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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Zu dem Streit über die preußische Staatseiseiibahnverrvaltung

Und was hat man nun vom Staate zu verlangen in der ganzen Frage?
Der Geiz ist die Wurzel alles Übels. Hat man in Preußen die Eisenbahnen
deshalb verstaatlicht, um gleich rücksichtslosen Dividendenjägern dem Staats¬
säckel große und immer größere Überschüsse zuzuführen? Der Finanzminister,
der das annähme, der Eisenbahnminister, der sich dagegen nicht auflehnte,
das Staatsministerium, das das hingehen ließe, würde sich am Volke, am
König und am gesunden Menschenverstande versündigen. Gerade bei der
Frage nach der Erhaltung der Disziplin springt das in die Augen. Nichts
ist vernichtender für die Disziplin auch des bestgeschulten Heeres als Über¬
anstrengung und unzureichende Verpflegung durch Schuld der Leitung. Es
wäre eine ungeheuerliche Dummheit, wenn das der Staat gerade in der Eisen¬
bahnverwaltung nicht einsehen wollte. Knausereien können selbst in den höhern
Beamtenkreisen die Disziplin gefährden; vor allem aber gilt das doch von dem
Heere der untern Beamten. Die Überanstrengung durch Geizerei in der Zahl
der Beamten muß sich im Eisenbahndienst besonders schwer rächen. Sie führt
unmittelbar zur Vermehrung der Unfälle, aber sie raubt auch notwendig dem
Personal dauernd die Pflichttreue, die aufopfernde Hingebung an den Dienst.
Sie führt zur Gleichgiltigkeit, zum Schlendrian, zur Ordnung auf dem Papiere.
Und dann die Gehalte, die Sicherung einer auskömmlichen Existenz für die
Dauer. Wie könnte man von dem Beamten eine andre Auffassung seines Dienst¬
verhältnisses erwarten als vom Arbeiter, wenn man die Tagelöhnerwirtschaft
in einer Verwaltung einreißen ließe, die sogenannte diätarische Beschüftiguug
auf Jahre hinaus? Sie ist als notwendiges Übel zu betrachten im Interesse
des Dienstes, als eine nicht zu umgehende Probezeit, aber wo sie im Eisen¬
bahndienst auftreten sollte aus bloßem fiskalischen Geiz, da wäre sie eine Sünde
und eine Dummheit. Auch die Höhe des Lohnes muß die Stellung des Unter-
beamten der des Arbeiters gegenüber womöglich als besser erkennen lassen, wenn
man auch dem Ingenieur und Architekten nicht die Gehalte bewilligen kann,
die Krupp und Siemers zahlen. Das sind die Anforderungen, die unsre Zeit
in Preußen an die Eisenbahnpolitik stellen muß. Die Überschüsse sind da, die
sie zu erfüllen gestatten, wenn es die Profitsucht des Staatssäckels nicht
verhindert.

Wie sich der Geiz des Staates an den Betriebsanlagen und den Betriebs¬
mitteln versündigen kann, ist eine ausschließlich technische Frage. Wir wissen
nicht, wie weit die in dieser Richtung erhobnen Vorwürfe berechtigt sind, und
wie sie sich, wenn es der Fall sein sollte, auf Techniker und Juristen und
auf Eisenbahnverwaltung und die Staatsfinanzverwaltung verteilen. Daß eine
allgemeine Verstärkung des Oberbaus, durchgreifende Neuanlagen an Bahn¬
höfen und Brücken nicht von heute zu morgen durchgeführt werden können, ist
selbstverständlich. Verschleudert darf auch bei großen Überschüssen nichts werden,
aber die Interessen des allgemeinen Staatssäckels dürfen auch hier nicht aus-


Zu dem Streit über die preußische Staatseiseiibahnverrvaltung

Und was hat man nun vom Staate zu verlangen in der ganzen Frage?
Der Geiz ist die Wurzel alles Übels. Hat man in Preußen die Eisenbahnen
deshalb verstaatlicht, um gleich rücksichtslosen Dividendenjägern dem Staats¬
säckel große und immer größere Überschüsse zuzuführen? Der Finanzminister,
der das annähme, der Eisenbahnminister, der sich dagegen nicht auflehnte,
das Staatsministerium, das das hingehen ließe, würde sich am Volke, am
König und am gesunden Menschenverstande versündigen. Gerade bei der
Frage nach der Erhaltung der Disziplin springt das in die Augen. Nichts
ist vernichtender für die Disziplin auch des bestgeschulten Heeres als Über¬
anstrengung und unzureichende Verpflegung durch Schuld der Leitung. Es
wäre eine ungeheuerliche Dummheit, wenn das der Staat gerade in der Eisen¬
bahnverwaltung nicht einsehen wollte. Knausereien können selbst in den höhern
Beamtenkreisen die Disziplin gefährden; vor allem aber gilt das doch von dem
Heere der untern Beamten. Die Überanstrengung durch Geizerei in der Zahl
der Beamten muß sich im Eisenbahndienst besonders schwer rächen. Sie führt
unmittelbar zur Vermehrung der Unfälle, aber sie raubt auch notwendig dem
Personal dauernd die Pflichttreue, die aufopfernde Hingebung an den Dienst.
Sie führt zur Gleichgiltigkeit, zum Schlendrian, zur Ordnung auf dem Papiere.
Und dann die Gehalte, die Sicherung einer auskömmlichen Existenz für die
Dauer. Wie könnte man von dem Beamten eine andre Auffassung seines Dienst¬
verhältnisses erwarten als vom Arbeiter, wenn man die Tagelöhnerwirtschaft
in einer Verwaltung einreißen ließe, die sogenannte diätarische Beschüftiguug
auf Jahre hinaus? Sie ist als notwendiges Übel zu betrachten im Interesse
des Dienstes, als eine nicht zu umgehende Probezeit, aber wo sie im Eisen¬
bahndienst auftreten sollte aus bloßem fiskalischen Geiz, da wäre sie eine Sünde
und eine Dummheit. Auch die Höhe des Lohnes muß die Stellung des Unter-
beamten der des Arbeiters gegenüber womöglich als besser erkennen lassen, wenn
man auch dem Ingenieur und Architekten nicht die Gehalte bewilligen kann,
die Krupp und Siemers zahlen. Das sind die Anforderungen, die unsre Zeit
in Preußen an die Eisenbahnpolitik stellen muß. Die Überschüsse sind da, die
sie zu erfüllen gestatten, wenn es die Profitsucht des Staatssäckels nicht
verhindert.

