Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.Vererbung gewissen Reihe von Erscheinungen. Die Gravitation ist die unbekannte Ur¬ Grenzboten III 1897 9
Vererbung gewissen Reihe von Erscheinungen. Die Gravitation ist die unbekannte Ur¬ Grenzboten III 1897 9
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0073" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225659"/> <fw type="header" place="top"> Vererbung</fw><lb/> <p xml:id="ID_169" prev="#ID_168" next="#ID_170"> gewissen Reihe von Erscheinungen. Die Gravitation ist die unbekannte Ur¬<lb/> sache der gesetzmäßigen Bewegungen der Planeten, die Schwerkraft ist die<lb/> unbekannte Ursache des freien Falls der Körper, die Elektrizität ist die unbe¬<lb/> kannte Ursache davon, daß gewisse Stoffe in einem gewissen Zustande gewisse<lb/> andre Stoffe anziehen oder abstoßen, die chemische Affinität ist die unbekannte<lb/> Ursache davon, daß in flüssigem oder gasförmigem Zustande zusammengebrachte<lb/> Körper zu einem dritten zusammenfließen, der ganz andre Eigenschaften hat<lb/> als jeder der beiden andern, die Wärme ist - hier müssen wir uns ein<lb/> wenig anders ausdrücken — das Ergebnis einer Molekularbewegung. die aus<lb/> eine uns unbegreifliche Weise entweder durch mechanische Bewegung, oder durch<lb/> chemische Vorgänge, oder durch eine mit Lichterscheinungen verbundne Wellen¬<lb/> bewegung des Äthers hervorgebracht wird. Aufgabe der Forschung ist es<lb/> um. diese Erscheinungsreihen so weit wie möglich zu verfolgen und die Gesetze,<lb/> d- h. die unabänderliche Ordnung ihrer Verkettung und ihres Verlaufs zu<lb/> ermitteln, womit ein doppelter Zweck erreicht wird: erstens, daß wir diese<lb/> sogenannten Kräfte, die in Wirklichkeit nnr Erschcinungsreihen sind, für unsre<lb/> Zwecke verwenden können und vor den Gefahren und Schäden bewahrt bleiben,<lb/> die eine falsche, abergläubische Deutung der Naturerscheinungen nach sich zu<lb/> ziehen pflegt, dann: daß unser Vorstellungskreis erweitert, unser Geist mit<lb/> neuen Vorstellungen bereichert und unser Secleninhalt besser geordnet wird.<lb/> Und indem diese bessere Ordnung unsrer Vorstellungen eben die Harmonie der<lb/> Natur widerspiegelt, nichts andres ist als die Erkenntnis dieser Harmonie,<lb/> einer schönen, gesetzmäßigen und zweckmäßigen Ordnung, die sich in einer jedes<lb/> menschliche Vorstellungsvermögen übersteigenden Verwicklung unendlich vieler<lb/> Teile durchsetzt, kann die tiefere Naturerkenntnis zu nichts anderm führen, als<lb/> zur tiefern Bewunderung des Schöpfers. Wenn es gelänge, alle sogenannten<lb/> Kräfte als Modifikationen einer einzigen Kraft, d. h. einer einzigen Form von<lb/> Veränderungen, nachzuweisen, der Atombewegung, so würde dadurch das Welt¬<lb/> wunder nicht weniger wunderbar, sondern nur noch großartiger. Alle einzelnen<lb/> Myriaden Wunder würden sich dann in zwei große Massen oder Gruppen<lb/> ordnen. Die eine würde die Gesamtheit aller unorganischen und organischen<lb/> Wesen mit der Ordnung ihrer Bewegungen und Lebensvorgänge umfassen,<lb/> die, wie angenommen wird, aus der ursprünglichen Anordnung der Atome<lb/> und dem ihnen im Anfang versetzten Anstoß und aus nichts anderm hervor¬<lb/> geht. Die andre würde dieselben Wesen umfassen als Erscheinungen: als<lb/> Vorstellungen, die eine Seele, die jede Menschenseele von ihnen hat. Nicht<lb/> darin würden wir dieses zweite Wunder suchen, daß die Bewegung der Körper¬<lb/> atome zuletzt Seelen erzeugt, denn dieser Gedanke des rohesten Materialismus<lb/> ist so unvernünftig, daß ihn wohl kaum noch irgend ein Mann von Bedeutungder Beachtung würdigt, sondern daß es Seelen giebt, in denen die Bewegungder Körperatome Bilder erzeugt, Bilder, die außerhalb der Seelen gar nicht</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1897 9</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0073]
