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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Die Hochwassergefahr und ihre Bekämpfung

Sonne strahlend am Himmel emporstieg, sah sie auf ein Bild der Verwüstung
herab. Hänser waren in sich zusammengestürzt oder ganz weggerissen, fest-
gemauerte Chausseen und Eisenbahndümme auf große Strecken vom Erdboden
verschwunden, Flüsse und Bäche hatten sich ein neues Bett gesucht. Wiesen
und Äcker waren versandet und mit Steinen übersät, vereinzelt waren Dörfer
und Städte zur Hälfte zu Ruinen geworden, und unterhalb der verwüsteten
Ortschaften sah man vollständige Trümmerfelder; da lagen, wirr durcheinander
geworfen, Balken, Schindeln, Thürpfosten, ganze Mauerstücke. Ju dem
Städtchen Schmiedeberg sind über vierzig Gebäude eingestürzt, die Hinterseite
des Marktes ist ein Trümmerhaufe, kein Haus ist verschont geblieben. In
Petersdorf bei Schreibersau haben die Wasser kaum minder gewütet, und in
Marschendorf zeigen überall auf dem drei bis vier Kilometer langen Wege
vom Bahnhof Freiheit-Johannesbnd bis zum Eingang ins Dnnkelthal Tafeln
die Stelle nu, wo früher Wohnhäuser und Wirtschaften gestanden haben; in
dem stadtähnlich gebauten Teil des Oberdorfes, am sogenannten "Platz" kurz
vor dem Eintritt ins Dunkelthal, sind Sparkasse, Amtsgebäude und Säge¬
mühle vom Erdboden verschwunden. vom Bezirksgericht nichts als die nackten
Mauern stehen geblieben, und im Riesengrunde dicht neben der den Tou-
risten wohlbekannten Bergschmiede sind einzelne Hänser unter den von der
Schneekoppe herabkommenden Stein- und Geröllmassen buchstäblich begraben
worden. Viele Menschen haben in jener Schreckensnacht vom 29. zum 30. Juli
ihren Tod gefunden. Hunderte haben Hab und Gut verloren; für sie bildete
das Häuschen, das in den Fluten verschwunden ist, den einzigen Besitz. Nun
stehen sie obdachlos da und wissen nicht, wo sie im Winter ihr Haupt hin¬
legen, womit sie ihre Familie ernähren nud kleiden sollen. Tausende sind um
den Ertrag der Ernte, um die Einnahmen eines ganzen Jahres gekommen,
viele andre stehen ohne Mittel da, ihre baufällig gewordnen, durchnäßten
Wohnstätten wieder in Stand setzen zu lassen.

Aber uicht nur die Gebirgslande haben gelitten. Die Flutwelle ergoß
steh aus den Gebirgen in die Ebnen und bedeckte da die Flußniederungen auf
Meilen hiu, sie setzte einzelne Gehöfte und ganze Städte unter Wasser, sie
brachte Häuser zum Einsturz, zwang Fabriken zum Stillstand, führte das Ge¬
treide weg, das schon in Garben ans dem Felde stand, und verdarb die Feld-
Süchte, die noch in der Erde steckten. Der Notschrei der heimgesuchten Be¬
völkerung pflanzte sich sort von den Sudeten und dem Erzgebirge über die
schlesischen Vorlande und das Königreich Sachsen bis in die tiefern Niede¬
rungen, bis in die Fabrikgegenden der Niederlausitz, in den Sprcewald und
das mittlere Elbgebiet.

Er ist ja nicht vergeblich verhallt, dieser Notschrei. In allen Gegenden
Deutschlands, in Nord nud Süd, Ost und West regte steh das Mitgefühl für
die so unschuldig Betroffnen. Millionen und wieder Millionen wurden ge-


Die Hochwassergefahr und ihre Bekämpfung

Sonne strahlend am Himmel emporstieg, sah sie auf ein Bild der Verwüstung
herab. Hänser waren in sich zusammengestürzt oder ganz weggerissen, fest-
gemauerte Chausseen und Eisenbahndümme auf große Strecken vom Erdboden
verschwunden, Flüsse und Bäche hatten sich ein neues Bett gesucht. Wiesen
und Äcker waren versandet und mit Steinen übersät, vereinzelt waren Dörfer
und Städte zur Hälfte zu Ruinen geworden, und unterhalb der verwüsteten
Ortschaften sah man vollständige Trümmerfelder; da lagen, wirr durcheinander
geworfen, Balken, Schindeln, Thürpfosten, ganze Mauerstücke. Ju dem
Städtchen Schmiedeberg sind über vierzig Gebäude eingestürzt, die Hinterseite
des Marktes ist ein Trümmerhaufe, kein Haus ist verschont geblieben. In
Petersdorf bei Schreibersau haben die Wasser kaum minder gewütet, und in
Marschendorf zeigen überall auf dem drei bis vier Kilometer langen Wege
vom Bahnhof Freiheit-Johannesbnd bis zum Eingang ins Dnnkelthal Tafeln
die Stelle nu, wo früher Wohnhäuser und Wirtschaften gestanden haben; in
dem stadtähnlich gebauten Teil des Oberdorfes, am sogenannten „Platz" kurz
vor dem Eintritt ins Dunkelthal, sind Sparkasse, Amtsgebäude und Säge¬
mühle vom Erdboden verschwunden. vom Bezirksgericht nichts als die nackten
Mauern stehen geblieben, und im Riesengrunde dicht neben der den Tou-
risten wohlbekannten Bergschmiede sind einzelne Hänser unter den von der
Schneekoppe herabkommenden Stein- und Geröllmassen buchstäblich begraben
worden. Viele Menschen haben in jener Schreckensnacht vom 29. zum 30. Juli
ihren Tod gefunden. Hunderte haben Hab und Gut verloren; für sie bildete
das Häuschen, das in den Fluten verschwunden ist, den einzigen Besitz. Nun
stehen sie obdachlos da und wissen nicht, wo sie im Winter ihr Haupt hin¬
legen, womit sie ihre Familie ernähren nud kleiden sollen. Tausende sind um
den Ertrag der Ernte, um die Einnahmen eines ganzen Jahres gekommen,
viele andre stehen ohne Mittel da, ihre baufällig gewordnen, durchnäßten
Wohnstätten wieder in Stand setzen zu lassen.