Wie sich der Geiz des Staates an den Betriebsanlagen und den Betriebs¬
mitteln versündigen kann, ist eine ausschließlich technische Frage. Wir wissen
nicht, wie weit die in dieser Richtung erhobnen Vorwürfe berechtigt sind, und
wie sie sich, wenn es der Fall sein sollte, auf Techniker und Juristen und
auf Eisenbahnverwaltung und die Staatsfinanzverwaltung verteilen. Daß eine
allgemeine Verstärkung des Oberbaus, durchgreifende Neuanlagen an Bahn¬
höfen und Brücken nicht von heute zu morgen durchgeführt werden können, ist
selbstverständlich. Verschleudert darf auch bei großen Überschüssen nichts werden,
aber die Interessen des allgemeinen Staatssäckels dürfen auch hier nicht aus-


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[0572] Zu dem Streit über die preußische Staatseiseiibahnverrvaltung Und was hat man nun vom Staate zu verlangen in der ganzen Frage? Der Geiz ist die Wurzel alles Übels. Hat man in Preußen die Eisenbahnen deshalb verstaatlicht, um gleich rücksichtslosen Dividendenjägern dem Staats¬ säckel große und immer größere Überschüsse zuzuführen? Der Finanzminister, der das annähme, der Eisenbahnminister, der sich dagegen nicht auflehnte, das Staatsministerium, das das hingehen ließe, würde sich am Volke, am König und am gesunden Menschenverstande versündigen. Gerade bei der Frage nach der Erhaltung der Disziplin springt das in die Augen. Nichts ist vernichtender für die Disziplin auch des bestgeschulten Heeres als Über¬ anstrengung und unzureichende Verpflegung durch Schuld der Leitung. Es wäre eine ungeheuerliche Dummheit, wenn das der Staat gerade in der Eisen¬ bahnverwaltung nicht einsehen wollte. Knausereien können selbst in den höhern Beamtenkreisen die Disziplin gefährden; vor allem aber gilt das doch von dem Heere der untern Beamten. Die Überanstrengung durch Geizerei in der Zahl der Beamten muß sich im Eisenbahndienst besonders schwer rächen. Sie führt unmittelbar zur Vermehrung der Unfälle, aber sie raubt auch notwendig dem Personal dauernd die Pflichttreue, die aufopfernde Hingebung an den Dienst. Sie führt zur Gleichgiltigkeit, zum Schlendrian, zur Ordnung auf dem Papiere. Und dann die Gehalte, die Sicherung einer auskömmlichen Existenz für die Dauer. Wie könnte man von dem Beamten eine andre Auffassung seines Dienst¬ verhältnisses erwarten als vom Arbeiter, wenn man die Tagelöhnerwirtschaft in einer Verwaltung einreißen ließe, die sogenannte diätarische Beschüftiguug auf Jahre hinaus? Sie ist als notwendiges Übel zu betrachten im Interesse des Dienstes, als eine nicht zu umgehende Probezeit, aber wo sie im Eisen¬ bahndienst auftreten sollte aus bloßem fiskalischen Geiz, da wäre sie eine Sünde und eine Dummheit. Auch die Höhe des Lohnes muß die Stellung des Unter- beamten der des Arbeiters gegenüber womöglich als besser erkennen lassen, wenn man auch dem Ingenieur und Architekten nicht die Gehalte bewilligen kann, die Krupp und Siemers zahlen. Das sind die Anforderungen, die unsre Zeit in Preußen an die Eisenbahnpolitik stellen muß. Die Überschüsse sind da, die sie zu erfüllen gestatten, wenn es die Profitsucht des Staatssäckels nicht verhindert. Wie sich der Geiz des Staates an den Betriebsanlagen und den Betriebs¬ mitteln versündigen kann, ist eine ausschließlich technische Frage. Wir wissen nicht, wie weit die in dieser Richtung erhobnen Vorwürfe berechtigt sind, und wie sie sich, wenn es der Fall sein sollte, auf Techniker und Juristen und auf Eisenbahnverwaltung und die Staatsfinanzverwaltung verteilen. Daß eine allgemeine Verstärkung des Oberbaus, durchgreifende Neuanlagen an Bahn¬ höfen und Brücken nicht von heute zu morgen durchgeführt werden können, ist selbstverständlich. Verschleudert darf auch bei großen Überschüssen nichts werden, aber die Interessen des allgemeinen Staatssäckels dürfen auch hier nicht aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/572>, abgerufen am 24.07.2024.