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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Der Ausammenschluß der koutiuentcilen lNächte

überwog und in Boulanger ein Mann vorhanden war, der wenigstens zeit¬
weilig entschlossen schien, diese Überlegenheit auszunützen, um an die Spitze
Frankreichs zu gelangen. Daß diese Beurteilung des französischen Nevanche-
kultus richtig ist, wird durch die Thatsache bewiesen, daß uach der Entstehung
des sogenannten Zweibundes, des mehr oder weniger "geschriebnen" Bünd¬
nisses mit Nußland, das Revanchetreiben seine ehemalige Wirkung eingebüßt
hat. Man hört zwar noch die frühern Redensarten, aber sie verhallen. Es
kam den Franzosen offenbar mehr auf die Sicherung vor einem neuen "deutschen
Überfall," als auf die Wiedererwerbung der Reichslande an. Jene hoffen sie
durch das Bündnis mit Rußland erreicht zu haben, sie werden ruhig und
glauben nun auch an Deutschlands ernste Friedenspolitik. Erst in zweiter
Linie steht die durch die Niederlage von 1870/71 schwer gekränkte nationale
Eitelkeit.

Der Eindruck der deutschen Siege rief in Nußland ähnliche, wenn auch
selbstverständlich nicht dieselben Wirkungen wie in Frankreich hervor: man
empfand den deutscheu Machtaufschwung mit Unbehagen. Bei der engen Freund¬
schaft der beiden Kaiser erschien zwar jede kriegerische Gefahr zunächst aus¬
geschlossen, aber die panslawistische Bewegung zog aus der neuen Stimmung
Nahrung und äußerte sich namentlich in der Schürung des Deutschenhasses,
vielfach auch in militärischen Kreisen. Das offizielle Nußland beteiligte sich
nicht dabei, nur die Eitelkeit des alternden Fürsten Gortschakoff vermochte
nicht zu ertragen, daß Bismarck in die Stelle des ersten europäischen
Staatsmannes vorgerückt war. Das führte zu der bekannten Friedenskomödie
des Jahres 1875, in der sich Nußland zum erstenmale als Beschützer Frank¬
reichs einführte, und zu dem Feldzuge gegen die Türkei im Jahre 1877, der
durch Befriedigung alter russischer Traditionen und einen großen militärischen
Erfolg das Zarenreich wieder zur ersten europäischen Macht erheben sollte.
Aber der militärische und damit anch der diplomatische große Erfolg blieb aus,
die deutsche Macht blieb in ihrem Ansehen unerschüttert als erste bestehen.
Von diesem Zeitpunkt an schlug die russische Politik gegenüber Deutschland
um und nahm ganz den Charakter der französischen an. Das Drcikaiser-
bündnis zerfiel, auch Alexander II. ließ sich in das Mißtrauen gegen Deutsch¬
land hineinziehen und rief dadurch 1879 den Abschluß des deutsch-österreichischen
Bündnisses hervor. Die neuorgcmisirte russische Armee erhielt die Mehrzahl
ihrer Garnisonen an der westlichen Grenze. Die öffentliche Meinung in
Deutschland faßte das als eine Bedrohung auf, und die Stimmen blieben
vereinzelt, die darin nur ein Seitenstück zu den Grenzbefestigungen Frankreichs
erkannten.

Mit dem Regierungsantritt Alexanders III. erhielt dieser politische Zu¬
stand noch eine Verschärfung, namentlich durch die mißtrauische, manchen Ein¬
flüsterungen zugängliche und wenig zu großen Entschlüssen neigende Charakter-


Der Ausammenschluß der koutiuentcilen lNächte

überwog und in Boulanger ein Mann vorhanden war, der wenigstens zeit¬
weilig entschlossen schien, diese Überlegenheit auszunützen, um an die Spitze
Frankreichs zu gelangen. Daß diese Beurteilung des französischen Nevanche-
kultus richtig ist, wird durch die Thatsache bewiesen, daß uach der Entstehung
des sogenannten Zweibundes, des mehr oder weniger „geschriebnen" Bünd¬
nisses mit Nußland, das Revanchetreiben seine ehemalige Wirkung eingebüßt
hat. Man hört zwar noch die frühern Redensarten, aber sie verhallen. Es
kam den Franzosen offenbar mehr auf die Sicherung vor einem neuen „deutschen
Überfall," als auf die Wiedererwerbung der Reichslande an. Jene hoffen sie
durch das Bündnis mit Rußland erreicht zu haben, sie werden ruhig und
glauben nun auch an Deutschlands ernste Friedenspolitik. Erst in zweiter
Linie steht die durch die Niederlage von 1870/71 schwer gekränkte nationale
Eitelkeit.

