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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Der Zusammenschluß der kontinentalen Mächte

allgemein empfunden und in der Presse, auch der französischen, hervorgehoben.
Wie schon oben ausgesprochen ist, bedeutete oder enthüllte er nichts neues,
war aber wohl begreiflich aus dem Munde zweier Monarchen nach einem Jahr
gedeihlichen Zusammenwirkens zu großen Zwecken, die sie schon der Öffent¬
lichkeit kundgegeben hatten. Der noch in demselben Monate stattfindende
Besuch des französischen Präsidenten an der Newa vollzog sich unter Umständen,
die die deutliche Absicht erkennen ließen, ihn möglichst genau in gleichem
Verhältnis mit dem deutschen Kaiserbesuch zu halten. Die Welt, und nament¬
lich Frankreich, sollten daraus entnehmen, daß dem russischen Reich Deutsch¬
land und Frankreich gleich werte Verbündete sind, und daß von einer Auslegung
des Zweibundes nach der chauvinistischen Richtung hin keine Rede sein kann.
Die Trinksprüche betonten ausdrücklich und nichts als den Frieden, nur beim
Abschiedstoast fiel das Wort eckliöös, also Rußland und Frankreich sind ver¬
bündet zum Friedenszweck. Das ist die gegenwärtige politische Lage, und
Frankreich ist damit zufrieden.

Das Ergebnis der gesamten, kurz geschilderten politischen Entwicklung
liegt klar vor Augen. Von einem feindseligen Gegenüberstehen des Drei- und
des Zweibundes ist keine Rede mehr, Nußland hält sein Verhältnis zu Frank¬
reich fest, und der Dreibund hat im Interesse des europäischen Friedens-
bedürfnisses nur den Wunsch, daß es Nußland gelinge, durch sein Bündnis
mit Frankreich einen fünften mächtigen Bürgen sür die Ruhe in Europa zu
sicher". Viel wird dabei von der innern politischen Entwicklung Frankreichs
abhängen. Gelegentlich bricht dort noch immer das "moralische Unbehagen"
durch, unter dem die Franzosen infolge der politischen Sachlage leiden, und
man empört sich gegen die Vernunft, die ihnen empfiehlt, sich zu mäßigen und
damit zufrieden zu sein, daß sie in gleichem Rang mit den andern Mächten
stehen. Die Erinnerung daran, daß ihr Land jahrhundertelang zeitweilig dein
gesamten Weltteil seinen Willen als Gesetz auferlegt hat. laßt sich so leicht
nicht verwischen, und eine von der schwankenden Volksmeinung abhängige Re¬
gierung ist nicht immer in der Lage, eine weitsichtige Politik einzuhalten. Wie
die Dinge aber gegenwartig liegen, läßt sich nur Günstiges hoffen.

Die Franzosen begreifen die Überlegenheit der deutschen Heereseinrichtungen
über die ihrige jetzt mehr als je, und ist ihnen auch die Möglichkeit genommen,
sich russischer Bajonette zur Wiedergewinnung ihrer einstigen Weltstellung zu
bedienen, so fällt doch jede Gefahr für sie weg, daß der militärmächtige Drei¬
bund einmal auf den Gedanken kommen könnte, seine Kräfte gegen sie zu ver¬
suchen. Diese Sicherheit gewährt ihnen, außer dem festen Willen, sich im
Notfalle aufs erbittertste zu verteidigen, nur das Bündnis mit Rußland.
Die Mehrzahl der Franzosen ist unzweifelhaft friedlich gesinnt, und nehmen
wir hinzu, was oben über die eine Seite des französischen Chauvinismus be¬
merkt wurde, so wird das Drängen nach einer offnen "Allianz" mit Rußland,


Der Zusammenschluß der kontinentalen Mächte

allgemein empfunden und in der Presse, auch der französischen, hervorgehoben.
Wie schon oben ausgesprochen ist, bedeutete oder enthüllte er nichts neues,
war aber wohl begreiflich aus dem Munde zweier Monarchen nach einem Jahr
gedeihlichen Zusammenwirkens zu großen Zwecken, die sie schon der Öffent¬
lichkeit kundgegeben hatten. Der noch in demselben Monate stattfindende
Besuch des französischen Präsidenten an der Newa vollzog sich unter Umständen,
die die deutliche Absicht erkennen ließen, ihn möglichst genau in gleichem
Verhältnis mit dem deutschen Kaiserbesuch zu halten. Die Welt, und nament¬
lich Frankreich, sollten daraus entnehmen, daß dem russischen Reich Deutsch¬
land und Frankreich gleich werte Verbündete sind, und daß von einer Auslegung
des Zweibundes nach der chauvinistischen Richtung hin keine Rede sein kann.
Die Trinksprüche betonten ausdrücklich und nichts als den Frieden, nur beim
Abschiedstoast fiel das Wort eckliöös, also Rußland und Frankreich sind ver¬
bündet zum Friedenszweck. Das ist die gegenwärtige politische Lage, und
Frankreich ist damit zufrieden.

Das Ergebnis der gesamten, kurz geschilderten politischen Entwicklung
liegt klar vor Augen. Von einem feindseligen Gegenüberstehen des Drei- und
des Zweibundes ist keine Rede mehr, Nußland hält sein Verhältnis zu Frank¬
reich fest, und der Dreibund hat im Interesse des europäischen Friedens-
bedürfnisses nur den Wunsch, daß es Nußland gelinge, durch sein Bündnis
mit Frankreich einen fünften mächtigen Bürgen sür die Ruhe in Europa zu
sicher». Viel wird dabei von der innern politischen Entwicklung Frankreichs
abhängen. Gelegentlich bricht dort noch immer das „moralische Unbehagen"
durch, unter dem die Franzosen infolge der politischen Sachlage leiden, und
man empört sich gegen die Vernunft, die ihnen empfiehlt, sich zu mäßigen und
damit zufrieden zu sein, daß sie in gleichem Rang mit den andern Mächten
stehen. Die Erinnerung daran, daß ihr Land jahrhundertelang zeitweilig dein
gesamten Weltteil seinen Willen als Gesetz auferlegt hat. laßt sich so leicht
nicht verwischen, und eine von der schwankenden Volksmeinung abhängige Re¬
gierung ist nicht immer in der Lage, eine weitsichtige Politik einzuhalten. Wie
die Dinge aber gegenwartig liegen, läßt sich nur Günstiges hoffen.

Die Franzosen begreifen die Überlegenheit der deutschen Heereseinrichtungen
über die ihrige jetzt mehr als je, und ist ihnen auch die Möglichkeit genommen,
sich russischer Bajonette zur Wiedergewinnung ihrer einstigen Weltstellung zu
bedienen, so fällt doch jede Gefahr für sie weg, daß der militärmächtige Drei¬
bund einmal auf den Gedanken kommen könnte, seine Kräfte gegen sie zu ver¬
suchen. Diese Sicherheit gewährt ihnen, außer dem festen Willen, sich im
Notfalle aufs erbittertste zu verteidigen, nur das Bündnis mit Rußland.
Die Mehrzahl der Franzosen ist unzweifelhaft friedlich gesinnt, und nehmen
wir hinzu, was oben über die eine Seite des französischen Chauvinismus be¬
merkt wurde, so wird das Drängen nach einer offnen „Allianz" mit Rußland,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/600>, abgerufen am 24.07.2024.