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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Dummheit. Die Landwirte, bündlerische und nichtbüudlerische, werden Verfahren,
wie jeder Geschäftsmann in dieser sündhaften Welt verfährt, sie werden Genossen-
schaften gründen, soweit diese ihnen Vorteile bringen, und sie werden damit an
dem Punkt aufhören, wo der Vorteil in Schaden umschlägt, an diesem und an
keinem andern Punkte; um das Wohl oder Wehe andrer Berufsstände werden sie
sich dabei nicht kümmern. Wo dieser Punkt liegt, das kann niemand im voraus
wissen. Die Handwerke haben sich vor Jahnnderten nach und nach von der Guts¬
wirtschaft abgelöst, weil es die Gutsbesitzer nicht mehr vorteilhaft fanden, ihre
Produkte selbst verarbeiten zu lassen, und von allen übrigen Gewerben hat sich
der Handel abgelöst, weil es die Produzenten nicht mehr vorteilhaft fanden,
ihre Erzeugnisse selbst auf deu Markt zu bringen. Wenn sie es jetzt wieder
vorteilhaft finden, diesen Vorgang teilweise rückgängig zu machen, so dürfen wir
darauf nicht die Erwartung bauen, daß sich die Dinge bis zum Uranfang zurück-
eutwickeln werden; höchstwahrscheinlich werden die Landwirte nach wenigen Jahr¬
zehnten ganz froh sein, wenn sie ihre Mühlen und Brotfabriken ohne gar zu
großen Verlust wieder loswerden können. Mit der Butter- und Käsebereitung,
die immer eine landwirtschaftliche Verrichtung geblieben ist, verhält es sich natürlich
anders. Die Handwerker beweisen ja in der Vertretung ihrer eignen Interessen
uicht allzu viel Einsicht, aber darin haben sie unbedingt Recht, daß sie den
Agrariern keine größere Einsicht und vor allem kein uneigennütziges Wohlwollen
zutrauen; für das billige Wohlwollen, das diese dem Handwerk in der Bekämpfung
der Bäckereivcrordnuug erwiesen haben, erhalten sie jetzt von den Bäckern den
verdienten Lohn.

Bei dieser Gelegenheit möchten wir uns ein Paar Bemerkungen zu dem Artikel:
Reute und Rohertrag in der vorigen Nummer erlaube". Daß die Landwirte eiues
Staates durch anhaltenden Prcisdruck zu Grunde gerichtet werden können,") geben
wir nur für deu Fall zu, daß sie sämtlich Großgrundbesitzer oder Großpächter sind,
wie das in England der Fall war; Kleinbauern, die den größten Teil ihrer Er¬
zeugnisse selbst verzehren, brauchen gar keine Reute und überstehen die Zeiten der
niedrige" Kornpreise. Es giebt einen andern Umstand, der alle ländliche" Grund¬
besitzer eines Landes mit vollständig verteiltem Bode" zu Grunde richten muß, wie
wir durch Rechnung nachgewiesen haben, das ist die fortgesetzte Erbteilung. Aus
diesem Grunde, haben wir ausgeführt, muß jeder Staat, der seinen Grundbesitzer¬
stand aufrecht erhalten will, Boden für Ackerbaukolouien haben, auf dem die über¬
zählige" Söhne ohne starke Belastung des väterlichen Gutes versorgt werden können.
Und an solcher Belastung zumeist zeigt es sich, daß der Kapitalwert der Güter,
wenigstens innerhalb unsrer geldwirtschaftlicheu Ordnung, keineswegs bloß, wie der
Verfasser S. 487 sagt, eine Einbildung, ein rechnerischer Ausdruck ist. Wenn ein
Gut mehr Geld bringt, so ist es auch wirklich mehr Geld wert. Das Schicksal
des Besitzers hängt nnn meist davon ab, welche Geldansprüche an ihn erhoben
werden. Kauft er bei steigender Konjunktur ein Gut mit 200 000 Mark, das nach
zwanzig Jahren wegen gesunkener Rente nur noch 100 000 Mark gilt, hat er aber
keine Schulden auf dem Gute, so hat er zwar eine schlechte Kapitalanlage gemacht,
aber seinen standesgemäßen Lebensunterhalt schlägt er immer noch heraus, und
niemand und nichts treibt ihn von der Scholle. Hat dagegen im Verlauf dieser
zwanzig Jahre der Sohn das Gut übernommen, hat dieser, den Kaufpreis zu



Können, nicht müsse", Dnsz sie sogar auch in England noch nicht zu Grunde gerichtet
sind, haben wir voriges Jnhr gezeigt.