Aber uicht nur die Gebirgslande haben gelitten. Die Flutwelle ergoß
steh aus den Gebirgen in die Ebnen und bedeckte da die Flußniederungen auf
Meilen hiu, sie setzte einzelne Gehöfte und ganze Städte unter Wasser, sie
brachte Häuser zum Einsturz, zwang Fabriken zum Stillstand, führte das Ge¬
treide weg, das schon in Garben ans dem Felde stand, und verdarb die Feld-
Süchte, die noch in der Erde steckten. Der Notschrei der heimgesuchten Be¬
völkerung pflanzte sich sort von den Sudeten und dem Erzgebirge über die
schlesischen Vorlande und das Königreich Sachsen bis in die tiefern Niede¬
rungen, bis in die Fabrikgegenden der Niederlausitz, in den Sprcewald und
das mittlere Elbgebiet.

Er ist ja nicht vergeblich verhallt, dieser Notschrei. In allen Gegenden
Deutschlands, in Nord nud Süd, Ost und West regte steh das Mitgefühl für
die so unschuldig Betroffnen. Millionen und wieder Millionen wurden ge-


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[0603] Die Hochwassergefahr und ihre Bekämpfung Sonne strahlend am Himmel emporstieg, sah sie auf ein Bild der Verwüstung herab. Hänser waren in sich zusammengestürzt oder ganz weggerissen, fest- gemauerte Chausseen und Eisenbahndümme auf große Strecken vom Erdboden verschwunden, Flüsse und Bäche hatten sich ein neues Bett gesucht. Wiesen und Äcker waren versandet und mit Steinen übersät, vereinzelt waren Dörfer und Städte zur Hälfte zu Ruinen geworden, und unterhalb der verwüsteten Ortschaften sah man vollständige Trümmerfelder; da lagen, wirr durcheinander geworfen, Balken, Schindeln, Thürpfosten, ganze Mauerstücke. Ju dem Städtchen Schmiedeberg sind über vierzig Gebäude eingestürzt, die Hinterseite des Marktes ist ein Trümmerhaufe, kein Haus ist verschont geblieben. In Petersdorf bei Schreibersau haben die Wasser kaum minder gewütet, und in Marschendorf zeigen überall auf dem drei bis vier Kilometer langen Wege vom Bahnhof Freiheit-Johannesbnd bis zum Eingang ins Dnnkelthal Tafeln die Stelle nu, wo früher Wohnhäuser und Wirtschaften gestanden haben; in dem stadtähnlich gebauten Teil des Oberdorfes, am sogenannten „Platz" kurz vor dem Eintritt ins Dunkelthal, sind Sparkasse, Amtsgebäude und Säge¬ mühle vom Erdboden verschwunden. vom Bezirksgericht nichts als die nackten Mauern stehen geblieben, und im Riesengrunde dicht neben der den Tou- risten wohlbekannten Bergschmiede sind einzelne Hänser unter den von der Schneekoppe herabkommenden Stein- und Geröllmassen buchstäblich begraben worden. Viele Menschen haben in jener Schreckensnacht vom 29. zum 30. Juli ihren Tod gefunden. Hunderte haben Hab und Gut verloren; für sie bildete das Häuschen, das in den Fluten verschwunden ist, den einzigen Besitz. Nun stehen sie obdachlos da und wissen nicht, wo sie im Winter ihr Haupt hin¬ legen, womit sie ihre Familie ernähren nud kleiden sollen. Tausende sind um den Ertrag der Ernte, um die Einnahmen eines ganzen Jahres gekommen, viele andre stehen ohne Mittel da, ihre baufällig gewordnen, durchnäßten Wohnstätten wieder in Stand setzen zu lassen. Aber uicht nur die Gebirgslande haben gelitten. Die Flutwelle ergoß steh aus den Gebirgen in die Ebnen und bedeckte da die Flußniederungen auf Meilen hiu, sie setzte einzelne Gehöfte und ganze Städte unter Wasser, sie brachte Häuser zum Einsturz, zwang Fabriken zum Stillstand, führte das Ge¬ treide weg, das schon in Garben ans dem Felde stand, und verdarb die Feld- Süchte, die noch in der Erde steckten. Der Notschrei der heimgesuchten Be¬ völkerung pflanzte sich sort von den Sudeten und dem Erzgebirge über die schlesischen Vorlande und das Königreich Sachsen bis in die tiefern Niede¬ rungen, bis in die Fabrikgegenden der Niederlausitz, in den Sprcewald und das mittlere Elbgebiet. Er ist ja nicht vergeblich verhallt, dieser Notschrei. In allen Gegenden Deutschlands, in Nord nud Süd, Ost und West regte steh das Mitgefühl für die so unschuldig Betroffnen. Millionen und wieder Millionen wurden ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/603>, abgerufen am 24.07.2024.