Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Znscmunenschlns; der kontinentalen Mächte

Wie es seit einem Jahr immer lauter hervorgetreten ist, verständlich. Den
Friedeusversichernngen Deutschlands werden sie nie trauen, weil sie sich selbst
hinterhältiger Gedanken bewußt sind, aber die Bürgschaft Rußlands dafür
nehmen sie gern an. Die Ähnlichkeit mit dem Neutralitätsvertrag Alexanders III.
springt in die Auge", und in diesem Sinne ist die "Allianz" mit Nußland
aufzufassen. Es hat allerdings geraumer Zeit bedurft, bevor sich Frankreich
in diesem Gedankenkreis zurecht gefunden hat, und es bedürfte ebenfalls einiger
Zeit, die Formel für die Allianz zu finden, die dem Bedürfnis der Franzosen
unes Sicherheit entspricht, ohne Rußland die Hände zu binden. Man wird
nicht fehlgehen mit der Annahme, daß die mehrfach vorgekommne Verschiebung
der Reise des Präsidenten Faure nach Petersburg mit den Schwierigkeiten
zusammengehangen habe, die befriedigende Lösung der Allianzklausel zu finden.
Nachdem dieses Ziel erreicht ist, kann die Mitteilung des Wortlautes oder des
Inhalts des Vertrags an die Franzosen nur erwünscht sein, je eher je besser.
Daß die Dreibundmachte über seine Tragweite unterrichtet sind, ist schon
mehrfach offiziös mitgeteilt worden.

Wie sich die Franzosen endgiltig dazu stellen, davon wird viel abhängen,
doch muß man im allgemeinen anerkennen, mit welcher Ruhe sie sich in die
Unvermeidlichkeit der Lage schicken, obgleich verschiedne Blätter, anscheinend
für englisches Geld, der Regierung Schwierigkeiten zu bereiten suchen. Die
geschickte Hand, mit der der Minister des Auswärtige" Hanotaux die Sache
führt, macht sich vorteilhaft bemerklich; er weiß, daß er seinem Vaterlande
und damit auch Europa einen großen Dienst erweist, wenn er es uuter Be¬
nutzung der günstigen Sachlage aus den Bahnen einer gänzlich unfruchtbaren
Politik herausführt. Für Frankreich besteht eben bloß die Möglichkeit, ent¬
weder das Bündnis mit Nußland festzuhalten und sich damit dem Zusammen¬
schluß der vier andern Festlaudstaateu einzugliedern, oder sich an das stets
unzuverlässige England anzuschließen, wovor man schon einmal zurückgewichen
ist- Bisher hat sogar die in französischen und russischen Blättern ausgesprochue
Ansicht, daß sich das enge Verhältnis Rußlands zu Deutschland und den
übrigen Drcibuudmächteu in der Hauptsache gegen England richte, beruhigend
und aufmunternd gewirkt. Auch die Hinweise auf die Frankreich beleidigende
Stellung Englands in Ägypten haben sich als nützlich erwiesen. Die Haupt-
wirkung ist aber wohl immer von der eigentümlichen Art des Chauvinismus
zu hoffen, der seine Sicherheit vor Deutschland in einer Art russischer
Bürgschaft sieht. Sollten selbst noch weitere Besuche des Kaisers Nikolaus in
Paris nötig werden, um dieses Gefühl zu stärken, so braucht sich Deutschland
deshalb keinen Befürchtungen hinzugeben. Rußland muß jetzt Deutschland
und Osterreich als treue Freunde in seinem Rücken haben, und ein gänzlich
friedliches Enropa ist ihm noch lieber; an eine Gestaltung des Zweibundes im
Sinne Derouledes ist darum in keinem Falle zu denken. Allerdings ist es trotz


