Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Zusammenschluß der kontinentalen Mächte

gegen die englische Flotte der russischen Politik gerade recht. Rußland gehört
schon zum europäischen Friedensbündnis, und es handelt sich gegenwärtig nur
noch darum, zunächst Frankreich durch den Zweibund fest dafür zu gewinnen
und dabei zu erhalten. Der Weg zum Zusammenschluß der "gesamten Völker
des europäischen Weltteils" führt über den Zweibnnd, der schwierigste Teil
scheint schon zurückgelegt zu sein, und aller Wahrscheinlichkeit nach bedeutet
die in Petersburg ausgesprochne, wenn auch mit dem tiefsten Geheimnis be¬
handelte "Allianz" zwischen Nußland und Frankreich schon das erreichte Ziel.

Eine kurzer Überblick über die Ereignisse von diesem Gesichtspunkt aus er¬
scheint zunächst geboten. Auf die unbeachtet gebliebne Kundgebung unsers Kaisers
in Görlitz über die neugeschaffne politische Gruppirung folgte der begeisterte
Empfang des Kaisers Nikolaus in Frankreich. Die dadurch hervvrgerufne
kleinlaute Stimmung in den deutschen Blättern ist schon erwähnt worden.
Da kam die Indiskretion der Hamburger Nachrichten, die eine ungeheure Ver¬
wirrung anstiftete, aber jedenfalls den einen Zweck, den man auch vermutet hat,
die öffentliche Meinung in Deutschland zu beruhigen, nicht erfüllte. Im Gegen¬
teil, die politische Zerknirschung nahm überhand, man braucht uur die letzten Neu¬
jahrsbetrachtungen der deutschen Zeitungen durchzusehen, um sich zu vergewissern,
wie tief damals unsre Tagespolitiker von der höchst mangelhaften Leitung
unsrer auswärtigen Politik, von dem Überwiegen des Zweibunds über den
Dreibund und von der voraussichtlichen Auflösung des Dreibundes überzeugt
waren.

Eine höchst unerwünschte Wirkung hatte aber die Hamburger Enthüllung:
sie machte die Franzosen kopfscheu. Sie hatten sich Wohl schon längst, und
in der Mehrzahl auch gern, darüber getröstet, daß ihnen Rußland nicht seine
Bataillone leihen würde, um Elsaß-Lothringen zurückzuerobern. Ihr eigent¬
licher Wunsch war das auch nicht, trotz der großen Worte und leeren Demon¬
strationen einzelner Schreier, sie wollten Sicherheit haben vor einem neuen
"Einfall der preußischen Barbaren" in ihr schönes Frankreich, und diese Sicher¬
heit sollte ihnen das Bündnis mit Rußland bringen. Darum begeisterte sich
die französische Republik für Rußland und den Zaren. Wer gab ihnen nun
die Sicherheit, daß nicht, obgleich Kaiser Nikolaus den Präsidenten Faure
geküßt hatte, doch wieder ein geheimer Vertrag bestand wie damals, als die
russischem Großfürsten als gefeierte Gäste in der französischen Hauptstadt
weilten? Bei den intimen Beziehungen zwischen Petersburg und Berlin, die
in Frankreich klarer erkannt wurden als in Deutschland, war das nicht einmal
verwunderlich. Die Folge davou war, daß sich Frankreich merklich England
näherte und das europäische Konzert der Auflösung nahe schien. In den ersten
Monaten des neuen Jahres kam in der Presse selbst eine unverhohlne Mi߬
stimmung zwischen den russischen und den französischen amtlichen Kreisen zum
Ausdruck.


Der Zusammenschluß der kontinentalen Mächte

gegen die englische Flotte der russischen Politik gerade recht. Rußland gehört
schon zum europäischen Friedensbündnis, und es handelt sich gegenwärtig nur
noch darum, zunächst Frankreich durch den Zweibund fest dafür zu gewinnen
und dabei zu erhalten. Der Weg zum Zusammenschluß der „gesamten Völker
des europäischen Weltteils" führt über den Zweibnnd, der schwierigste Teil
scheint schon zurückgelegt zu sein, und aller Wahrscheinlichkeit nach bedeutet
die in Petersburg ausgesprochne, wenn auch mit dem tiefsten Geheimnis be¬
handelte „Allianz" zwischen Nußland und Frankreich schon das erreichte Ziel.

Eine kurzer Überblick über die Ereignisse von diesem Gesichtspunkt aus er¬
scheint zunächst geboten. Auf die unbeachtet gebliebne Kundgebung unsers Kaisers
in Görlitz über die neugeschaffne politische Gruppirung folgte der begeisterte
Empfang des Kaisers Nikolaus in Frankreich. Die dadurch hervvrgerufne
kleinlaute Stimmung in den deutschen Blättern ist schon erwähnt worden.
Da kam die Indiskretion der Hamburger Nachrichten, die eine ungeheure Ver¬
wirrung anstiftete, aber jedenfalls den einen Zweck, den man auch vermutet hat,
die öffentliche Meinung in Deutschland zu beruhigen, nicht erfüllte. Im Gegen¬
teil, die politische Zerknirschung nahm überhand, man braucht uur die letzten Neu¬
jahrsbetrachtungen der deutschen Zeitungen durchzusehen, um sich zu vergewissern,
wie tief damals unsre Tagespolitiker von der höchst mangelhaften Leitung
unsrer auswärtigen Politik, von dem Überwiegen des Zweibunds über den
Dreibund und von der voraussichtlichen Auflösung des Dreibundes überzeugt
waren.

