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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Zu dem Streit über die preußische Staatseisenbahuverwaltuug

so wenig nun bisher ein Beweis gebracht worden ist, scheint doch die
Häufigkeit der Unfälle in der letzten Zeit auf eine Abnahme der Disziplin
zu deuten. Tritt aber eine solche Abnahme dauernd ein, so ist der Schaden
unabsehbar. Wir streifen damit das Gebiet der sozialen Frage. Die akade¬
mischen Techniker, die bis jetzt von sozialistischen Strömungen wenig berührt
worden zu sein scheinen, und bei denen die soziale Urteilsfähigkeit manchmal
eine ziemlich schwache Seite bildet (haben sie doch zuviel mit den mechanischen
Kräften und Gesetzen zu thun, als daß sie sich viel um deu Menschen kümmern
könnten), werden gern zugeben, daß sozialistische Verhetzung durch Erschütterung
der Disziplin die Betriebssicherheit schwer beeinträchtigen müßte, und sie werden
es hoffentlich auch ferner vermeiden, durch allzu scharfe Agitation für ver¬
meintliche oder berechtigte Standesinteressen wider Willen ungünstig nach unten
zu wirken. Die von sozialdemokratischer wie von nationalsozialer Seite eifrig
geförderte sogenannte Eisenbahnerbewegung würden sehr beklagenswerte Folgen
haben, sobald sie die Vecimtenkrei.se erfaßte. Zwischen dem Arbeiter und selbst
dem untersten Beamten ist ein gewaltiger Unterschied. Dieser Unterschied muß
in dem Bewußtsein des ganzen Beamtentums aufrecht erhalten werden. Was
sollte werden, wenn unter den "Auspizien" unsrer streikfrcudigeu Herren Katheder-
sozialisten die Eisenbahnnnterbeamten sich zu Arbeitseinstellungen gewerkschaftlich
verbänden? Wo sollte eine auf die Beamten ausgedehnte Kocilitions- und
Streikfreiheit hinführen, als zum hellen Unsinn? Im sozialistischen Staat,
wo nur Beamte vorhanden sein werden, mag man sich dieses öxpLrlinEutuui aä
ii-vsurcwm, erlauben, unsre heutigen Staatseisenbahnen aber wollen wir nicht
zum Versuchsfelde dafür hergeben. Wir empfehlen der nächsten Generalver¬
sammlung des Vereins sür Sozialpolitik, die "Eisenbahnerfrage" bei den
Beratungen über das Koalitionsrecht besonders gründlich zu behandeln. Vor¬
läufig sollte jeder einsichtsvolle, menschenfreundliche, patriotische Mann und
vollends jeder verantwortliche Beamte alles dazu thun, die gewerkschaftliche
Agitation von den Staatseisenbahnen fernzuhalten, weil sie thatsächlich untrenn¬
bar sein würde von sozialistischer Verhetzung. Eines schickt sich nicht für alle;
was hier nützt, kann dort zu Grunde richten. Es giebt freilich auch Leute,
die ehrlich daran glauben, daß die sozialistisch beseelte Organisation auch das
Pflichtbewußtsein im Dienst, die Disziplin, fördern könne. Sie bilden sich ein,
daß schon das Klasseninteresse, das die Gewerkschaft beherrscht, dafür sorgen
werde, daß der einzelne Beamte seinen Dienst pflichtgetreu bis zur Selbstauf¬
opferung versehen werde. Aber die Erfahrung beweist überall das Gegenteil,
und wer das Menschenherz kennt, wird das auch begreifen. Wo die sozialistische
Agitation den Menschen in Beschlag nimmt, ihn anfüllt mit Unzufriedenheit
und Verbitterung, wie sie es muß, um ihn zu beherrschen, da ist es bei dem
Einzelnen aus rin jener treuen Diensterfüllung, die im Eisenbahndienst un¬
bedingt verlangt werden muß.


