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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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erweitern und allerlei Fachschulen zur Hebung des Handwerks zu begründen, mit
denen man wohl Lehrlingsprüfungen, aber nur keine Meisterprüfungen verbinden
darf!" Und der Schlossermeister F. O. Naupert, einer der Hauptbegrttnder und
Förderer der Rvßweiuer Schlosserfachschule, schreibt dem Verfasser in einem höchst
interessanten Bericht über seine eigne Laufbahn und seinen eignen Betrieb (S. 500):
"Sie sehen wiederum, welche Spezialitäten alle von dem Schlosser gemacht werden.
Wer soll diese Leute auf ihre Befähigung prüfen, und wie soll diese Prüfung
eigentlich gehandhabt werden, wenn der Befähigungsnachweis, die Meisterprüfung,
der Jnnungszwcmg wieder eingeführt werden soll? Ich habe Gelegenheit genommen,
über die Zukunftsinnungen mit hiesigen Tischlern, Schmieden, Wagnern, Stell¬
machern, Schlossern und andern mehr zu sprechen, aber keiner ist für Errichtung
von Zwangsinnungen! Will man vielleicht gar das österreichische Gewerbegesetz
als Vorbild nehmen? Ein Beispiel aus meiner Praxis. Ich liefere verschiedne
Beschläge, Mechaniker für Mappen, Registrators, Addirer (kleine Rechenmaschinen)
nach Wien. Obgleich nun diese Gegenstände als Massenartikel billig sind, so stellen
sie sich doch durch Fracht und Zoll für meinen Abnehmer in Wien immer noch
hoch genug. Auf meine Frage, ob sie nicht ebenso billig wie von mir auch in
Österreich hergestellt werden könnten, wurde mir die Antwort, daß das nicht der
Fall sei, weil zur Herstellung dieser Gegenstände Schlosser-, Gürtler- und Spengler¬
arbeit nötig sei, und keiner von diesen drei Handwerkern die Arbeit der andern
beiden mit ausführen dürfe." Auf S. SIS spricht Böhmert einen Gedanken ans,
den wir unzähligemal variirt haben: "Die Milderung der sozialen Wirren der
Gegenwart wird voraussichtlich vom Lande und von kleinen und mittlern Städten
ausgehen, wo die Gutsbesitzer, Fabrikanten und Meister ihren Arbeitern und Ge¬
hilfen viel näher stehen, wo sich die Beziehungen von Mensch zu Mensch überhaupt
einfacher und natürlicher gestalten, und man sich sowohl bei der Arbeit auf dem
Felde, in der Werkstatt und Fabrik, wie auch nach der Arbeit in der Natur, in
der Kirche, in Versammlungen oder an öffentlichen Orten öfter begegnet und eher
ein freundliches Wort mit einander wechseln kann." Wir leben selbst in einer
Gegend, wo diese gesunden Verhältnisse noch bestehen, und wo deshalb von einer
sozialen Spannung kaum etwas bemerkt wird; aber weit entfernt davon, daß unser
Städtchen und unsre Dörfer auf die Großstädte und Jndustriebezirke Einfluß übten,
können sie schon froh fein, wenn sie nicht von diesen verschlungen werden oder sich
zu einem von beiden entwickeln. Deshalb scheint es uns nicht ganz richtig aus¬
gedrückt, daß die Milderung der Gegensätze vom Lande und von der Kleinstadt
auszugehen habe; sie hätte vielmehr von der Großstadt und von den Jndustrie-
vezirken auszugehn durch Dezentralisirung der Gewerbe. Ob und wie eine solche
möglich Wäre, das liegt freilich noch sehr im Dunkeln.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Will), Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
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erweitern und allerlei Fachschulen zur Hebung des Handwerks zu begründen, mit
denen man wohl Lehrlingsprüfungen, aber nur keine Meisterprüfungen verbinden
darf!" Und der Schlossermeister F. O. Naupert, einer der Hauptbegrttnder und
Förderer der Rvßweiuer Schlosserfachschule, schreibt dem Verfasser in einem höchst
interessanten Bericht über seine eigne Laufbahn und seinen eignen Betrieb (S. 500):
„Sie sehen wiederum, welche Spezialitäten alle von dem Schlosser gemacht werden.