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Dummheit. Die Landwirte, bündlerische und nichtbüudlerische, werden Verfahren,
wie jeder Geschäftsmann in dieser sündhaften Welt verfährt, sie werden Genossen-
schaften gründen, soweit diese ihnen Vorteile bringen, und sie werden damit an
dem Punkt aufhören, wo der Vorteil in Schaden umschlägt, an diesem und an
keinem andern Punkte; um das Wohl oder Wehe andrer Berufsstände werden sie
sich dabei nicht kümmern. Wo dieser Punkt liegt, das kann niemand im voraus
wissen. Die Handwerke haben sich vor Jahnnderten nach und nach von der Guts¬
wirtschaft abgelöst, weil es die Gutsbesitzer nicht mehr vorteilhaft fanden, ihre
Produkte selbst verarbeiten zu lassen, und von allen übrigen Gewerben hat sich
der Handel abgelöst, weil es die Produzenten nicht mehr vorteilhaft fanden,
ihre Erzeugnisse selbst auf deu Markt zu bringen. Wenn sie es jetzt wieder
vorteilhaft finden, diesen Vorgang teilweise rückgängig zu machen, so dürfen wir
darauf nicht die Erwartung bauen, daß sich die Dinge bis zum Uranfang zurück-
eutwickeln werden; höchstwahrscheinlich werden die Landwirte nach wenigen Jahr¬
zehnten ganz froh sein, wenn sie ihre Mühlen und Brotfabriken ohne gar zu
großen Verlust wieder loswerden können. Mit der Butter- und Käsebereitung,
die immer eine landwirtschaftliche Verrichtung geblieben ist, verhält es sich natürlich
anders. Die Handwerker beweisen ja in der Vertretung ihrer eignen Interessen
uicht allzu viel Einsicht, aber darin haben sie unbedingt Recht, daß sie den
Agrariern keine größere Einsicht und vor allem kein uneigennütziges Wohlwollen
zutrauen; für das billige Wohlwollen, das diese dem Handwerk in der Bekämpfung
der Bäckereivcrordnuug erwiesen haben, erhalten sie jetzt von den Bäckern den
verdienten Lohn.

Bei dieser Gelegenheit möchten wir uns ein Paar Bemerkungen zu dem Artikel:
Reute und Rohertrag in der vorigen Nummer erlaube». Daß die Landwirte eiues
Staates durch anhaltenden Prcisdruck zu Grunde gerichtet werden können,") geben
wir nur für deu Fall zu, daß sie sämtlich Großgrundbesitzer oder Großpächter sind,
wie das in England der Fall war; Kleinbauern, die den größten Teil ihrer Er¬
zeugnisse selbst verzehren, brauchen gar keine Reute und überstehen die Zeiten der
niedrige» Kornpreise. Es giebt einen andern Umstand, der alle ländliche» Grund¬
besitzer eines Landes mit vollständig verteiltem Bode» zu Grunde richten muß, wie
wir durch Rechnung nachgewiesen haben, das ist die fortgesetzte Erbteilung. Aus
diesem Grunde, haben wir ausgeführt, muß jeder Staat, der seinen Grundbesitzer¬
stand aufrecht erhalten will, Boden für Ackerbaukolouien haben, auf dem die über¬
zählige» Söhne ohne starke Belastung des väterlichen Gutes versorgt werden können.
Und an solcher Belastung zumeist zeigt es sich, daß der Kapitalwert der Güter,
wenigstens innerhalb unsrer geldwirtschaftlicheu Ordnung, keineswegs bloß, wie der
Verfasser S. 487 sagt, eine Einbildung, ein rechnerischer Ausdruck ist. Wenn ein
Gut mehr Geld bringt, so ist es auch wirklich mehr Geld wert. Das Schicksal
des Besitzers hängt nnn meist davon ab, welche Geldansprüche an ihn erhoben
werden. Kauft er bei steigender Konjunktur ein Gut mit 200 000 Mark, das nach
zwanzig Jahren wegen gesunkener Rente nur noch 100 000 Mark gilt, hat er aber
keine Schulden auf dem Gute, so hat er zwar eine schlechte Kapitalanlage gemacht,
aber seinen standesgemäßen Lebensunterhalt schlägt er immer noch heraus, und
niemand und nichts treibt ihn von der Scholle. Hat dagegen im Verlauf dieser
zwanzig Jahre der Sohn das Gut übernommen, hat dieser, den Kaufpreis zu



Können, nicht müsse», Dnsz sie sogar auch in England noch nicht zu Grunde gerichtet
sind, haben wir voriges Jnhr gezeigt.