Grenzboten III 1897 75
Der Znscmunenschlns; der kontinentalen Mächte

Wie es seit einem Jahr immer lauter hervorgetreten ist, verständlich. Den
Friedeusversichernngen Deutschlands werden sie nie trauen, weil sie sich selbst
hinterhältiger Gedanken bewußt sind, aber die Bürgschaft Rußlands dafür
nehmen sie gern an. Die Ähnlichkeit mit dem Neutralitätsvertrag Alexanders III.
springt in die Auge», und in diesem Sinne ist die „Allianz" mit Nußland
aufzufassen. Es hat allerdings geraumer Zeit bedurft, bevor sich Frankreich
in diesem Gedankenkreis zurecht gefunden hat, und es bedürfte ebenfalls einiger
Zeit, die Formel für die Allianz zu finden, die dem Bedürfnis der Franzosen
unes Sicherheit entspricht, ohne Rußland die Hände zu binden. Man wird
nicht fehlgehen mit der Annahme, daß die mehrfach vorgekommne Verschiebung
der Reise des Präsidenten Faure nach Petersburg mit den Schwierigkeiten
zusammengehangen habe, die befriedigende Lösung der Allianzklausel zu finden.
Nachdem dieses Ziel erreicht ist, kann die Mitteilung des Wortlautes oder des
Inhalts des Vertrags an die Franzosen nur erwünscht sein, je eher je besser.
Daß die Dreibundmachte über seine Tragweite unterrichtet sind, ist schon
mehrfach offiziös mitgeteilt worden.

Wie sich die Franzosen endgiltig dazu stellen, davon wird viel abhängen,
doch muß man im allgemeinen anerkennen, mit welcher Ruhe sie sich in die
Unvermeidlichkeit der Lage schicken, obgleich verschiedne Blätter, anscheinend
für englisches Geld, der Regierung Schwierigkeiten zu bereiten suchen. Die
geschickte Hand, mit der der Minister des Auswärtige» Hanotaux die Sache
führt, macht sich vorteilhaft bemerklich; er weiß, daß er seinem Vaterlande
und damit auch Europa einen großen Dienst erweist, wenn er es uuter Be¬
nutzung der günstigen Sachlage aus den Bahnen einer gänzlich unfruchtbaren
Politik herausführt. Für Frankreich besteht eben bloß die Möglichkeit, ent¬
weder das Bündnis mit Nußland festzuhalten und sich damit dem Zusammen¬
schluß der vier andern Festlaudstaateu einzugliedern, oder sich an das stets
unzuverlässige England anzuschließen, wovor man schon einmal zurückgewichen
ist- Bisher hat sogar die in französischen und russischen Blättern ausgesprochue
Ansicht, daß sich das enge Verhältnis Rußlands zu Deutschland und den
übrigen Drcibuudmächteu in der Hauptsache gegen England richte, beruhigend
und aufmunternd gewirkt. Auch die Hinweise auf die Frankreich beleidigende
Stellung Englands in Ägypten haben sich als nützlich erwiesen. Die Haupt-
wirkung ist aber wohl immer von der eigentümlichen Art des Chauvinismus
zu hoffen, der seine Sicherheit vor Deutschland in einer Art russischer
Bürgschaft sieht. Sollten selbst noch weitere Besuche des Kaisers Nikolaus in
Paris nötig werden, um dieses Gefühl zu stärken, so braucht sich Deutschland
deshalb keinen Befürchtungen hinzugeben. Rußland muß jetzt Deutschland
und Osterreich als treue Freunde in seinem Rücken haben, und ein gänzlich
friedliches Enropa ist ihm noch lieber; an eine Gestaltung des Zweibundes im
Sinne Derouledes ist darum in keinem Falle zu denken. Allerdings ist es trotz