Vererbung
gewissen Reihe von Erscheinungen. Die Gravitation ist die unbekannte Ur¬
sache der gesetzmäßigen Bewegungen der Planeten, die Schwerkraft ist die
unbekannte Ursache des freien Falls der Körper, die Elektrizität ist die unbe¬
kannte Ursache davon, daß gewisse Stoffe in einem gewissen Zustande gewisse
andre Stoffe anziehen oder abstoßen, die chemische Affinität ist die unbekannte
Ursache davon, daß in flüssigem oder gasförmigem Zustande zusammengebrachte
Körper zu einem dritten zusammenfließen, der ganz andre Eigenschaften hat
als jeder der beiden andern, die Wärme ist - hier müssen wir uns ein
wenig anders ausdrücken — das Ergebnis einer Molekularbewegung. die aus
eine uns unbegreifliche Weise entweder durch mechanische Bewegung, oder durch
chemische Vorgänge, oder durch eine mit Lichterscheinungen verbundne Wellen¬
bewegung des Äthers hervorgebracht wird. Aufgabe der Forschung ist es
um. diese Erscheinungsreihen so weit wie möglich zu verfolgen und die Gesetze,
d- h. die unabänderliche Ordnung ihrer Verkettung und ihres Verlaufs zu
ermitteln, womit ein doppelter Zweck erreicht wird: erstens, daß wir diese
sogenannten Kräfte, die in Wirklichkeit nnr Erschcinungsreihen sind, für unsre
Zwecke verwenden können und vor den Gefahren und Schäden bewahrt bleiben,
die eine falsche, abergläubische Deutung der Naturerscheinungen nach sich zu
ziehen pflegt, dann: daß unser Vorstellungskreis erweitert, unser Geist mit
neuen Vorstellungen bereichert und unser Secleninhalt besser geordnet wird.
Und indem diese bessere Ordnung unsrer Vorstellungen eben die Harmonie der
Natur widerspiegelt, nichts andres ist als die Erkenntnis dieser Harmonie,
einer schönen, gesetzmäßigen und zweckmäßigen Ordnung, die sich in einer jedes
menschliche Vorstellungsvermögen übersteigenden Verwicklung unendlich vieler
Teile durchsetzt, kann die tiefere Naturerkenntnis zu nichts anderm führen, als
zur tiefern Bewunderung des Schöpfers. Wenn es gelänge, alle sogenannten
Kräfte als Modifikationen einer einzigen Kraft, d. h. einer einzigen Form von
Veränderungen, nachzuweisen, der Atombewegung, so würde dadurch das Welt¬
wunder nicht weniger wunderbar, sondern nur noch großartiger. Alle einzelnen
Myriaden Wunder würden sich dann in zwei große Massen oder Gruppen
ordnen. Die eine würde die Gesamtheit aller unorganischen und organischen
Wesen mit der Ordnung ihrer Bewegungen und Lebensvorgänge umfassen,
die, wie angenommen wird, aus der ursprünglichen Anordnung der Atome
und dem ihnen im Anfang versetzten Anstoß und aus nichts anderm hervor¬
geht. Die andre würde dieselben Wesen umfassen als Erscheinungen: als
Vorstellungen, die eine Seele, die jede Menschenseele von ihnen hat. Nicht
darin würden wir dieses zweite Wunder suchen, daß die Bewegung der Körper¬
atome zuletzt Seelen erzeugt, denn dieser Gedanke des rohesten Materialismus
ist so unvernünftig, daß ihn wohl kaum noch irgend ein Mann von Bedeutungder Beachtung würdigt, sondern daß es Seelen giebt, in denen die Bewegungder Körperatome Bilder erzeugt, Bilder, die außerhalb der Seelen gar nicht
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