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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Die Hochwassergefahr und ihre Bekämpfung

Aber wir können den Schaden, den die Hochwasser verursachen, anch noch
auf andre Weise abzuschwächen suchen: wir können ihnen soviel als möglich aus
dem Wege gehen. Wir müssen uns die Bewohner der tiefen Niederungen an
den Mündungsarmen unsrer großen Strome zum Vorbilde nehmen. Dort in
den Niederungen giebt es in jedem Frühjahr Hochwasser, aber von einzelnen
Ausnahmen abgesehen, fürchtet man sich nicht vor ihm, weil man sich darauf
eingerichtet hat. Man hat die Ströme eingedämmt, und wo die Eindämmung
noch nicht durchgeführt ist, wo die Ströme noch jedes Jahr über ihre Ufer
treten und meilenweit alles unter Wasser setzen, da hat man in dem Über¬
schwemmungsgebiet Wohnhäuser, Ställe und Scheunen auf Erdhügeln errichtet.
Ganze Ortschaften und einzelne Gehöfte ragen dann bei der Überschwemmung
wie Inseln aus dem Wasser empor, und der Verkehr zwischen ihnen wird durch
Kähne unterhalten. Was für die Gegenden am Unterlauf des Stromes ge¬
nügenden Schutz gewährt, würde auch für seinen Mittellauf geeignet sein, wo
seine Wasser noch nicht so reißend sind. Ländereien, die am Ufer gelegen und
regelmäßig aller paar Jahre der Überschwemmung ausgesetzt sind, sollten ein¬
gedämmt werden; die Eindämmung ist hier in vieler Beziehung notwendiger
als am Unterlaufe. In der Nähe der Küsten erfolgt die Überschwemmung
im Frühjahr, wenn die Felder noch kahl sind; da helfen die Wasserfluten sogar
das Land düngen, statt Schaden anzurichten. In den Vorlanden der Gebirge
aber kommt das Hochwasser plötzlich und unvermutet, im Hochsommer, im
Herbst, wenn die Ernte noch nicht eingebracht ist, wenn ein Teil davon der
Wegschwemmung, ein andrer dem Verderben ausgesetzt ist.

Weiter oben im Gebirge nützt allerdings das Eindämmen nichts mehr.
Dem Andrängen der Fluten können kaum unsre ans Stein gebauten Chausseen
und die Mauern unsrer Häuser Stand halten, geschweige denn Dämme, die
aus Geröll, im günstigsten Falle mit Hilfe von Faschinen hergestellt sind.
Hier bleibt nichts weiter übrig, als dem Wasser aus dem Wege zu gehen.
Unsre Dörfer im Gebirge ziehen sich aber meist dicht am Bache hin, und auch
unsre Landstraßen, die früher mit Vorliebe über die Berge gelegt wurden,
folgen heute den Flußläufen. So bequem das für die Bewirtschaftung und
für den Verkehr ist, es birgt doch eine große Gefahr in sich. Im Gebirge
hat man die Auswahl zwischen höher und niedriger gelegnen Geländen: er¬
richte man doch seine Wohn- und Wirtschaftsgebäude an den Stellen, die er¬
fahrungsgemäß oberhalb der höchsten Wasserstandsgrcnze liegen! Man muß
freilich dann das Heu aus den Wiesen bergan fahren, und auch von der Dorf¬
straße aus geht es noch ein Stück in die Höhe, bis man auf seinem Hofe an¬
gelangt ist. Aber man erträgt doch lieber diese kleine Unbequemlichkeit, als
daß man sich der Gefahr aussetzt, mit einem Schlage Hab und Gut zu ver¬
lieren, vom wohlhabenden Manne zum Bettler zu werden. Man kann ja nicht
ans einmal ein ganzes Dorf vom Flußufer auf die zehn Meter höher gelegne


Die Hochwassergefahr und ihre Bekämpfung

Aber wir können den Schaden, den die Hochwasser verursachen, anch noch
auf andre Weise abzuschwächen suchen: wir können ihnen soviel als möglich aus
dem Wege gehen. Wir müssen uns die Bewohner der tiefen Niederungen an
den Mündungsarmen unsrer großen Strome zum Vorbilde nehmen. Dort in
den Niederungen giebt es in jedem Frühjahr Hochwasser, aber von einzelnen
Ausnahmen abgesehen, fürchtet man sich nicht vor ihm, weil man sich darauf
eingerichtet hat. Man hat die Ströme eingedämmt, und wo die Eindämmung
noch nicht durchgeführt ist, wo die Ströme noch jedes Jahr über ihre Ufer
treten und meilenweit alles unter Wasser setzen, da hat man in dem Über¬
schwemmungsgebiet Wohnhäuser, Ställe und Scheunen auf Erdhügeln errichtet.
Ganze Ortschaften und einzelne Gehöfte ragen dann bei der Überschwemmung
wie Inseln aus dem Wasser empor, und der Verkehr zwischen ihnen wird durch
Kähne unterhalten. Was für die Gegenden am Unterlauf des Stromes ge¬
nügenden Schutz gewährt, würde auch für seinen Mittellauf geeignet sein, wo
seine Wasser noch nicht so reißend sind. Ländereien, die am Ufer gelegen und
regelmäßig aller paar Jahre der Überschwemmung ausgesetzt sind, sollten ein¬
gedämmt werden; die Eindämmung ist hier in vieler Beziehung notwendiger
als am Unterlaufe. In der Nähe der Küsten erfolgt die Überschwemmung
im Frühjahr, wenn die Felder noch kahl sind; da helfen die Wasserfluten sogar
das Land düngen, statt Schaden anzurichten. In den Vorlanden der Gebirge
aber kommt das Hochwasser plötzlich und unvermutet, im Hochsommer, im
Herbst, wenn die Ernte noch nicht eingebracht ist, wenn ein Teil davon der
Wegschwemmung, ein andrer dem Verderben ausgesetzt ist.