Grenzboten III 1897 75
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0601" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226187"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Znscmunenschlns; der kontinentalen Mächte</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1513" prev="#ID_1512"> Wie es seit einem Jahr immer lauter hervorgetreten ist, verständlich. Den<lb/>
Friedeusversichernngen Deutschlands werden sie nie trauen, weil sie sich selbst<lb/>
hinterhältiger Gedanken bewußt sind, aber die Bürgschaft Rußlands dafür<lb/>
nehmen sie gern an. Die Ähnlichkeit mit dem Neutralitätsvertrag Alexanders III.<lb/>
springt in die Auge», und in diesem Sinne ist die &#x201E;Allianz" mit Nußland<lb/>
aufzufassen. Es hat allerdings geraumer Zeit bedurft, bevor sich Frankreich<lb/>
in diesem Gedankenkreis zurecht gefunden hat, und es bedürfte ebenfalls einiger<lb/>
Zeit, die Formel für die Allianz zu finden, die dem Bedürfnis der Franzosen<lb/>
unes Sicherheit entspricht, ohne Rußland die Hände zu binden. Man wird<lb/>
nicht fehlgehen mit der Annahme, daß die mehrfach vorgekommne Verschiebung<lb/>
der Reise des Präsidenten Faure nach Petersburg mit den Schwierigkeiten<lb/>
zusammengehangen habe, die befriedigende Lösung der Allianzklausel zu finden.<lb/>
Nachdem dieses Ziel erreicht ist, kann die Mitteilung des Wortlautes oder des<lb/>
Inhalts des Vertrags an die Franzosen nur erwünscht sein, je eher je besser.<lb/>
Daß die Dreibundmachte über seine Tragweite unterrichtet sind, ist schon<lb/>
mehrfach offiziös mitgeteilt worden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1514" next="#ID_1515"> Wie sich die Franzosen endgiltig dazu stellen, davon wird viel abhängen,<lb/>
doch muß man im allgemeinen anerkennen, mit welcher Ruhe sie sich in die<lb/>
Unvermeidlichkeit der Lage schicken, obgleich verschiedne Blätter, anscheinend<lb/>
für englisches Geld, der Regierung Schwierigkeiten zu bereiten suchen. Die<lb/>
geschickte Hand, mit der der Minister des Auswärtige» Hanotaux die Sache<lb/>
führt, macht sich vorteilhaft bemerklich; er weiß, daß er seinem Vaterlande<lb/>
und damit auch Europa einen großen Dienst erweist, wenn er es uuter Be¬<lb/>
nutzung der günstigen Sachlage aus den Bahnen einer gänzlich unfruchtbaren<lb/>
Politik herausführt. Für Frankreich besteht eben bloß die Möglichkeit, ent¬<lb/>
weder das Bündnis mit Nußland festzuhalten und sich damit dem Zusammen¬<lb/>
schluß der vier andern Festlaudstaateu einzugliedern, oder sich an das stets<lb/>
unzuverlässige England anzuschließen, wovor man schon einmal zurückgewichen<lb/>
ist- Bisher hat sogar die in französischen und russischen Blättern ausgesprochue<lb/>
Ansicht, daß sich das enge Verhältnis Rußlands zu Deutschland und den<lb/>
übrigen Drcibuudmächteu in der Hauptsache gegen England richte, beruhigend<lb/>
und aufmunternd gewirkt. Auch die Hinweise auf die Frankreich beleidigende<lb/>
Stellung Englands in Ägypten haben sich als nützlich erwiesen. Die Haupt-<lb/>
wirkung ist aber wohl immer von der eigentümlichen Art des Chauvinismus<lb/>
zu hoffen, der seine Sicherheit vor Deutschland in einer Art russischer<lb/>
Bürgschaft sieht. Sollten selbst noch weitere Besuche des Kaisers Nikolaus in<lb/>
Paris nötig werden, um dieses Gefühl zu stärken, so braucht sich Deutschland<lb/>
deshalb keinen Befürchtungen hinzugeben. Rußland muß jetzt Deutschland<lb/>
und Osterreich als treue Freunde in seinem Rücken haben, und ein gänzlich<lb/>