Der Eindruck der deutschen Siege rief in Nußland ähnliche, wenn auch
selbstverständlich nicht dieselben Wirkungen wie in Frankreich hervor: man
empfand den deutscheu Machtaufschwung mit Unbehagen. Bei der engen Freund¬
schaft der beiden Kaiser erschien zwar jede kriegerische Gefahr zunächst aus¬
geschlossen, aber die panslawistische Bewegung zog aus der neuen Stimmung
Nahrung und äußerte sich namentlich in der Schürung des Deutschenhasses,
vielfach auch in militärischen Kreisen. Das offizielle Nußland beteiligte sich
nicht dabei, nur die Eitelkeit des alternden Fürsten Gortschakoff vermochte
nicht zu ertragen, daß Bismarck in die Stelle des ersten europäischen
Staatsmannes vorgerückt war. Das führte zu der bekannten Friedenskomödie
des Jahres 1875, in der sich Nußland zum erstenmale als Beschützer Frank¬
reichs einführte, und zu dem Feldzuge gegen die Türkei im Jahre 1877, der
durch Befriedigung alter russischer Traditionen und einen großen militärischen
Erfolg das Zarenreich wieder zur ersten europäischen Macht erheben sollte.
Aber der militärische und damit anch der diplomatische große Erfolg blieb aus,
die deutsche Macht blieb in ihrem Ansehen unerschüttert als erste bestehen.
Von diesem Zeitpunkt an schlug die russische Politik gegenüber Deutschland
um und nahm ganz den Charakter der französischen an. Das Drcikaiser-
bündnis zerfiel, auch Alexander II. ließ sich in das Mißtrauen gegen Deutsch¬
land hineinziehen und rief dadurch 1879 den Abschluß des deutsch-österreichischen
Bündnisses hervor. Die neuorgcmisirte russische Armee erhielt die Mehrzahl
ihrer Garnisonen an der westlichen Grenze. Die öffentliche Meinung in
Deutschland faßte das als eine Bedrohung auf, und die Stimmen blieben
vereinzelt, die darin nur ein Seitenstück zu den Grenzbefestigungen Frankreichs
erkannten.

Mit dem Regierungsantritt Alexanders III. erhielt dieser politische Zu¬
stand noch eine Verschärfung, namentlich durch die mißtrauische, manchen Ein¬
flüsterungen zugängliche und wenig zu großen Entschlüssen neigende Charakter-


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[0591] Der Ausammenschluß der koutiuentcilen lNächte überwog und in Boulanger ein Mann vorhanden war, der wenigstens zeit¬ weilig entschlossen schien, diese Überlegenheit auszunützen, um an die Spitze Frankreichs zu gelangen. Daß diese Beurteilung des französischen Nevanche- kultus richtig ist, wird durch die Thatsache bewiesen, daß uach der Entstehung des sogenannten Zweibundes, des mehr oder weniger „geschriebnen" Bünd¬ nisses mit Nußland, das Revanchetreiben seine ehemalige Wirkung eingebüßt hat. Man hört zwar noch die frühern Redensarten, aber sie verhallen. Es kam den Franzosen offenbar mehr auf die Sicherung vor einem neuen „deutschen Überfall," als auf die Wiedererwerbung der Reichslande an. Jene hoffen sie durch das Bündnis mit Rußland erreicht zu haben, sie werden ruhig und glauben nun auch an Deutschlands ernste Friedenspolitik. Erst in zweiter Linie steht die durch die Niederlage von 1870/71 schwer gekränkte nationale Eitelkeit. Der Eindruck der deutschen Siege rief in Nußland ähnliche, wenn auch selbstverständlich nicht dieselben Wirkungen wie in Frankreich hervor: man empfand den deutscheu Machtaufschwung mit Unbehagen. Bei der engen Freund¬ schaft der beiden Kaiser erschien zwar jede kriegerische Gefahr zunächst aus¬ geschlossen, aber die panslawistische Bewegung zog aus der neuen Stimmung Nahrung und äußerte sich namentlich in der Schürung des Deutschenhasses, vielfach auch in militärischen Kreisen. Das offizielle Nußland beteiligte sich nicht dabei, nur die Eitelkeit des alternden Fürsten Gortschakoff vermochte nicht zu ertragen, daß Bismarck in die Stelle des ersten europäischen Staatsmannes vorgerückt war. Das führte zu der bekannten Friedenskomödie des Jahres 1875, in der sich Nußland zum erstenmale als Beschützer Frank¬ reichs einführte, und zu dem Feldzuge gegen die Türkei im Jahre 1877, der durch Befriedigung alter russischer Traditionen und einen großen militärischen Erfolg das Zarenreich wieder zur ersten europäischen Macht erheben sollte. Aber der militärische und damit anch der diplomatische große Erfolg blieb aus, die deutsche Macht blieb in ihrem Ansehen unerschüttert als erste bestehen. Von diesem Zeitpunkt an schlug die russische Politik gegenüber Deutschland um und nahm ganz den Charakter der französischen an. Das Drcikaiser- bündnis zerfiel, auch Alexander II. ließ sich in das Mißtrauen gegen Deutsch¬ land hineinziehen und rief dadurch 1879 den Abschluß des deutsch-österreichischen Bündnisses hervor. Die neuorgcmisirte russische Armee erhielt die Mehrzahl ihrer Garnisonen an der westlichen Grenze. Die öffentliche Meinung in Deutschland faßte das als eine Bedrohung auf, und die Stimmen blieben vereinzelt, die darin nur ein Seitenstück zu den Grenzbefestigungen Frankreichs erkannten. Mit dem Regierungsantritt Alexanders III. erhielt dieser politische Zu¬ stand noch eine Verschärfung, namentlich durch die mißtrauische, manchen Ein¬ flüsterungen zugängliche und wenig zu großen Entschlüssen neigende Charakter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/591>, abgerufen am 24.07.2024.