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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Platens Tagebücher

ehe man die Darstellung selbst für berechtigt hält, hat als Vorspiel der ge-
hofften Biographie die Herausgabe der Tagebücher Platens*) begonnen,
eines mächtigen Handschriftenschatzes von 18 Bänden, der sich nach mannich-
fachen Schicksalen jetzt im Besitz der königlichen Hof- und Staatsbibliothek
in München befindet. Ein Auszug aus diesen Manuskriptbänden war von
deren früheren Besitzer, dem Geheimen Obermedizinalrat or. von Pfeufer in
München, dem Erlanger Theologen Engelhardt verstattet und als "Platens
Tagebuch" mit einem Vorwort Pfeufers, der zu Platens Freunden schon
i" den Erlanger Studententagen des poetischen Grafen gehört hatte, 1860
herausgegeben worden. Gegen diese Veröffentlichung ziehen das Vorwort von
G. von Landmann und die Einleitung von L. von Scheffler gleichmäßig zu
Felde. Sie wird eine "grausame Verstümmelung des Originaltextes" genannt,
von dem übrigens die drei letzten Bücher in der Bearbeitung gänzlich unbenutzt
geblieben seien. "Die Enttäuschung über "Platens Tagebuch" war eine all¬
gemeine. Weit entfernt, uns den Dichter und Menschen näher zu führen, trug
dieses trockne Nesumä der Beziehungen Platens zu seinem äußern Leben, seinen
Studien, seiner Lektüre nur dazu bei, das abstrakte Bild, das sich das deutsche
Publikum vom Verfasser der "Verhängnisvollen Gabel" inzwischen gemacht,
zu verschärfen. Man lese zum Beispiel, was ein so feiner Kenner der Menschen-
seele, Kuno Fischer, in "Schellings Leben" über Platen sagt." Die Gründe,
ans denen die Freunde Platens, Pfeufer, Engelhardt, Graf Friedrich Fugger,
die vollständige Veröffentlichung der Tagebücher Platens gescheut und bean¬
standet haben, erscheinen den gegenwärtigen Herausgebern unzureichend oder
hinfällig, und da sie der Überzeugung sind, daß die Aufrichtigkeit dieser Auf¬
zeichnungen den Zauber der Nvusseciuscheu Bekenntnisse entfalte und mit diesem
Zauber ans alle wohlgeschaffnen Menschen wirken werde, so haben sie die
wörtliche Mitteilung der so lange ruhenden Handschrift begonnen, deren erster
von Platens frühester Jugend bis zum Schlüsse des Jahres 1817 reichender
Bahn die Kleinigkeit von 875 Seiten umfaßt. Es ist nicht zu übersehen,
welchen Umfang die ganze Publikation erreichen wird, aber mit Sicherheit
vorauszusagen, daß der Leserkreis dieser Bände nur klein sein kann.

Wir leben in einem Zeitalter, wo tausende und abertausende von
Bänden die Büchergestelle der Bibliotheken belasten, in die nach dem Buch¬
binder, der sie bindet, und dem Bibliothekar, der sie ducht, nie wieder ein
Mensch einen Blick wirft. Der Begriff der wissenschaftlichen Treue droht
dahin auszuarten, daß die selbständige, urteilende, das Wesentliche vom Un¬
wesentlichen, das allgemein Bedeutende von dem nur für Einzelne Wichtigen



*) Die Tagebücher des Grafen August von Platen. Aus der Handschrift des
Achters herausgegeben von G. von Landmann und L. von Scheffler. Erster Band.
Stuttgart, I. G. Cottnsche Buchhandlung, 1896.
Grenzboten III 1897 M
Platens Tagebücher

ehe man die Darstellung selbst für berechtigt hält, hat als Vorspiel der ge-
hofften Biographie die Herausgabe der Tagebücher Platens*) begonnen,
eines mächtigen Handschriftenschatzes von 18 Bänden, der sich nach mannich-
fachen Schicksalen jetzt im Besitz der königlichen Hof- und Staatsbibliothek
in München befindet. Ein Auszug aus diesen Manuskriptbänden war von
deren früheren Besitzer, dem Geheimen Obermedizinalrat or. von Pfeufer in
München, dem Erlanger Theologen Engelhardt verstattet und als „Platens
Tagebuch" mit einem Vorwort Pfeufers, der zu Platens Freunden schon
i» den Erlanger Studententagen des poetischen Grafen gehört hatte, 1860
herausgegeben worden. Gegen diese Veröffentlichung ziehen das Vorwort von
G. von Landmann und die Einleitung von L. von Scheffler gleichmäßig zu
Felde. Sie wird eine „grausame Verstümmelung des Originaltextes" genannt,
von dem übrigens die drei letzten Bücher in der Bearbeitung gänzlich unbenutzt
geblieben seien. „Die Enttäuschung über »Platens Tagebuch« war eine all¬
gemeine. Weit entfernt, uns den Dichter und Menschen näher zu führen, trug
dieses trockne Nesumä der Beziehungen Platens zu seinem äußern Leben, seinen
Studien, seiner Lektüre nur dazu bei, das abstrakte Bild, das sich das deutsche
Publikum vom Verfasser der »Verhängnisvollen Gabel« inzwischen gemacht,
zu verschärfen. Man lese zum Beispiel, was ein so feiner Kenner der Menschen-
seele, Kuno Fischer, in »Schellings Leben« über Platen sagt." Die Gründe,
ans denen die Freunde Platens, Pfeufer, Engelhardt, Graf Friedrich Fugger,
die vollständige Veröffentlichung der Tagebücher Platens gescheut und bean¬
standet haben, erscheinen den gegenwärtigen Herausgebern unzureichend oder
hinfällig, und da sie der Überzeugung sind, daß die Aufrichtigkeit dieser Auf¬
zeichnungen den Zauber der Nvusseciuscheu Bekenntnisse entfalte und mit diesem
Zauber ans alle wohlgeschaffnen Menschen wirken werde, so haben sie die
wörtliche Mitteilung der so lange ruhenden Handschrift begonnen, deren erster
von Platens frühester Jugend bis zum Schlüsse des Jahres 1817 reichender
Bahn die Kleinigkeit von 875 Seiten umfaßt. Es ist nicht zu übersehen,
welchen Umfang die ganze Publikation erreichen wird, aber mit Sicherheit
vorauszusagen, daß der Leserkreis dieser Bände nur klein sein kann.

