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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Der Zusammenschluß der kontinentalen Mächte

genötigt gesehen hat, die Thätigkeit unsrer Diplomatie anzuerkennen. Daß
die Diplomatie von sechs Großstaaten etwas langsamer arbeitet, als einem
Leitartikelschreiber nötig erscheint, weil sie die oft sehr weittragenden Folgen
eines Schrittes sorgfältig erwägen muß, und daß ihr das viel überlegnen
Spott eingetragen hat, ist eine Thatsache, an die man sich für die Zukunft
Wohl wird gewöhnen müssen.

Während sich diese Ereignisse abwickelten, fanden wieder verschiedne Be¬
suche von Landesregenten statt. Im April machte Kaiser Franz Joseph seinen
Gegenbesuch in Petersburg, nachdem kurz vorher unser Kaiser in Wien geweilt
hatte. Die dabei gehaltnen Toaste und die Auslassungen der offiziellen
Blätter begnügten sich, die aufrichtige Freundschaft, die Gemeinsamkeit der An¬
sichten und Grundsätze für die Sicherung der Wohlthaten des Friedens für
beide Reiche auszusprechen, eine besondre Erwähnung des weiter ausgreifenden
Friedensbündnisses fand nicht statt. Wohl aber war die Neue Freie Presse
drei Wochen nachher in der Lage, durch einen "außergewöhnlichen" Korre¬
spondenten eine Mitteilung zu veröffentlichen, deren offiziöser Ursprung un¬
verkennbar war, und die allen, denen der Görlitzer Ausspruch unsers Kaisers
nicht entgangen war, wertvolle neue Bestätigungen und Aufschlüsse brachte.
Diese Mitteilung enthielt unter anderm die inhaltreiche Stelle: "Österreich und
Nußland vereinigten sich, ohne das Mißtrauen Deutschlands zu wecken. Im
Gegenteil, der Erfolg war teilweise durch die Initiative und die nachdrückliche
Förderung des deutschen Kaisers herbeigeführt, er wurde -- und auch das ist
sehr bedeutsam -- erreicht, ohne daß hierdurch das Verhältnis erschüttert
wurde, in dem Nußland und Frankreich seit Jahren zu ihrem Vorteil zu ein¬
ander stehen." Man kann in der diplomatischen Sprache nicht gut deutlicher
sein. Aber obwohl die deutsche Presse die offiziöse Natur dieser Mitteilung
durchaus erkannte, beachtete sie gerade diese Stelle wenig und beschäftigte sich
mehr mit deu Teilen, die Andeutungen über unmittelbare Verständigungen
Zwischen Rußland und Österreich in Balkanangelegenheiten betrafen. Die
Stelle, die unsern Kaiser erwähnte, blieb gänzlich unberücksichtigt. Freilich
würde eine gerechte Würdigung fast sämtliche deutsche Zeitungen genötigt haben,
alles zurückzunehmen, was sie seit Jahren über die auswärtige deutsche Politik
gesagt hatten. Zu bemerken ist noch, daß fast gleichzeitig mit dem Kaiser
Franz Joseph in Petersburg der deutsche Reichskanzler, Fürst Hohenlohe, in
Paris war. Es hieß zwar, um einen Zahnarzt zu Rate zu ziehen, doch be¬
suchte er bei dieser Gelegenheit auch den Minister des Auswärtigen Hanotaux,
und es läßt sich annehmen, daß beide Staatsmänner sich nicht nur über Zahn¬
weh unterhalten haben.

Im August folgte darauf der Gegenbesuch des Kaisers Wilhelm in Peters¬
burg, über den nur kurz berichtet zu werden braucht, da das Ereignis noch
ni guter Erinnerung ist. Der wärmere Ton der offiziellen Trinksprüche wurde


Der Zusammenschluß der kontinentalen Mächte

genötigt gesehen hat, die Thätigkeit unsrer Diplomatie anzuerkennen. Daß
die Diplomatie von sechs Großstaaten etwas langsamer arbeitet, als einem
Leitartikelschreiber nötig erscheint, weil sie die oft sehr weittragenden Folgen
eines Schrittes sorgfältig erwägen muß, und daß ihr das viel überlegnen
Spott eingetragen hat, ist eine Thatsache, an die man sich für die Zukunft
Wohl wird gewöhnen müssen.

Während sich diese Ereignisse abwickelten, fanden wieder verschiedne Be¬
suche von Landesregenten statt. Im April machte Kaiser Franz Joseph seinen
Gegenbesuch in Petersburg, nachdem kurz vorher unser Kaiser in Wien geweilt
hatte. Die dabei gehaltnen Toaste und die Auslassungen der offiziellen
Blätter begnügten sich, die aufrichtige Freundschaft, die Gemeinsamkeit der An¬
sichten und Grundsätze für die Sicherung der Wohlthaten des Friedens für
beide Reiche auszusprechen, eine besondre Erwähnung des weiter ausgreifenden
Friedensbündnisses fand nicht statt. Wohl aber war die Neue Freie Presse
drei Wochen nachher in der Lage, durch einen „außergewöhnlichen" Korre¬
spondenten eine Mitteilung zu veröffentlichen, deren offiziöser Ursprung un¬
verkennbar war, und die allen, denen der Görlitzer Ausspruch unsers Kaisers
nicht entgangen war, wertvolle neue Bestätigungen und Aufschlüsse brachte.
Diese Mitteilung enthielt unter anderm die inhaltreiche Stelle: „Österreich und
Nußland vereinigten sich, ohne das Mißtrauen Deutschlands zu wecken. Im
Gegenteil, der Erfolg war teilweise durch die Initiative und die nachdrückliche
Förderung des deutschen Kaisers herbeigeführt, er wurde — und auch das ist
sehr bedeutsam — erreicht, ohne daß hierdurch das Verhältnis erschüttert
wurde, in dem Nußland und Frankreich seit Jahren zu ihrem Vorteil zu ein¬
ander stehen." Man kann in der diplomatischen Sprache nicht gut deutlicher
sein. Aber obwohl die deutsche Presse die offiziöse Natur dieser Mitteilung
durchaus erkannte, beachtete sie gerade diese Stelle wenig und beschäftigte sich
mehr mit deu Teilen, die Andeutungen über unmittelbare Verständigungen
Zwischen Rußland und Österreich in Balkanangelegenheiten betrafen. Die
Stelle, die unsern Kaiser erwähnte, blieb gänzlich unberücksichtigt. Freilich
würde eine gerechte Würdigung fast sämtliche deutsche Zeitungen genötigt haben,
alles zurückzunehmen, was sie seit Jahren über die auswärtige deutsche Politik
gesagt hatten. Zu bemerken ist noch, daß fast gleichzeitig mit dem Kaiser
Franz Joseph in Petersburg der deutsche Reichskanzler, Fürst Hohenlohe, in
Paris war. Es hieß zwar, um einen Zahnarzt zu Rate zu ziehen, doch be¬
suchte er bei dieser Gelegenheit auch den Minister des Auswärtigen Hanotaux,
und es läßt sich annehmen, daß beide Staatsmänner sich nicht nur über Zahn¬
weh unterhalten haben.

Im August folgte darauf der Gegenbesuch des Kaisers Wilhelm in Peters¬
burg, über den nur kurz berichtet zu werden braucht, da das Ereignis noch
ni guter Erinnerung ist. Der wärmere Ton der offiziellen Trinksprüche wurde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/599>, abgerufen am 24.07.2024.