Weiter oben im Gebirge nützt allerdings das Eindämmen nichts mehr.
Dem Andrängen der Fluten können kaum unsre ans Stein gebauten Chausseen
und die Mauern unsrer Häuser Stand halten, geschweige denn Dämme, die
aus Geröll, im günstigsten Falle mit Hilfe von Faschinen hergestellt sind.
Hier bleibt nichts weiter übrig, als dem Wasser aus dem Wege zu gehen.
Unsre Dörfer im Gebirge ziehen sich aber meist dicht am Bache hin, und auch
unsre Landstraßen, die früher mit Vorliebe über die Berge gelegt wurden,
folgen heute den Flußläufen. So bequem das für die Bewirtschaftung und
für den Verkehr ist, es birgt doch eine große Gefahr in sich. Im Gebirge
hat man die Auswahl zwischen höher und niedriger gelegnen Geländen: er¬
richte man doch seine Wohn- und Wirtschaftsgebäude an den Stellen, die er¬
fahrungsgemäß oberhalb der höchsten Wasserstandsgrcnze liegen! Man muß
freilich dann das Heu aus den Wiesen bergan fahren, und auch von der Dorf¬
straße aus geht es noch ein Stück in die Höhe, bis man auf seinem Hofe an¬
gelangt ist. Aber man erträgt doch lieber diese kleine Unbequemlichkeit, als
daß man sich der Gefahr aussetzt, mit einem Schlage Hab und Gut zu ver¬
lieren, vom wohlhabenden Manne zum Bettler zu werden. Man kann ja nicht
ans einmal ein ganzes Dorf vom Flußufer auf die zehn Meter höher gelegne


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[0610] Die Hochwassergefahr und ihre Bekämpfung Aber wir können den Schaden, den die Hochwasser verursachen, anch noch auf andre Weise abzuschwächen suchen: wir können ihnen soviel als möglich aus dem Wege gehen. Wir müssen uns die Bewohner der tiefen Niederungen an den Mündungsarmen unsrer großen Strome zum Vorbilde nehmen. Dort in den Niederungen giebt es in jedem Frühjahr Hochwasser, aber von einzelnen Ausnahmen abgesehen, fürchtet man sich nicht vor ihm, weil man sich darauf eingerichtet hat. Man hat die Ströme eingedämmt, und wo die Eindämmung noch nicht durchgeführt ist, wo die Ströme noch jedes Jahr über ihre Ufer treten und meilenweit alles unter Wasser setzen, da hat man in dem Über¬ schwemmungsgebiet Wohnhäuser, Ställe und Scheunen auf Erdhügeln errichtet. Ganze Ortschaften und einzelne Gehöfte ragen dann bei der Überschwemmung wie Inseln aus dem Wasser empor, und der Verkehr zwischen ihnen wird durch Kähne unterhalten. Was für die Gegenden am Unterlauf des Stromes ge¬ nügenden Schutz gewährt, würde auch für seinen Mittellauf geeignet sein, wo seine Wasser noch nicht so reißend sind. Ländereien, die am Ufer gelegen und regelmäßig aller paar Jahre der Überschwemmung ausgesetzt sind, sollten ein¬ gedämmt werden; die Eindämmung ist hier in vieler Beziehung notwendiger als am Unterlaufe. In der Nähe der Küsten erfolgt die Überschwemmung im Frühjahr, wenn die Felder noch kahl sind; da helfen die Wasserfluten sogar das Land düngen, statt Schaden anzurichten. In den Vorlanden der Gebirge aber kommt das Hochwasser plötzlich und unvermutet, im Hochsommer, im Herbst, wenn die Ernte noch nicht eingebracht ist, wenn ein Teil davon der Wegschwemmung, ein andrer dem Verderben ausgesetzt ist. Weiter oben im Gebirge nützt allerdings das Eindämmen nichts mehr. Dem Andrängen der Fluten können kaum unsre ans Stein gebauten Chausseen und die Mauern unsrer Häuser Stand halten, geschweige denn Dämme, die aus Geröll, im günstigsten Falle mit Hilfe von Faschinen hergestellt sind. Hier bleibt nichts weiter übrig, als dem Wasser aus dem Wege zu gehen. Unsre Dörfer im Gebirge ziehen sich aber meist dicht am Bache hin, und auch unsre Landstraßen, die früher mit Vorliebe über die Berge gelegt wurden, folgen heute den Flußläufen. So bequem das für die Bewirtschaftung und für den Verkehr ist, es birgt doch eine große Gefahr in sich. Im Gebirge hat man die Auswahl zwischen höher und niedriger gelegnen Geländen: er¬ richte man doch seine Wohn- und Wirtschaftsgebäude an den Stellen, die er¬ fahrungsgemäß oberhalb der höchsten Wasserstandsgrcnze liegen! Man muß freilich dann das Heu aus den Wiesen bergan fahren, und auch von der Dorf¬ straße aus geht es noch ein Stück in die Höhe, bis man auf seinem Hofe an¬ gelangt ist. Aber man erträgt doch lieber diese kleine Unbequemlichkeit, als daß man sich der Gefahr aussetzt, mit einem Schlage Hab und Gut zu ver¬ lieren, vom wohlhabenden Manne zum Bettler zu werden. Man kann ja nicht ans einmal ein ganzes Dorf vom Flußufer auf die zehn Meter höher gelegne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/610>, abgerufen am 24.07.2024.