Eine höchst unerwünschte Wirkung hatte aber die Hamburger Enthüllung:
sie machte die Franzosen kopfscheu. Sie hatten sich Wohl schon längst, und
in der Mehrzahl auch gern, darüber getröstet, daß ihnen Rußland nicht seine
Bataillone leihen würde, um Elsaß-Lothringen zurückzuerobern. Ihr eigent¬
licher Wunsch war das auch nicht, trotz der großen Worte und leeren Demon¬
strationen einzelner Schreier, sie wollten Sicherheit haben vor einem neuen
„Einfall der preußischen Barbaren" in ihr schönes Frankreich, und diese Sicher¬
heit sollte ihnen das Bündnis mit Rußland bringen. Darum begeisterte sich
die französische Republik für Rußland und den Zaren. Wer gab ihnen nun
die Sicherheit, daß nicht, obgleich Kaiser Nikolaus den Präsidenten Faure
geküßt hatte, doch wieder ein geheimer Vertrag bestand wie damals, als die
russischem Großfürsten als gefeierte Gäste in der französischen Hauptstadt
weilten? Bei den intimen Beziehungen zwischen Petersburg und Berlin, die
in Frankreich klarer erkannt wurden als in Deutschland, war das nicht einmal
verwunderlich. Die Folge davou war, daß sich Frankreich merklich England
näherte und das europäische Konzert der Auflösung nahe schien. In den ersten
Monaten des neuen Jahres kam in der Presse selbst eine unverhohlne Mi߬
stimmung zwischen den russischen und den französischen amtlichen Kreisen zum
Ausdruck.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0596" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226182"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Zusammenschluß der kontinentalen Mächte</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1500" prev="#ID_1499"> gegen die englische Flotte der russischen Politik gerade recht. Rußland gehört<lb/>
schon zum europäischen Friedensbündnis, und es handelt sich gegenwärtig nur<lb/>
noch darum, zunächst Frankreich durch den Zweibund fest dafür zu gewinnen<lb/>
und dabei zu erhalten. Der Weg zum Zusammenschluß der &#x201E;gesamten Völker<lb/>
des europäischen Weltteils" führt über den Zweibnnd, der schwierigste Teil<lb/>
scheint schon zurückgelegt zu sein, und aller Wahrscheinlichkeit nach bedeutet<lb/>
die in Petersburg ausgesprochne, wenn auch mit dem tiefsten Geheimnis be¬<lb/>
handelte &#x201E;Allianz" zwischen Nußland und Frankreich schon das erreichte Ziel.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1501"> Eine kurzer Überblick über die Ereignisse von diesem Gesichtspunkt aus er¬<lb/>
scheint zunächst geboten. Auf die unbeachtet gebliebne Kundgebung unsers Kaisers<lb/>
in Görlitz über die neugeschaffne politische Gruppirung folgte der begeisterte<lb/>
Empfang des Kaisers Nikolaus in Frankreich. Die dadurch hervvrgerufne<lb/>
kleinlaute Stimmung in den deutschen Blättern ist schon erwähnt worden.<lb/>
Da kam die Indiskretion der Hamburger Nachrichten, die eine ungeheure Ver¬<lb/>
wirrung anstiftete, aber jedenfalls den einen Zweck, den man auch vermutet hat,<lb/>
die öffentliche Meinung in Deutschland zu beruhigen, nicht erfüllte. Im Gegen¬<lb/>
teil, die politische Zerknirschung nahm überhand, man braucht uur die letzten Neu¬<lb/>
jahrsbetrachtungen der deutschen Zeitungen durchzusehen, um sich zu vergewissern,<lb/>
wie tief damals unsre Tagespolitiker von der höchst mangelhaften Leitung<lb/>
unsrer auswärtigen Politik, von dem Überwiegen des Zweibunds über den<lb/>
Dreibund und von der voraussichtlichen Auflösung des Dreibundes überzeugt<lb/>
waren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1502"> Eine höchst unerwünschte Wirkung hatte aber die Hamburger Enthüllung:<lb/>
sie machte die Franzosen kopfscheu. Sie hatten sich Wohl schon längst, und<lb/>
in der Mehrzahl auch gern, darüber getröstet, daß ihnen Rußland nicht seine<lb/>
Bataillone leihen würde, um Elsaß-Lothringen zurückzuerobern. Ihr eigent¬<lb/>
licher Wunsch war das auch nicht, trotz der großen Worte und leeren Demon¬<lb/>
strationen einzelner Schreier, sie wollten Sicherheit haben vor einem neuen<lb/>
&#x201E;Einfall der preußischen Barbaren" in ihr schönes Frankreich, und diese Sicher¬<lb/>