Wer soll diese Leute auf ihre Befähigung prüfen, und wie soll diese Prüfung
eigentlich gehandhabt werden, wenn der Befähigungsnachweis, die Meisterprüfung,
der Jnnungszwcmg wieder eingeführt werden soll? Ich habe Gelegenheit genommen,
über die Zukunftsinnungen mit hiesigen Tischlern, Schmieden, Wagnern, Stell¬
machern, Schlossern und andern mehr zu sprechen, aber keiner ist für Errichtung
von Zwangsinnungen! Will man vielleicht gar das österreichische Gewerbegesetz
als Vorbild nehmen? Ein Beispiel aus meiner Praxis. Ich liefere verschiedne
Beschläge, Mechaniker für Mappen, Registrators, Addirer (kleine Rechenmaschinen)
nach Wien. Obgleich nun diese Gegenstände als Massenartikel billig sind, so stellen
sie sich doch durch Fracht und Zoll für meinen Abnehmer in Wien immer noch
hoch genug. Auf meine Frage, ob sie nicht ebenso billig wie von mir auch in
Österreich hergestellt werden könnten, wurde mir die Antwort, daß das nicht der
Fall sei, weil zur Herstellung dieser Gegenstände Schlosser-, Gürtler- und Spengler¬
arbeit nötig sei, und keiner von diesen drei Handwerkern die Arbeit der andern
beiden mit ausführen dürfe." Auf S. SIS spricht Böhmert einen Gedanken ans,
den wir unzähligemal variirt haben: „Die Milderung der sozialen Wirren der
Gegenwart wird voraussichtlich vom Lande und von kleinen und mittlern Städten
ausgehen, wo die Gutsbesitzer, Fabrikanten und Meister ihren Arbeitern und Ge¬
hilfen viel näher stehen, wo sich die Beziehungen von Mensch zu Mensch überhaupt
einfacher und natürlicher gestalten, und man sich sowohl bei der Arbeit auf dem
Felde, in der Werkstatt und Fabrik, wie auch nach der Arbeit in der Natur, in
der Kirche, in Versammlungen oder an öffentlichen Orten öfter begegnet und eher
ein freundliches Wort mit einander wechseln kann." Wir leben selbst in einer
Gegend, wo diese gesunden Verhältnisse noch bestehen, und wo deshalb von einer
sozialen Spannung kaum etwas bemerkt wird; aber weit entfernt davon, daß unser
Städtchen und unsre Dörfer auf die Großstädte und Jndustriebezirke Einfluß übten,
können sie schon froh fein, wenn sie nicht von diesen verschlungen werden oder sich
zu einem von beiden entwickeln. Deshalb scheint es uns nicht ganz richtig aus¬
gedrückt, daß die Milderung der Gegensätze vom Lande und von der Kleinstadt
auszugehen habe; sie hätte vielmehr von der Großstadt und von den Jndustrie-
vezirken auszugehn durch Dezentralisirung der Gewerbe. Ob und wie eine solche
möglich Wäre, das liegt freilich noch sehr im Dunkeln.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Will), Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0056] Litteratur erweitern und allerlei Fachschulen zur Hebung des Handwerks zu begründen, mit denen man wohl Lehrlingsprüfungen, aber nur keine Meisterprüfungen verbinden darf!" Und der Schlossermeister F. O. Naupert, einer der Hauptbegrttnder und Förderer der Rvßweiuer Schlosserfachschule, schreibt dem Verfasser in einem höchst interessanten Bericht über seine eigne Laufbahn und seinen eignen Betrieb (S. 500): „Sie sehen wiederum, welche Spezialitäten alle von dem Schlosser gemacht werden. Wer soll diese Leute auf ihre Befähigung prüfen, und wie soll diese Prüfung eigentlich gehandhabt werden, wenn der Befähigungsnachweis, die Meisterprüfung, der Jnnungszwcmg wieder eingeführt werden soll? Ich habe Gelegenheit genommen, über die Zukunftsinnungen mit hiesigen Tischlern, Schmieden, Wagnern, Stell¬ machern, Schlossern und andern mehr zu sprechen, aber keiner ist für Errichtung von Zwangsinnungen! Will man vielleicht gar das österreichische Gewerbegesetz als Vorbild nehmen? Ein Beispiel aus meiner Praxis. Ich liefere verschiedne Beschläge, Mechaniker für Mappen, Registrators, Addirer (kleine Rechenmaschinen) nach Wien. Obgleich nun diese Gegenstände als Massenartikel billig sind, so stellen sie sich doch durch Fracht und Zoll für meinen Abnehmer in Wien immer noch hoch genug. Auf meine Frage, ob sie nicht ebenso billig wie von mir auch in Österreich hergestellt werden könnten, wurde mir die Antwort, daß das nicht der Fall sei, weil zur Herstellung dieser Gegenstände Schlosser-, Gürtler- und Spengler¬ arbeit nötig sei, und keiner von diesen drei Handwerkern die Arbeit der andern beiden mit ausführen dürfe." Auf S. SIS spricht Böhmert einen Gedanken ans, den wir unzähligemal variirt haben: „Die Milderung der sozialen Wirren der Gegenwart wird voraussichtlich vom Lande und von kleinen und mittlern Städten ausgehen, wo die Gutsbesitzer, Fabrikanten und Meister ihren Arbeitern und Ge¬ hilfen viel näher stehen, wo sich die Beziehungen von Mensch zu Mensch überhaupt einfacher und natürlicher gestalten, und man sich sowohl bei der Arbeit auf dem Felde, in der Werkstatt und Fabrik, wie auch nach der Arbeit in der Natur, in der Kirche, in Versammlungen oder an öffentlichen Orten öfter begegnet und eher ein freundliches Wort mit einander wechseln kann." Wir leben selbst in einer Gegend, wo diese gesunden Verhältnisse noch bestehen, und wo deshalb von einer sozialen Spannung kaum etwas bemerkt wird; aber weit entfernt davon, daß unser Städtchen und unsre Dörfer auf die Großstädte und Jndustriebezirke Einfluß übten, können sie schon froh fein, wenn sie nicht von diesen verschlungen werden oder sich zu einem von beiden entwickeln. Deshalb scheint es uns nicht ganz richtig aus¬ gedrückt, daß die Milderung der Gegensätze vom Lande und von der Kleinstadt auszugehen habe; sie hätte vielmehr von der Großstadt und von den Jndustrie- vezirken auszugehn durch Dezentralisirung der Gewerbe. Ob und wie eine solche möglich Wäre, das liegt freilich noch sehr im Dunkeln. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Will), Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/56>, abgerufen am 24.07.2024.