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[0575] Maßgebliches und Unmaßgebliches Dummheit. Die Landwirte, bündlerische und nichtbüudlerische, werden Verfahren, wie jeder Geschäftsmann in dieser sündhaften Welt verfährt, sie werden Genossen- schaften gründen, soweit diese ihnen Vorteile bringen, und sie werden damit an dem Punkt aufhören, wo der Vorteil in Schaden umschlägt, an diesem und an keinem andern Punkte; um das Wohl oder Wehe andrer Berufsstände werden sie sich dabei nicht kümmern. Wo dieser Punkt liegt, das kann niemand im voraus wissen. Die Handwerke haben sich vor Jahnnderten nach und nach von der Guts¬ wirtschaft abgelöst, weil es die Gutsbesitzer nicht mehr vorteilhaft fanden, ihre Produkte selbst verarbeiten zu lassen, und von allen übrigen Gewerben hat sich der Handel abgelöst, weil es die Produzenten nicht mehr vorteilhaft fanden, ihre Erzeugnisse selbst auf deu Markt zu bringen. Wenn sie es jetzt wieder vorteilhaft finden, diesen Vorgang teilweise rückgängig zu machen, so dürfen wir darauf nicht die Erwartung bauen, daß sich die Dinge bis zum Uranfang zurück- eutwickeln werden; höchstwahrscheinlich werden die Landwirte nach wenigen Jahr¬ zehnten ganz froh sein, wenn sie ihre Mühlen und Brotfabriken ohne gar zu großen Verlust wieder loswerden können. Mit der Butter- und Käsebereitung, die immer eine landwirtschaftliche Verrichtung geblieben ist, verhält es sich natürlich anders. Die Handwerker beweisen ja in der Vertretung ihrer eignen Interessen uicht allzu viel Einsicht, aber darin haben sie unbedingt Recht, daß sie den Agrariern keine größere Einsicht und vor allem kein uneigennütziges Wohlwollen zutrauen; für das billige Wohlwollen, das diese dem Handwerk in der Bekämpfung der Bäckereivcrordnuug erwiesen haben, erhalten sie jetzt von den Bäckern den verdienten Lohn. Bei dieser Gelegenheit möchten wir uns ein Paar Bemerkungen zu dem Artikel: Reute und Rohertrag in der vorigen Nummer erlaube». Daß die Landwirte eiues Staates durch anhaltenden Prcisdruck zu Grunde gerichtet werden können,") geben wir nur für deu Fall zu, daß sie sämtlich Großgrundbesitzer oder Großpächter sind, wie das in England der Fall war; Kleinbauern, die den größten Teil ihrer Er¬ zeugnisse selbst verzehren, brauchen gar keine Reute und überstehen die Zeiten der niedrige» Kornpreise. Es giebt einen andern Umstand, der alle ländliche» Grund¬ besitzer eines Landes mit vollständig verteiltem Bode» zu Grunde richten muß, wie wir durch Rechnung nachgewiesen haben, das ist die fortgesetzte Erbteilung. Aus diesem Grunde, haben wir ausgeführt, muß jeder Staat, der seinen Grundbesitzer¬ stand aufrecht erhalten will, Boden für Ackerbaukolouien haben, auf dem die über¬ zählige» Söhne ohne starke Belastung des väterlichen Gutes versorgt werden können. Und an solcher Belastung zumeist zeigt es sich, daß der Kapitalwert der Güter, wenigstens innerhalb unsrer geldwirtschaftlicheu Ordnung, keineswegs bloß, wie der Verfasser S. 487 sagt, eine Einbildung, ein rechnerischer Ausdruck ist. Wenn ein Gut mehr Geld bringt, so ist es auch wirklich mehr Geld wert. Das Schicksal des Besitzers hängt nnn meist davon ab, welche Geldansprüche an ihn erhoben werden. Kauft er bei steigender Konjunktur ein Gut mit 200 000 Mark, das nach zwanzig Jahren wegen gesunkener Rente nur noch 100 000 Mark gilt, hat er aber keine Schulden auf dem Gute, so hat er zwar eine schlechte Kapitalanlage gemacht, aber seinen standesgemäßen Lebensunterhalt schlägt er immer noch heraus, und niemand und nichts treibt ihn von der Scholle. Hat dagegen im Verlauf dieser zwanzig Jahre der Sohn das Gut übernommen, hat dieser, den Kaufpreis zu Können, nicht müsse», Dnsz sie sogar auch in England noch nicht zu Grunde gerichtet sind, haben wir voriges Jnhr gezeigt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/575>, abgerufen am 29.12.2024.