heit sollte ihnen das Bündnis mit Rußland bringen. Darum begeisterte sich<lb/>
die französische Republik für Rußland und den Zaren. Wer gab ihnen nun<lb/>
die Sicherheit, daß nicht, obgleich Kaiser Nikolaus den Präsidenten Faure<lb/>
geküßt hatte, doch wieder ein geheimer Vertrag bestand wie damals, als die<lb/>
russischem Großfürsten als gefeierte Gäste in der französischen Hauptstadt<lb/>
weilten? Bei den intimen Beziehungen zwischen Petersburg und Berlin, die<lb/>
in Frankreich klarer erkannt wurden als in Deutschland, war das nicht einmal<lb/>
verwunderlich. Die Folge davou war, daß sich Frankreich merklich England<lb/>
näherte und das europäische Konzert der Auflösung nahe schien. In den ersten<lb/>
Monaten des neuen Jahres kam in der Presse selbst eine unverhohlne Mi߬<lb/>
stimmung zwischen den russischen und den französischen amtlichen Kreisen zum<lb/>
Ausdruck.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0596] Der Zusammenschluß der kontinentalen Mächte gegen die englische Flotte der russischen Politik gerade recht. Rußland gehört schon zum europäischen Friedensbündnis, und es handelt sich gegenwärtig nur noch darum, zunächst Frankreich durch den Zweibund fest dafür zu gewinnen und dabei zu erhalten. Der Weg zum Zusammenschluß der „gesamten Völker des europäischen Weltteils" führt über den Zweibnnd, der schwierigste Teil scheint schon zurückgelegt zu sein, und aller Wahrscheinlichkeit nach bedeutet die in Petersburg ausgesprochne, wenn auch mit dem tiefsten Geheimnis be¬ handelte „Allianz" zwischen Nußland und Frankreich schon das erreichte Ziel. Eine kurzer Überblick über die Ereignisse von diesem Gesichtspunkt aus er¬ scheint zunächst geboten. Auf die unbeachtet gebliebne Kundgebung unsers Kaisers in Görlitz über die neugeschaffne politische Gruppirung folgte der begeisterte Empfang des Kaisers Nikolaus in Frankreich. Die dadurch hervvrgerufne kleinlaute Stimmung in den deutschen Blättern ist schon erwähnt worden. Da kam die Indiskretion der Hamburger Nachrichten, die eine ungeheure Ver¬ wirrung anstiftete, aber jedenfalls den einen Zweck, den man auch vermutet hat, die öffentliche Meinung in Deutschland zu beruhigen, nicht erfüllte. Im Gegen¬ teil, die politische Zerknirschung nahm überhand, man braucht uur die letzten Neu¬ jahrsbetrachtungen der deutschen Zeitungen durchzusehen, um sich zu vergewissern, wie tief damals unsre Tagespolitiker von der höchst mangelhaften Leitung unsrer auswärtigen Politik, von dem Überwiegen des Zweibunds über den Dreibund und von der voraussichtlichen Auflösung des Dreibundes überzeugt waren. Eine höchst unerwünschte Wirkung hatte aber die Hamburger Enthüllung: sie machte die Franzosen kopfscheu. Sie hatten sich Wohl schon längst, und in der Mehrzahl auch gern, darüber getröstet, daß ihnen Rußland nicht seine Bataillone leihen würde, um Elsaß-Lothringen zurückzuerobern. Ihr eigent¬ licher Wunsch war das auch nicht, trotz der großen Worte und leeren Demon¬ strationen einzelner Schreier, sie wollten Sicherheit haben vor einem neuen „Einfall der preußischen Barbaren" in ihr schönes Frankreich, und diese Sicher¬ heit sollte ihnen das Bündnis mit Rußland bringen. Darum begeisterte sich die französische Republik für Rußland und den Zaren. Wer gab ihnen nun die Sicherheit, daß nicht, obgleich Kaiser Nikolaus den Präsidenten Faure geküßt hatte, doch wieder ein geheimer Vertrag bestand wie damals, als die russischem Großfürsten als gefeierte Gäste in der französischen Hauptstadt weilten? Bei den intimen Beziehungen zwischen Petersburg und Berlin, die in Frankreich klarer erkannt wurden als in Deutschland, war das nicht einmal verwunderlich. Die Folge davou war, daß sich Frankreich merklich England näherte und das europäische Konzert der Auflösung nahe schien. In den ersten Monaten des neuen Jahres kam in der Presse selbst eine unverhohlne Mi߬ stimmung zwischen den russischen und den französischen amtlichen Kreisen zum Ausdruck.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/596
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/596>, abgerufen am 24.07.2024.