Zu dem Streit über die preußische Staatseisenbahuverwaltuug

so wenig nun bisher ein Beweis gebracht worden ist, scheint doch die
Häufigkeit der Unfälle in der letzten Zeit auf eine Abnahme der Disziplin
zu deuten. Tritt aber eine solche Abnahme dauernd ein, so ist der Schaden
unabsehbar. Wir streifen damit das Gebiet der sozialen Frage. Die akade¬
mischen Techniker, die bis jetzt von sozialistischen Strömungen wenig berührt
worden zu sein scheinen, und bei denen die soziale Urteilsfähigkeit manchmal
eine ziemlich schwache Seite bildet (haben sie doch zuviel mit den mechanischen
Kräften und Gesetzen zu thun, als daß sie sich viel um deu Menschen kümmern
könnten), werden gern zugeben, daß sozialistische Verhetzung durch Erschütterung
der Disziplin die Betriebssicherheit schwer beeinträchtigen müßte, und sie werden
es hoffentlich auch ferner vermeiden, durch allzu scharfe Agitation für ver¬
meintliche oder berechtigte Standesinteressen wider Willen ungünstig nach unten
zu wirken. Die von sozialdemokratischer wie von nationalsozialer Seite eifrig
geförderte sogenannte Eisenbahnerbewegung würden sehr beklagenswerte Folgen
haben, sobald sie die Vecimtenkrei.se erfaßte. Zwischen dem Arbeiter und selbst
dem untersten Beamten ist ein gewaltiger Unterschied. Dieser Unterschied muß
in dem Bewußtsein des ganzen Beamtentums aufrecht erhalten werden. Was
sollte werden, wenn unter den „Auspizien" unsrer streikfrcudigeu Herren Katheder-
sozialisten die Eisenbahnnnterbeamten sich zu Arbeitseinstellungen gewerkschaftlich
verbänden? Wo sollte eine auf die Beamten ausgedehnte Kocilitions- und
Streikfreiheit hinführen, als zum hellen Unsinn? Im sozialistischen Staat,
wo nur Beamte vorhanden sein werden, mag man sich dieses öxpLrlinEutuui aä
ii-vsurcwm, erlauben, unsre heutigen Staatseisenbahnen aber wollen wir nicht
zum Versuchsfelde dafür hergeben. Wir empfehlen der nächsten Generalver¬
sammlung des Vereins sür Sozialpolitik, die „Eisenbahnerfrage" bei den
Beratungen über das Koalitionsrecht besonders gründlich zu behandeln. Vor¬
läufig sollte jeder einsichtsvolle, menschenfreundliche, patriotische Mann und
vollends jeder verantwortliche Beamte alles dazu thun, die gewerkschaftliche
Agitation von den Staatseisenbahnen fernzuhalten, weil sie thatsächlich untrenn¬
bar sein würde von sozialistischer Verhetzung. Eines schickt sich nicht für alle;
was hier nützt, kann dort zu Grunde richten. Es giebt freilich auch Leute,
die ehrlich daran glauben, daß die sozialistisch beseelte Organisation auch das
Pflichtbewußtsein im Dienst, die Disziplin, fördern könne. Sie bilden sich ein,
daß schon das Klasseninteresse, das die Gewerkschaft beherrscht, dafür sorgen
werde, daß der einzelne Beamte seinen Dienst pflichtgetreu bis zur Selbstauf¬
opferung versehen werde. Aber die Erfahrung beweist überall das Gegenteil,
und wer das Menschenherz kennt, wird das auch begreifen. Wo die sozialistische
Agitation den Menschen in Beschlag nimmt, ihn anfüllt mit Unzufriedenheit
und Verbitterung, wie sie es muß, um ihn zu beherrschen, da ist es bei dem
Einzelnen aus rin jener treuen Diensterfüllung, die im Eisenbahndienst un¬
bedingt verlangt werden muß.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/571>, abgerufen am 24.07.2024.