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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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apparates. der aus andern Gründen so geworden ist. wie wir ihn thatsächlich
vorfinden" (V 619). Johann Sebastian Bach und Bethoven unbeabsichtigte
Nebenprodukte des durch Naturzüchtung beim Beutesuchen und bei der Flucht
vor Feinden entstandnen Gehörapparates der wilden Tiere! Gewiß eme lieb¬
liche Idee, die aber weiter nicht überraschen darf bei einem Manne, dem der
Leib der Tiere und Menschen weiter nichts ist als ein "Auswuchs" zur
bessern Ernährung und Abänderung des geliebten Keimplasmas. Wir andern
lassen es uns eben nicht nehmen, die Seele als Zweck, alle leiblichen
Vorrichtungen als Mittel aufzufassen und sür den Fall, daß zwischen den
großen Komponisten und der Entwicklung des Gehörsinns bei den gieren
wirklich ein ursächlicher Zusammenhang bestehen sollte, diese, so große Vorteile
sie auch manchen Tierarten im Kampfe ums Dasein gebracht haben mag, doch
der Hauptsache nach nur sür eine entferntere Vorbereitung der Schöpfung
des musikalischen Genius zu halten.

Was der Mensch begreift, das kann er auch machen. Wer eine Maschine
begriffen hat, der kann sie. Handfertigkeit und Hilfsmittel voraussetzt, selbst
bauen. Wenn wir die Zelle, das Keimplasma, die Blume, das Tier begriffen,
so könnten wir Zellen. Keimplasma. Blumen und Tiere bauen. Der Gedanke,
daß der Mensch, der sein Denkorgan wie seine innern Ernährungsorgane Jahr¬
tausende hindurch gebraucht hat, ohne auch nur zu wissen, daß er sie besitzt,
daß dieser Mensch jemals sein eigner Schöpfer oder der Schöpfer ihm
gleicher Wesen werden könnte (beim Zeugen ist er nicht Schöpfer, sondern un¬
bewußt thätiges Werkzeug), dieser Gedanke ist geradezu komisch. Was die
modernen Naturforscher begreifen nennen, das ist, wie wir ost gesagt haben,
nur das Aufdecken bisher unbekannter Reihen von Erscheinungen. Wir mögen
diese Erscheinungen -- es ist das eine nützliche und des Menschen würdige
Beschäftigung -- so tief ins Innere der Wesen hinein verfolgen, wie mir
können, dem Dinge an sich rücken wir damit keinen Schritt näher auf den
Leib; je näher wir ihm zu kommen glauben, in desto weitere Fernen entflieht
es uns. Nehmen wir an, wir könnten mit dem Mikroskop die Determinanten,
die Biophoren sichtbar machen, in jeder Zelle eines von Röntgcnstrahlen durch¬
leuchteten Menschenleibes sichtbar machen, Was würden wir sehen? Kügelchen.
die hin und her, auf und nieder schweben und weben. Würde es uns be¬
greiflicher werden, wie sie es anstellen, hier Fleisch, dort Knochen, hier Zell¬
stoff, dort Horn und Haare zu brauen und zu bauen? Nicht um ein Haar!
Und dringen wir noch weiter vor, bis zu den Atomen! Was können wir da
sehen? Gar nichts! Denn es ist eben das Wesen der Atome, eigenschaftslos,
daher auch unwahrnehmbar zu sein, und das Anfangswunder besteht eben darin,
daß eigenschastslosc Atome durch bloße Gruppirung Wesen hervorbringen, die
in der Seele des Wahrnehmenden die Vorstellung von allerlei Eigenschaften,
wie braune Farbe, Rauheit, Feuchtigkeit, Kälte erzeugen. H 266 erwähnt


apparates. der aus andern Gründen so geworden ist. wie wir ihn thatsächlich
vorfinden" (V 619). Johann Sebastian Bach und Bethoven unbeabsichtigte
Nebenprodukte des durch Naturzüchtung beim Beutesuchen und bei der Flucht
vor Feinden entstandnen Gehörapparates der wilden Tiere! Gewiß eme lieb¬
liche Idee, die aber weiter nicht überraschen darf bei einem Manne, dem der
Leib der Tiere und Menschen weiter nichts ist als ein „Auswuchs" zur
bessern Ernährung und Abänderung des geliebten Keimplasmas. Wir andern
lassen es uns eben nicht nehmen, die Seele als Zweck, alle leiblichen
Vorrichtungen als Mittel aufzufassen und sür den Fall, daß zwischen den
großen Komponisten und der Entwicklung des Gehörsinns bei den gieren
wirklich ein ursächlicher Zusammenhang bestehen sollte, diese, so große Vorteile
sie auch manchen Tierarten im Kampfe ums Dasein gebracht haben mag, doch
der Hauptsache nach nur sür eine entferntere Vorbereitung der Schöpfung
des musikalischen Genius zu halten.

Was der Mensch begreift, das kann er auch machen. Wer eine Maschine
begriffen hat, der kann sie. Handfertigkeit und Hilfsmittel voraussetzt, selbst
bauen. Wenn wir die Zelle, das Keimplasma, die Blume, das Tier begriffen,
so könnten wir Zellen. Keimplasma. Blumen und Tiere bauen. Der Gedanke,
daß der Mensch, der sein Denkorgan wie seine innern Ernährungsorgane Jahr¬
tausende hindurch gebraucht hat, ohne auch nur zu wissen, daß er sie besitzt,
daß dieser Mensch jemals sein eigner Schöpfer oder der Schöpfer ihm
gleicher Wesen werden könnte (beim Zeugen ist er nicht Schöpfer, sondern un¬
bewußt thätiges Werkzeug), dieser Gedanke ist geradezu komisch. Was die
modernen Naturforscher begreifen nennen, das ist, wie wir ost gesagt haben,
nur das Aufdecken bisher unbekannter Reihen von Erscheinungen. Wir mögen
diese Erscheinungen — es ist das eine nützliche und des Menschen würdige
Beschäftigung — so tief ins Innere der Wesen hinein verfolgen, wie mir
können, dem Dinge an sich rücken wir damit keinen Schritt näher auf den
Leib; je näher wir ihm zu kommen glauben, in desto weitere Fernen entflieht
es uns. Nehmen wir an, wir könnten mit dem Mikroskop die Determinanten,
die Biophoren sichtbar machen, in jeder Zelle eines von Röntgcnstrahlen durch¬
leuchteten Menschenleibes sichtbar machen, Was würden wir sehen? Kügelchen.
die hin und her, auf und nieder schweben und weben. Würde es uns be¬
greiflicher werden, wie sie es anstellen, hier Fleisch, dort Knochen, hier Zell¬
stoff, dort Horn und Haare zu brauen und zu bauen? Nicht um ein Haar!
Und dringen wir noch weiter vor, bis zu den Atomen! Was können wir da
sehen? Gar nichts! Denn es ist eben das Wesen der Atome, eigenschaftslos,
daher auch unwahrnehmbar zu sein, und das Anfangswunder besteht eben darin,
daß eigenschastslosc Atome durch bloße Gruppirung Wesen hervorbringen, die
in der Seele des Wahrnehmenden die Vorstellung von allerlei Eigenschaften,
wie braune Farbe, Rauheit, Feuchtigkeit, Kälte erzeugen. H 266 erwähnt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/75>, abgerufen am 29.12.2024.