Wir leben in einem Zeitalter, wo tausende und abertausende von
Bänden die Büchergestelle der Bibliotheken belasten, in die nach dem Buch¬
binder, der sie bindet, und dem Bibliothekar, der sie ducht, nie wieder ein
Mensch einen Blick wirft. Der Begriff der wissenschaftlichen Treue droht
dahin auszuarten, daß die selbständige, urteilende, das Wesentliche vom Un¬
wesentlichen, das allgemein Bedeutende von dem nur für Einzelne Wichtigen



*) Die Tagebücher des Grafen August von Platen. Aus der Handschrift des
Achters herausgegeben von G. von Landmann und L. von Scheffler. Erster Band.
Stuttgart, I. G. Cottnsche Buchhandlung, 1896.
Grenzboten III 1897 M
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[0081] Platens Tagebücher ehe man die Darstellung selbst für berechtigt hält, hat als Vorspiel der ge- hofften Biographie die Herausgabe der Tagebücher Platens*) begonnen, eines mächtigen Handschriftenschatzes von 18 Bänden, der sich nach mannich- fachen Schicksalen jetzt im Besitz der königlichen Hof- und Staatsbibliothek in München befindet. Ein Auszug aus diesen Manuskriptbänden war von deren früheren Besitzer, dem Geheimen Obermedizinalrat or. von Pfeufer in München, dem Erlanger Theologen Engelhardt verstattet und als „Platens Tagebuch" mit einem Vorwort Pfeufers, der zu Platens Freunden schon i» den Erlanger Studententagen des poetischen Grafen gehört hatte, 1860 herausgegeben worden. Gegen diese Veröffentlichung ziehen das Vorwort von G. von Landmann und die Einleitung von L. von Scheffler gleichmäßig zu Felde. Sie wird eine „grausame Verstümmelung des Originaltextes" genannt, von dem übrigens die drei letzten Bücher in der Bearbeitung gänzlich unbenutzt geblieben seien. „Die Enttäuschung über »Platens Tagebuch« war eine all¬ gemeine. Weit entfernt, uns den Dichter und Menschen näher zu führen, trug dieses trockne Nesumä der Beziehungen Platens zu seinem äußern Leben, seinen Studien, seiner Lektüre nur dazu bei, das abstrakte Bild, das sich das deutsche Publikum vom Verfasser der »Verhängnisvollen Gabel« inzwischen gemacht, zu verschärfen. Man lese zum Beispiel, was ein so feiner Kenner der Menschen- seele, Kuno Fischer, in »Schellings Leben« über Platen sagt." Die Gründe, ans denen die Freunde Platens, Pfeufer, Engelhardt, Graf Friedrich Fugger, die vollständige Veröffentlichung der Tagebücher Platens gescheut und bean¬ standet haben, erscheinen den gegenwärtigen Herausgebern unzureichend oder hinfällig, und da sie der Überzeugung sind, daß die Aufrichtigkeit dieser Auf¬ zeichnungen den Zauber der Nvusseciuscheu Bekenntnisse entfalte und mit diesem Zauber ans alle wohlgeschaffnen Menschen wirken werde, so haben sie die wörtliche Mitteilung der so lange ruhenden Handschrift begonnen, deren erster von Platens frühester Jugend bis zum Schlüsse des Jahres 1817 reichender Bahn die Kleinigkeit von 875 Seiten umfaßt. Es ist nicht zu übersehen, welchen Umfang die ganze Publikation erreichen wird, aber mit Sicherheit vorauszusagen, daß der Leserkreis dieser Bände nur klein sein kann. Wir leben in einem Zeitalter, wo tausende und abertausende von Bänden die Büchergestelle der Bibliotheken belasten, in die nach dem Buch¬ binder, der sie bindet, und dem Bibliothekar, der sie ducht, nie wieder ein Mensch einen Blick wirft. Der Begriff der wissenschaftlichen Treue droht dahin auszuarten, daß die selbständige, urteilende, das Wesentliche vom Un¬ wesentlichen, das allgemein Bedeutende von dem nur für Einzelne Wichtigen *) Die Tagebücher des Grafen August von Platen. Aus der Handschrift des Achters herausgegeben von G. von Landmann und L. von Scheffler. Erster Band. Stuttgart, I. G. Cottnsche Buchhandlung, 1896. Grenzboten III 1897 M

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/81>, abgerufen am 29.12.2024.