friedliches Enropa ist ihm noch lieber; an eine Gestaltung des Zweibundes im<lb/>
Sinne Derouledes ist darum in keinem Falle zu denken. Allerdings ist es trotz</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1897 75</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0601] Der Znscmunenschlns; der kontinentalen Mächte Wie es seit einem Jahr immer lauter hervorgetreten ist, verständlich. Den Friedeusversichernngen Deutschlands werden sie nie trauen, weil sie sich selbst hinterhältiger Gedanken bewußt sind, aber die Bürgschaft Rußlands dafür nehmen sie gern an. Die Ähnlichkeit mit dem Neutralitätsvertrag Alexanders III. springt in die Auge», und in diesem Sinne ist die „Allianz" mit Nußland aufzufassen. Es hat allerdings geraumer Zeit bedurft, bevor sich Frankreich in diesem Gedankenkreis zurecht gefunden hat, und es bedürfte ebenfalls einiger Zeit, die Formel für die Allianz zu finden, die dem Bedürfnis der Franzosen unes Sicherheit entspricht, ohne Rußland die Hände zu binden. Man wird nicht fehlgehen mit der Annahme, daß die mehrfach vorgekommne Verschiebung der Reise des Präsidenten Faure nach Petersburg mit den Schwierigkeiten zusammengehangen habe, die befriedigende Lösung der Allianzklausel zu finden. Nachdem dieses Ziel erreicht ist, kann die Mitteilung des Wortlautes oder des Inhalts des Vertrags an die Franzosen nur erwünscht sein, je eher je besser. Daß die Dreibundmachte über seine Tragweite unterrichtet sind, ist schon mehrfach offiziös mitgeteilt worden. Wie sich die Franzosen endgiltig dazu stellen, davon wird viel abhängen, doch muß man im allgemeinen anerkennen, mit welcher Ruhe sie sich in die Unvermeidlichkeit der Lage schicken, obgleich verschiedne Blätter, anscheinend für englisches Geld, der Regierung Schwierigkeiten zu bereiten suchen. Die geschickte Hand, mit der der Minister des Auswärtige» Hanotaux die Sache führt, macht sich vorteilhaft bemerklich; er weiß, daß er seinem Vaterlande und damit auch Europa einen großen Dienst erweist, wenn er es uuter Be¬ nutzung der günstigen Sachlage aus den Bahnen einer gänzlich unfruchtbaren Politik herausführt. Für Frankreich besteht eben bloß die Möglichkeit, ent¬ weder das Bündnis mit Nußland festzuhalten und sich damit dem Zusammen¬ schluß der vier andern Festlaudstaateu einzugliedern, oder sich an das stets unzuverlässige England anzuschließen, wovor man schon einmal zurückgewichen ist- Bisher hat sogar die in französischen und russischen Blättern ausgesprochue Ansicht, daß sich das enge Verhältnis Rußlands zu Deutschland und den übrigen Drcibuudmächteu in der Hauptsache gegen England richte, beruhigend und aufmunternd gewirkt. Auch die Hinweise auf die Frankreich beleidigende Stellung Englands in Ägypten haben sich als nützlich erwiesen. Die Haupt- wirkung ist aber wohl immer von der eigentümlichen Art des Chauvinismus zu hoffen, der seine Sicherheit vor Deutschland in einer Art russischer Bürgschaft sieht. Sollten selbst noch weitere Besuche des Kaisers Nikolaus in Paris nötig werden, um dieses Gefühl zu stärken, so braucht sich Deutschland deshalb keinen Befürchtungen hinzugeben. Rußland muß jetzt Deutschland und Osterreich als treue Freunde in seinem Rücken haben, und ein gänzlich friedliches Enropa ist ihm noch lieber; an eine Gestaltung des Zweibundes im Sinne Derouledes ist darum in keinem Falle zu denken. Allerdings ist es trotz Grenzboten III 1897 75

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/601
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/601>, abgerufen am 24.07.2024.