sie mit Haut und Haar zu geben.
Freilich muß zugestanden werden, daß es einer langen Vertrautheit mit diesen
Niederschriften Platens, einer sehr sorgfältigen Abwägung des Gehalts und
der Bedeutung der einzelnen Tagebuchblätter bedürfte, um alles, was nach
irgend einer Seite hin aufklären kann, einer Auswahl der Tagebücher ein¬
zuverleiben. Da es nicht mehr erlaubt ist, auch die tausendste Wiederholung
eines alltäglichen Vorkommnisses oder gar eines verliebten Stoßseufzers für
wissenschaftlich unwichtig zu erklären, so darf man doch wohl behaupten, daß
sich zwischen dem Unentbehrlichen und dem Entbehrlichen unterscheiden lasse.
Kürzer und bequemer ist es natürlich, den Lesern die Unterscheidung anheim¬
zugeben und alles, was Platen in einem Augenblick seines Lebens des Auf-
schreibens für wert gehalten hat, als Bausteine zu dem Tempel zu betrachten,
den jeder Litteraturfreund in seinem Gedächtnis dem Dichter errichten soll.

Der vorliegende erste Band behandelt nur die Kindheit, die Kadetten- und
Pagenzeit und die Leutnantstage des poetischen Grafen und endet mit dem
Schluß des Jahres 1817, in einem Augenblicke, wo die Unzufriedenheit Platens
mit seiner Soldatenlaufbahn immer brennender und leidenschaftlicher geworden
war, wo er fühlte, daß er aus der unerquicklichen Öde seines Garnisondienstes,
der ihm nie auch nur die leiseste Teilnahme abgewonnen hatte, herausmüsse


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/82>, abgerufen am 24.07.2024.